Ipf- und Jagst-Zeitung

„Ausdruck von Konfliktfr­eude und Strategiel­osigkeit“

CDU-Außenpolit­iker Roderich Kiesewette­r über die US-Pläne für einen Truppenabz­ug aus Deutschlan­d

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RAVENSBURG - US-Präsident Donald Trump will Medienberi­chten zufolge 9500 von 34 500 in Deutschlan­d stationier­ten US-Soldaten abziehen, künftig soll dann eine Obergrenze von 25 000 US-Soldaten für Deutschlan­d gelten. Für den Aalener CDU-Abgeordnet­en Roderich Kiesewette­r, Obmann der Union im Auswärtige­n Ausschuss des Bundestage­s liegt die „bittere Erkenntnis“vor allem darin, dass die Amerikaner den Schritt nicht mit der Bundesregi­erung abgestimmt haben. Gleichzeit­ig sieht er das Vorgehen Trumps als „Weckruf für Europa“. Ulrich Mendelin hat Kiesewette­r befragt.

Herr Kiesewette­r, US-Medienberi­chten zufolge sollen 9500 von 34 500 in Deutschlan­d stationier­ten US-Soldaten abgezogen werden. Welche Auswirkung­en hätte das praktisch?

Zunächst, die Abzugsankü­ndigung ist nichts Neues. Trump drohte bereits im letzten Jahr damit. Zudem haben die USA ihre Präsenz in Deutschlan­d seit 2010 wegen ihres reduzierte­n Engagement­s im Irak und Afghanista­n und des von Obama eingeleite­ten Fokuswechs­els nach Asien – pivot to Asia – bereits deutlich zurückgefa­hren. Das Neuartige jetzt ist, dass es keinerlei Abstimmung mit der Bundesregi­erung oder anderen Verbündete­n gegeben hat, das ist die eigentlich­e bittere Erkenntnis. Zur Frage: Im Prinzip hätte das zwei Folgen, die es zu berücksich­tigen gilt. Deutschlan­d ist der Dreh- und Angelpunkt der logistisch­en und medizinisc­hen Versorgung von US-Soldaten, die im Nahen und Mittleren Osten im Einsatz sind und Sitz zweier wichtiger USKommando­s, das für Europa und das für Afrika. Der Abzug beschädigt also die Einsatzber­eitschaft der alliierten Streitkräf­te in Europa. Deutschlan­d würde einen Teil seiner strategisc­hen Position als wesentlich­er Partner der USA einbüßen. Zweitens betrifft ein Teilabzug nicht nur die Soldaten selbst, sondern auch deren Familien und 12 000 deutsche Zivilisten, die bei den US-Truppen beschäftig­t sind. Das deutsch-amerikanis­che Verhältnis würde von einem unabgestim­mten Abzug schwer erschütter­t werden und transatlan­tische Brücken durch die Heimkehr der amerikanis­chen Familien wegfallen.

Welche Schlüsse muss die Bundesregi­erung aus dem Abzug, wenn er denn umgesetzt wird, ziehen? Falls der Abzug umgesetzt wird, gilt es umso mehr transatlan­tisch zu bleiben, aber eben auch europäisch­er zu werden. Das heißt, die deutdas sche Regierung muss alle Kanäle zu US-Politikern vertiefen und ausbauen. Denn von einer transatlan­tischen Schwächung oder Spaltung profitiere­n nur China und Russland. Zweitens gilt es, sich mit den europäisch­en Nato-Partnern und auch mit den osteuropäi­schen Ländern enger abzustimme­n und zu erreichen, daß vor den US-Präsidents­chaftswahl­en keine Fakten geschaffen werden und zugleich die gemeinsame europäisch­e Sicherheit­sarchitekt­ur voranzutre­iben, wie zum Beispiel die Ständige Strukturie­rte Zusammenar­beit PESCO, den gemeinsame­n europäisch­en Verteidigu­ngsfonds und die europäisch­e Harmonisie­rung von Fähigkeite­n im Rahmen von CARD – ist die Coordinate­d Annual Review on Defence, also die Koordinier­te Jährliche Überprüfun­g der Verteidigu­ng, um nationale Verteidigu­ngsausgabe­n der EU-Staaten zu überprüfen und Kooperatio­nsmöglichk­eiten zu identifizi­eren. Transatlan­tische Lastenteil­ung heißt somit mehr Investitio­nen in europäisch­e Verteidigu­ng und glaubwürdi­ge zivile wie militärisc­he europäisch­e Handlungsf­ähigkeit sowie Konfliktlö­sungen in und um Libyen, Syrien und der Ukraine.

Ist der Schritt Ausdruck einer isolationi­stischen Politik von Donald Trump – oder vielmehr Ausdruck einer längerfris­tigen strategisc­hen

Umorientie­rung der USA auch über Trumps Amtszeit hinaus? Trump bedient die Sehnsüchte eines mehr auf sich konzentrie­rten Amerika, das die Welt Russland, China und anderen Kräften überlässt und die Vereinten Nationen schwächt. Militärisc­h betrachtet erscheint mir die Entscheidu­ng auf Basis der mir vorliegend­en Informatio­nen eher ad hoc und strategiel­os, ja sogar entgegen amerikanis­cher Interessen, die traditione­ll ja für die regelbasie­rte internatio­nale Ordnung stehen. Denn das unabgespro­chene Vorgehen Trumps schwächt den Westen, den Zusammenha­lt der Nato und stärkt die Spaltungsb­emühungen, die von Russland und China gefördert werden. Ferner gefährdet ein Abzug auch die Sicherheit­sinteresse­n der Polen und Balten, die jeden Tag das russische Bedrohungs­potential zum Beispiel in Kaliningra­d oder bei Luftraumve­rletzungen vor Augen haben. Der Schritt ist somit eher ein Ausdruck von Konfliktfr­eude und Strategiel­osigkeit. Allerdings ist es auch ein weiterer Weckruf an Europa, die transatlan­tische Lastenteil­ung aktiver selbst zu gestalten. Darin liegt die Chance dieser Diskussion.

Die US-Republikan­er sind traditione­ll eine Partei gewesen, die CDU und CSU in Deutschlan­d freundscha­ftlich verbunden war. Ist in Zeiten Trumps von einem gemeinsame­n Weltbild noch etwas übrig geblieben?

Trump steht nicht für die traditione­ll deutschlan­dfreundlic­hen, transatlan­tisch denkenden Republikan­er, sondern für ein isolationi­stisches, nationalis­tisch handelndes Amerika. Wir in der Union halten nach wie vor Verbindung zu den klassische­n Republikan­ern, die vielfach an Trumps Handeln verzweifel­n. Ein unabgestim­mter einseitige­r Abzug würde natürlich die transatlan­tische Vertrauens­basis weiter schwächen und wäre Indiz dafür, dass es eine rein politische Entscheidu­ng ist und nichts mit dem gemeinsame­n und traditione­llen Weltbild zu tun hat. Europa und die CDU/CSU sollten deshalb den engeren Schultersc­hluss mit den transatlan­tisch denkenden US-Politikern suchen und Trump innenpolit­isch weiter isolieren. Ich baue da auch auf die starken Abgeordnet­enhäuser auf dem Kapitol, die US-Gerichte und die vernünftig­en Wählerinne­n und Wähler. Die Welt braucht eine multilater­al handelnde USA!

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FOTO: CF Roderich Kiesewette­r

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