Keine Schnäppchen an regionalen Immobilienmärkten
Experten sehen trotz Corona eher eine Delle als eine Trendwende – Anbieter halten an Preisvorstellungen fest
GBERLIN - Die Corona-Infektionswelle ist vorerst abgeebbt. Das öffentliche Leben kommt wieder in Gang. Damit nehmen auch aufgeschobene Projekte wieder Fahrt auf: Bauherren und Hauskäufer setzen die Suche nach geeigneten Grundstücken und Objekten fort. Doch die tief greifende Wirtschaftskrise schafft auf der einen Seite Unsicherheiten, weckt auf der anderen Seite aber Hoffnung auf Schnäppchen.
Erste Marktanalysen deuten gleichwohl darauf hin, dass die Preise hoch bleiben. „In den wirtschaftsstarken Regionen Deutschlands wird Wohnraum weiterhin knapp und teuer bleiben“, sagt Regionalplaner Daniel Hofmann vom Gewos-Institut für Stadt-, Regional- und Wohnforschung. Er rechnet eher mit einem zeitlich befristeten Durchhänger bei der Nachfrage als mit einer Trendwende. Daher dominiert in Oberschwaben trotz Corona vermutlich weiterhin das gegenteilige Problem von Boden- und Wohnraummangel.
Aktuelle Zahlen des Vermittlungsportals Immoscout24 belegen, dass die geforderten Kaufpreise im Kreis Ravensburg auch in der Krise weiter gestiegen sind. Von Januar bis April ist der Quadratmeterpreis für vorhandene Eigentumswohnungen von 3232 Euro auf 3308 Euro geklettert. Im aussagekräftigeren Vorjahresvergleich liegt das Plus bei fast 17 Prozent.
Bei Neubauten lag der Anstieg im Jahresvergleich bei 8,7 Prozent. Hier sind die Preise seit Januar von 4169 Euro pro Quadratmeter auf 4529 Euro im April gestiegen. Auch Bestandshäuser verzeichneten im Kreis Ravensburg ein deutliches Plus. „Die Kontakteinschränkungen durch die Corona-Pandemie haben sich auf Basis unserer Daten nicht auf die Angebotspreisentwicklung ausgewirkt“, urteilen die Analysten des Portals.
Nur Neubauhäuser sind im Kreis Ravensburg etwas günstiger geworden. Im Vergleich zum VorjahresApril verzeichnet der Immoscout24 ein Minus von 4,2 Prozent. Doch mittelfristig werden die steigenden Baulandpreise wieder für stärkere Bewertungen sorgen, glauben Experten. „Die Bodenpreise bleiben voraussichtlich weiterhin hoch“, sagt Reiner Braun, Vorstand des Forschungsinstituts Empirica, das auf Immobilien spezialisiert ist. „Wir sehen hier keine strukturellen Änderungen in der Situation.“
Die Statistik neige auch in der Krise dazu, die Preise zu unterschätzen, erklärt Braun. Schließlich erfasst sie vor allem Objekte, die tatsächlich auf den Markt kommen und dort länger verfügbar sind. Also Flächen auf dem Lande oder zumindest weit vor der Stadtgrenze. Der Markt in den Oberzentren wie Ravensburg, Tuttlingen, Kempten, Biberach oder Ulm bleibt also weiter dicht.
Es ist vielmehr die persönliche Situation, die in Oberschwaben während der Pandemie über die Möglichkeit zum Neubau entscheidet. „Auch die herausragenden Mittelständler in der Region leiden natürlich unter der Situation“, sagt Braun. Erst sei die Lieferkette für die Beschaffung von Teilen gestört gewesen. Jetzt, wo diese wieder in Gang kommt, bricht der Absatz in wichtigen Märkten wie den USA weg. „Das kann auch dem besten Champion Probleme bereiten.“Wer als Unternehmer oder Arbeitnehmer von der Weltkonjunktur abhängt, wird in diesen Zeiten also umsichtig mit seinem Kapital umgehen. Das könne durchaus eine Nachfrageschwäche auslösen.
Doch auch Braun sieht hier eher eine „Delle“. Anbieter von Bauland und anderen Immobilien werden wegen der akuten Krise kaum zu einem riesigen Preisnachlass bereit sein. Schließlich wird erst der weitere Jahresverlauf zeigen, wie schlimm es wirklich wird. Aktuelle Daten des Statistischen Bundesamtes stützen diese Interpretation. Die Zahl der neuen Baugenehmigungen ist deutschlandweit im ersten Quartal um 3,8 Prozent gestiegen. „Die Zahl der Baugenehmigungen ist ein wichtiger Frühindikator zur Einschätzung der zukünftigen Bauaktivität“, teilen die Statistiker mit. Braun weist jedoch darauf hin, dass der Januar und der Februar noch nicht von Corona betroffen waren. Folgen der Krise für die Baugenehmigungen können sich erst im zweiten und dritten Quartal eindeutig zeigen.
Der Staat hält derweil kräftig dagegen, um den Konjunktureinbruch abzufedern. Die Regierungen in Bund und Ländern wollen auch verhindern, dass Bauherren ihre Immobilie verlieren und bieten einen „Lastenzuschuss“an. Für ein Jahr helfen die Behörden dabei, Zins und Tilgung zu bezahlen. Zuständig für den Antrag ist der Landkreis, und zwar immer die Stelle, die auch Wohngeld vergibt.
Den Lastenzuschuss gibt es vor allem für selbst nutzende Hausbesitzer. Berechtigung und Höhe hängen von der Zahl der Familienmitglieder, dem Einkommen und der Belastung durch die monatliche Rückzahlungsrate ab. Auch die üblichen Förderprogramme wie die Landeswohnraumförderung über die L-Bank läuft in der Krise weiter, genauso wie die zahlreichen Angebote der KfW auf Bundesebene.
Das Gewos-Institut erwartet derweil in einer detaillierten Studie, die vor der Krise entstanden ist, für die Region weiter erheblichen Zuzug. Vor allem die Gemeinde Berg könnte demnach in den kommenden Jahrzehnten viele neue Einwohner dazugewinnen. Doch auch in Ravensburg, Weingarten, Baienfurt und Baindt dürfte die Nachfrage das Angebot auf absehbare Zeit übersteigen.
Der Neubaubedarf beträgt für den Gemeindeverband Mittleres Schussental laut Gewos-Institut knapp 5500 neue Wohnungen bis 2040, sodass jährlich zwischen 236 und 330 Einheiten fertiggestellt werden müssten. Der größte Bedarf besteht demnach in den Städten Ravensburg und Weingarten. Hier sind vor allem Wohnungen gefragt, während in Baienfurt, Baindt und Berg vor allem Häuser benötigt werden. Aus dieser Rechnung leitet sich ab, dass bis 2040 im Mittleren Schussental über 138 Hektar neue Wohnbaufläche hinzukommen müssen.
Dieses Ziel wird allenfalls knapp erreicht werden, zumal Corona den Wohnraumbedarf kaum dämpfen wird – eher im Gegenteil. „Wenn in Deutschland die Erholung schneller geht als in Spanien oder Italien, ist erneut mit einem Zuzug von Arbeitskräften in die Region zu rechnen“, sagt Hofmann. Oberschwaben bleibt wegen seiner günstigen Arbeitsplatzlage attraktiv, während die coronabedingte Konjunkturdelle in den südeuropäischen Ländern voraussichtlich tiefer und länger sein wird.
Der vorhandene Wohnungsbestand entspricht dabei nicht den aktuellen Bedürfnissen – er stammt aus den Fünfziger- bis Siebzigerjahren. Weder von der Größe noch von der Substanz her entspricht er den vorhandenen Erwartungen. Und die verschieben sich durch Corona erneut: Experte Braun vom Empirica-Institut nimmt an, dass der Trend zum Homeoffice zu höherer Nachfrage nach großzügig geschnittenen Einheiten führt – mit einem schönen Arbeitszimmer und großen Vorratsräumen. Auch dafür sind mehr Neubauten nötig. Das hält die Nachfrage hoch.