Auf der Suche nach einer China-Strategie
Das Verhältnis zu Peking hat gelitten – Doch eine gemeinsame Linie des Westens fehlt
GBERLIN - Die Absage des Gipfels kam nicht unerwartet. Eigentlich wollten sich die führenden Köpfe der EU und Chinas im September in Leipzig treffen. Wegen der Corona-Krise wurde das Ereignis in der vergangenen Woche verschoben, das als Highlight der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr geplant war.
„Die Absage des Gipfels zeigt, wie schwierig das Verhältnis zu China geworden ist“, urteilte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU). Er sieht allerdings noch andere Ursachen als die Vorsichtsmaßnahmen gegen die Pandemie. „Die Gründe liegen in der Intransparenz während Corona, dem Versuch, anderen die eigene Sicht aufzuzwingen und der Repression gegenüber Hongkong.“Die EU müsse ihre China-Politik nun dringend klären.
Das politische Verhältnis westlicher Länder zu China hat in den vergangenen Jahren stark gelitten. Eine einheitliche Linie haben die Staaten bisher dennoch nicht gefunden. Die bisherige Führungsmacht USA mit ihrem Präsidenten Donald Trump mäandert zwischen Anbiederung und Wirtschaftskrieg, und auch die EU ist gespalten in der Frage, ob man China zum Gegner oder zum Verbündeten erklären sollte. „Die EU muss mit einer Stimme sprechen“, fordert auch der deutsche Außen-Staatssekretär Michael Roth (SPD): „Da gibt es Raum für Verbesserungen.“
Mitten in den Streit um den Umgang mit Hongkong und die Kritik des chinesischen Einflusses auf die Weltgesundheitsorganisation (WHO) meldet sich nun eine neue Initiative westlicher Parlamentarier: Sie wollen einen gemeinsamen Ansatz ausarbeiten, wie der Westen mit China umgehen sollte. Dafür haben sie nun eine „Interparlamentarische Allianz zu China“gegründet. Mitglieder im Club sind bisher 22 Politiker aus den Parlamenten der USA, Deutschlands,
Großbritanniens, Japans, Kanadas, Schwedens, Australiens, Litauens, der Niederlande sowie des Europäischen Parlaments. Sie gehören Parteien quer durch das politische Spektrum an – von grün über sozialdemokratisch und liberal bis zu konservativ, vom EU-Abgeordneten und Ex-Chef der Grünen, Reinhard Bütikofer, bis zu Iain Duncan Smith, dem ehemaligen Vorsitzenden der konservativen britischen Tories und Ex-Arbeitsminister.
„China unter der Führung der Kommunistischen Partei stellt eine globale Herausforderung dar“, sagt einer der Gründer, der republikanische US-Senator Marco Rubio, in einem Video, das die Gruppe auf ihre Internetseite gestellt hat. Diese Herausforderung betreffe alle, fügt der menschenrechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Michael Brand (CDU), hinzu. Die Annahmen, dass China sich über die Zeit öffnen würde, hätten sich nicht erfüllt, heißt es weiter in dem Video. Im Gegenteil: Im eigenen Land trete es autoritär auf, im Ausland immer bestimmter. Die westlichen Werte von Freiheit, Demokratie und einer auf Regeln basierenden Weltordnung seien unter Druck geraten. Zwar brauche die Welt China als Land mit „großer Tradition, Kultur, Geschichte und Wirtschaft“. „Aber keinem Land sollte es erlaubt sein, globale Werte und Menschenrechte ungehindert zu gefährden“, betont die grüne Bundestagsabgeordnete Margarete Bause.
Die 27 EU-Staaten tun sich bislang schwer damit, eine Antwort auf die Herausforderung China zu finden, das durch seine sogenannte Neue Seidenstraße immer mehr Einfluss in strategisch wichtigen Staaten gewinnt, auch in der EU, und Handelswege unter seine Kontrolle bringt. Kritik entzündete sich an seiner militärischen Ausdehnung im Südchinesischen Meer und seiner Rolle im Umgang mit der WHO zu Beginn der Corona-Krise. Die USA stellten daraufhin ihre Zahlungen an die UNOrganisation ein.
Auch sonst scheint sich die US-Regierung auf frostige Zeiten einzustellen. Ein wichtiges Papier zur amerikanischen China-Politik hatte im Mai für Aufsehen gesorgt. Darin war als Resümee des 40-jährigen Engagements der USA in der Volksrepublik die Rede davon, dass China es versäumt habe, eine „auf die Bürger gerichtete, freie und offene regelbasierte Ordnung“herzustellen. Die USA strebten daher ein wettbewerbsorientiertes Herangehen an China an, „mit klarem Auge für die Absichten und Taten der Kommunistischen Partei“.
Auch der deutsche Staatssekretär Roth sagt: „China ist nicht nur ein Handelspartner, sondern ein Wettbewerber unserer Werte.“Europa müsse klären, ob es möglich sei, eine gute Zusammenarbeit mit einem offenen Dialog über diese Werte zu kombinieren.
Der EU-China-Gipfel hätte dafür eine gute Gelegenheit geboten. Vor allem drei Punkte hätten dort eine Rolle spielen sollen. Zum einen das geplante Investitionsabkommen, auf das die europäische Wirtschaft schon lange wartet. Zudem sollte es um den Kampf gegen den Klimawandel gehen und um die Entwicklung Afrikas, wo China stark engagiert ist. Wann das Treffen nachgeholt wird, steht noch nicht fest.