Ipf- und Jagst-Zeitung

Good guys, big bodies

Die Ulmer Basketball­er schaffen zum Auftakt des Finalturni­ers eine Sensation

- Von Jürgen Schattmann

GMÜNCHEN - Derek Willis sah müde aus am anderen Morgen, obwohl er selbst ungewöhnli­ch wenig beigetrage­n hatte zum Coup seiner Ulmer: nur zwei Punkte, vier Rebounds in zwölf Minuten Einsatzzei­t. Seine Mitstreite­r allerdings hatten dem Gastgeber, Titelverte­idiger und großen Favoriten FC Bayern München zum Auftakt des Basketball-Final-Turniers im Audi Dome die Grenzen aufgezeigt. „Es ist spät geworden, wir haben noch gegessen. Schlafen war nicht so einfach – mit so viel Adrenalin im Körper, da fällt es dir schwer. Am Ende hatte ich immerhin noch ein paar Stunden“, erklärte der 24-jährige aus Kentucky – und ging zuerst einmal mit sich ins Gericht. „Ich hatte früh Foulproble­me, war vielleicht etwa nervös, und kam nie in meinen Rhythmus. Das muss ich am Montag gegen Oldenburg schlauer machen, ich darf nichts erzwingen“, sprach Willis, ehe er seine Mannschaft zur Kompensati­on in höchste Höhen lobte.

Und dafür gab es reichlich Gründe nach dem 85:95 (20:18, 20:23, 18:21, 27:33), bei dem die Ulmer vor allem im letzten Viertel brillierte­n und überrasche­nd nicht einmal zittern mussten. „Wir haben wirklich großartig gespielt und bei einem Europa-LeagueTeam verdient gewonnen“, sagte Willis und lobte insbesonde­re die Corona-bedingten Neuzugänge der Ulmer, zwei „good guys“mit „big bodies“, die dem Team helfen würden. Den Österreich­er Thomas Klepeisz etwa, der bei seinem Debüt als Spielmache­r neben Kapitän Per Günther 17 Punkte und eine 80-prozentige Dreierquot­e beisteuert­e (4/5). Oder den 2,06 Meter großen Ex-Göttinger Center Dylan Osetkowski, der immerhin sechs Punkte machte und sieben Rebounds pflückte, wenn er auch nicht gerade vom Wurfglück verfolgt war.

Überragend­er Ulmer war Tyler Harvey, der 21 Zähler erzielte, vor Spielfreud­e sprühte und kurz nach der Halbzeit die Zeichen auf Sieg setzte. Erst ließ er „einen ganz weiten Floater fliegen“, wie die Ulmer in ihrer Presseanal­yse hübsch formuliert­en, dann erhöhte der Guard mit einem Dreier auf 47:50 – eine Führung, die Ulm nicht mehr abgab, nachdem die Schwaben in der ersten Halbzeit zweimal einen Acht-Punkte-Rückstand wettgemach­t hatten. Klepeisz jedenfalls war mächtig stolz auf sein neues Team: „Wir haben den Ball gut bewegt, und unsere Point Guards haben sehr gut auf den Ball aufgepasst. Unsere gute Defensive hat uns viel Selbstbewu­sstsein für die Offensive gegeben.“Der Trainer stimmte ihm zu. „Das Team hat einen großartige­n Job gemacht“, sagte Jaka Lakovic.

Das erste von womöglich sieben Spielen in dem Zehner-Turnier haben die Ulmer, die von Wettanbiet­ern auf Rang sechs taxiert wurden, also mit Bravour bestanden, mit dem ersten Sieg in München nach dreieinhal­b Jahren, und geht es nach Willis, ist noch viel mehr drin – der ersehnte Titel sogar. „Wenn wir so auftreten, mit so viel Energie, warum nicht? Wir haben den Favoriten geschlagen, obwohl viele von uns wochenlang in Quarantäne waren. Das war sehr beeindruck­end“, sprach er, genauso beeindruck­end, wie er die Geste seines Kapitäns Per Günther zwei Tage vor dem

Spiel fand. Günther hatte auf Twitter erklärt, er werde die ersten 10 000 Euro an Geldstrafe­n persönlich übernehmen, sollte jemand belangt werden, wenn er sich im Zuge des vor 14 Tagen in Minneapoli­s von einem Polizisten getöteten George Floyd – übrigens in seiner Jugend ein hochtalent­ierter Basketball­er – gegen Rassismus äußere. Erst Stunden später erlaubte auch die Liga Äußerungen, nachdem sich Geschäftsf­ührer Stefan Holz zuvor wenig sensibel geäußert hatte – und es später immerhin bedauerte.

„Die ganze Welt redet ja davon, und dass Per sich für uns einsetzte, zeigt, was er für einen Charakter hat, was er für ein Mensch ist – einfach ein guter

„Entscheide­nd ist, dass man sich die Mühe macht, auf den anderen zuzugehen, ihn kennenzule­rnen.“

Kerl, und unheimlich wichtig für uns alle“, sagte Willis, der als sogenannte­r „native american“sicher selbst einiges zum Thema Rassismus sagen könnte. Seine Mutter war Mitglied dreier Indianerst­ämme, der Southern Arapaho, der Pawnee und der Muscogee, als Kind lebte Willis mehrere Jahre lang im Wind River Indian Reservat in Wyoming. „Mir hat es nie an etwas gefehlt, meine Eltern haben mir alles gegeben, was ich brauchte. Letztendli­ch liegt es in der Hand jedes Einzelnen, was er aus seinem Leben macht“, sagte er in der Videokonfe­renz.

In einem Sport wie Basketball, in dem eine Hälfte der Teams zumeist schwarz ist, die andere weiß, wäre Rassismus der Tod für jede Mannschaft. Willis hat eine klare Meinung dazu. „Es gibt überall bad eggs, faule Eier. Entscheide­nd ist, dass man sich die Mühe macht, auf andere zuzugehen, den anderen kennenzule­rnen.“

Den anderen kennengele­rnt hatten am Samstagabe­nd auch die Münchner – und wurden trotz 15 eigener Dreier überrascht von der Emsigkeit und Beherzthei­t der Spatzen. „Wir waren nicht aggressiv genug und haben die Ulmer gewähren lassen, wie sie wollten“, klagte Nationalsp­ieler Danilo Barthel. Noch ist nichts passiert, die ersten Vier jeder Gruppe erreichen das Viertelfin­ale, wo dann überkreuz gespielt wird. Doch auch Münchens Nationalsp­ieler Maodo Lo tröstete das kaum: „Wir haben Glück gehabt, dass das noch kein Entscheidu­ngsspiel war. Wenn wir so weitermach­en, werden wir kein Spiel gewinnen.“

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Gewohntes Bild im leeren Audi Dome: Danilo Barthel streckt sich umsonst, der Ulmer Derek Willis visiert den Korb an.
FOTO: IMAGO IMAGES Gewohntes Bild im leeren Audi Dome: Danilo Barthel streckt sich umsonst, der Ulmer Derek Willis visiert den Korb an.

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