Alles für das eine Spiel
Vor drei Monaten hat Saarbrücken zuletzt gespielt – Jetzt geht es ins DFB-Pokalhalbfinale
SAARBRÜCKEN (dpa/SID) - In ihrem Quarantäne-Hotel „Victor’s“saß die komplette Mannschaft des 1. FC Saarbrücken beisammen. Trainer Lukas Kwasniok hatte extra den Trainingsplan geändert, damit alle auf Abstand das Spiel zwischen Bayer Leverkusen und Bayern München am Samstag schauen konnten. „Den nächsten und den übernächsten Gegner in einem Spiel beobachten zu können, ist schon eine geile Sache“, sagt Kwasniok, lacht und schiebt hinterher: „Gut, dass wir die Bayern erst im Finale haben.“Keine Frage: Der krasse Außenseiter und SensationsHalbfinalist hat trotz aller Widrigkeiten noch lange nicht genug.
Am Dienstag trifft der FCS im Halbfinale des DFB-Pokals auf Leverkusen (20.45 Uhr/ARD und Sky). Es waren bereits vier Siege für die Ewigkeit, nun wittert der 1. FC Saarbrücken im DFB-Pokal das größte Wunder in der Geschichte des deutschen Fußballs. „Wenn man ehrlich ist, haben wir keine Chance“, sagt Mittelfeldspieler Tobias Jänicke. „Aber das ist ein Halbfinale. Wenn man da steht, dann will man natürlich die verschwindend geringe Chance nutzen.“Auch Kwasniok gibt sich kämpferisch. „In 99 von 100 Spielen werden wir nicht als Sieger vom Platz gehen. Aber der 9. Juni kann ein ganz besonderer Tag werden. Wir wollen ihn zu einem Feiertag machen im Saarland“, sagte er dem Saarländischen Rundfunk.
Die Chancen auf eine weitere Sensation erscheinen tatsächlich extrem gering, denn die Umstände sind schwierig. Sorgen bereitet Kwasniok nach dem Abbruch der Regionalliga Südwest die fehlende Wettkampfpraxis, das letzte Pflichtspiel ist drei Monate her. „Die Wettkampfhärte können wir nicht simulieren“, gibt Kwasniok zu. „Wir werden uns in den ersten 15 Minuten an das Gefühl gewöhnen müssen, überhaupt wieder ein Spiel zu haben.“
Seit sechs Wochen trainiert der Drittliga-Aufsteiger nur auf dieses eine Spiel hin. Und musste extra dafür ins Quarantäne-Trainingslager. Zu allem Überfluss wird das größte Spiel der Vereinsgeschichte seit 35 Jahren auch noch zum Geisterspiel. Als kleiner Vorteil bleibt allerdings trotz der fehlenden Fans, die auf dem historischen Siegeszug gegen Jahn Regensburg, den 1. FC Köln, den Karlsruher SC und Fortuna Düsseldorf noch ein „Faustpfand“(Jänicke) waren, die Dorfplatzatmosphäre in Völklingen. „Vielleicht ist es sogar noch ein bisschen schlimmer, wenn gar keine Zuschauer da sind“, sagte Viertelfinal-Torschütze Jänicke. Leverkusens Trainer Peter
Bosz, der auf den verletzten Kai Havertz verzichten muss, gibt sich allerdings entspannt: „In der Bundesliga herrschen im Moment auch keine Bundesliga-Bedingungen.“
Natürlich hätte es mit Zuschauern noch viel schöner kommen können für Saarbrücken. „Aber 33 Profivereine würden gerne mit uns tauschen“, sagt Sportdirektor Marcus Mann. Bitter ist das Fehlen der Zuschauer aber nicht nur, „weil wir den zwölften Mann verloren haben und es elf gegen elf richten müssen“, wie Kwasniok es sagt. Das eigentlich ungeliebte Stadion in Völklingen, das wegen des seit 2016 dauernden Umbaus des Saarbrücker Ludwigspark die Heimstätte des Bundesliga-Gründungsmitglieds ist, wurde beim Pokalmärchen zum echten Pfund. „Ein halbes Stadion“sei es, sagt Geschäftsführer
David Fischer. Es zieht. Das Flutlicht kommt über externe Masten. Und von einer Tribüne schaut man in ein Schwimmbad.
Die Leverkusener warten seit 27 Jahren auf einen Titel, hatten endlich mal Losglück und wollen die große Chance nicht wegwerfen. Fehlende Motivation kann sich Trainer Bosz nicht vorstellen. „Dass man mit einem Spiel ins Endspiel kommen kann, das muss für jeden Spieler etwas Besonderes sein. Wenn die Spieler das nicht verstehen, habe ich keinerlei Verständnis.“
„33 Profivereine würden gerne mit uns tauschen.“