Krank und kein Arzt in der Nähe
Praxensterben auf der Ostalb – Gutachten empfiehlt Gesundheitszentren
GBOPFINGEN/NERESHEIM - In den Ostalb-Gemeinden entlang der Landesgrenze zu Bayern droht in den kommenden Jahren ein Praxensterben und damit eine Schwächung der hausärztlichen Betreuung. Daher besteht dringender Handlungsbedarf. Konkret: Der Kreis muss einspringen und so genannte lokale Gesundheitszentren schaffen, in denen etwa zwölf bestehende Arztpraxen zusammengefasst werden könnten. Dies geht aus einem Gutachten des Forschungs- und Beratungsbüros Quaestio hervor, das in der jüngsten öffentlichen Sitzung des Kreistags vorgestellt worden ist (wir haben ausführlich berichtet). Standorte könnten Bopfingen, Unterschneidheim und Neresheim sein.
Das Praxensterben droht im gesamten Ostalbkreis wegen des hohen Altersdurchschnitts der Hausärzte. Im östlichen Kreisteil mit seinen mehr als 40 000 Einwohnern und seinen 24 Hausärzten ist mehr als jeder zweite, nämlich 55 Prozent, über 60 Jahre alt, davon fast jeder vierte, 23 Prozent, bereits über 65 Jahre. Relativ gut sieht es dabei in Bopfingen aus, wo 38 Prozent der Mediziner die 60 und 13 Prozent die 65 überschritten haben. Auch in Lauchheim, Riesbürg, Unterschneidheim, Tannhausen und Westhausen, die alle unter dem Begriff Härtsfeld zusammengefasst sind, sieht es momentan noch vergleichbar gut aus, denn 56 Prozent sind über 60 und 22 Prozent über 65.
Ein ganz anderes Bild dagegen in Neresheim: 80 Prozent der Ärzte haben bereits das 60. und unter ihnen wiederum 40 Prozent bereits das 65. Lebensjahr hinter sich. Im gesamten Bereich gibt einer der Ärzte an, er wolle seine Praxis binnen eines Jahres aufgeben, drei planen dies in zwei bis drei Jahren, zwei in vier bis zehn Jahren und zwei in über zehn Jahren.
In Westhausen, heißt es in dem Gutachten weiter, habe der Kreis eine Unterversorgung nur dadurch verhindern können, dass er eine Doppelpraxis gekauft habe. Schlecht versorgt sei der Raum Riesbürg, was zu einer zusätzlichen Belastung der Ärzte in Bopfingen führe. In der viertgrößten Stadt im Ostalbkreis sei das hausärztliche Angebot zwar noch ausreichend, die Zahl der Praxen sei jedoch bereits leicht rückläufig. Ein Internist, der als Hausarzt gearbeitet habe, sei kurzfristig ausgefallen, was die Arbeitsbelastung seiner Kollegen erhöht habe. Drei Praxen seien in den vergangenen Jahren geschlossen worden und nur zwei seien neu dazu gekommen, eine davon in Unterschneidheim.
Tannhausen habe keinen Hausarzt mehr, die Patienten seien nach Dinkelsbühl oder Bopfingen orientiert. Auch Riesbürg habe keinen eigenen Hausarzt, die Patienten gingen nach Bopfingen oder nach Nördlingen. In Unterschneidheim gebe es zwei Hausarztpraxen, in Kirchheim am Ries eine. Neresheim sei mit vier Arztsitzen und zwei angestellten Hausärzten zwar gut versorgt.
Aber in den nächsten Jahren stünden Praxisübergaben an. Der Wunsch in der Region sei, wie aus Befragungen hervorgeht, Praxen zu haben mit selbstständigen und angestellten Ärzten, vor allem Frauen mit Familie. Man wolle keine zu großen medizinischen Versorgungszentren. Allerdings nähmen junge Ärzte die Region als zu ländlich und zu unattraktiv wahr und blieben lieber in den größeren Städten im Kreis.
Die Gutachter sehen Handlungsbedarf, weil in Lauchheim und Kirchheim je eine Praxis zur Übergabe ansteht, in Bopfingen sind es zwei. Und wörtlich: „Ein möglicher Wegfall dieser Praxen würde eine für die Patienten ebenso wie für die verbleibenden Ärzte spürbare Schwächung des Versorgungsangebots bedeuten.“Interventionsbedarf gebe es aber auch in Neresheim, wo in den nächsten fünf Jahren 80 Prozent der Praxen vor einer Übergabe stünden.
Hier könne der Kreis aber auch aktiv werden, ohne dass die verbleibenden Ärzte Konkurrenz befürchten müssten. „Es sollte deutlich werden, dass das Ziel darin liegt, mit aller Kraft die Versorgung zu sichern, nicht darin, etablierten Praxen Patienten streitig zu machen.“Standorte für lokale Gesundheitszentren könnten Bopfingen und Unterschneidheim sein, Nebenstandorte könnten Praxen in Lauchheim und Kirchheim sein. Vorrang müsse dabei aber die Stabilisierung der Versorgung in Bopfingen als lokales Zentrum haben, das durch, wie es im Gutachten heißt, eine hochaltrige Ärzteschaft und anstehende Abgaben selbst eine riskante Versorgung aufweise.
Neresheim sei in einer besonderen Situation, wo binnen fünf Jahren ein umfassender Generationswechsel zu erwarten sei. Die Stadt sei aber nicht gut an ihre Nachbarn im Kreis angebunden und auch jenseits der Grenzen des Ostalbkreises seien keine leistungsstarken Zentren, die die Versorgung in Neresheim auffangen könnten.
Historisch und in den alltäglichen Beziehungen sei Neresheim auch nicht Teil der Region. Es gebe keine regionalen Bezüge zu Bopfingen, so dass man nicht auf Kooperationsstrukturen zurückgreifen könne. Um dennoch eine pragmatische Lösung zu finden, werde man lokale Trennungen und Rivalitäten zugunsten einer Zusammenarbeit überwinden müssen. Die lokalen Gesundheitszentren in Bopfingen und Neresheim könnten ein gemeinsames organisatorisches Dach bekommen, das Verwaltung, Personalführung und Immobilienbewirtschaftung übernehme. Nach außen aber könnten die Praxisstandorte getrennt bleiben.
Wörtlich heißt es im Gutachten: „Hier geht es nicht darum, die Bewohner von Neresheim für die Hausarztversorgung nach Bopfingen zu ziehen, sondern darum, ihnen durch die Kooperation in der Organisation von Praxisstrukturen die Versorgung vor Ort zu sichern.“