Getriebe-Entwickler ohne Aufsicht
ZF zahlt 42,5 Millionen Euro, weil der Zulieferer an Audi illegale Software für Dieselantriebe lieferte – Ermittlungen gegen Mitarbeiter dauern an
GFRIEDRICHSHAFEN - Der Autobauer Audi gehört seit Langem zu den wichtigen Kunden des Friedrichshafener Zulieferers ZF. Gerne verwendet die VW-Tochter aus Ingolstadt eines der Premiumprodukte des Traditionsunternehmens vom Bodensee: das Achtgang-Automatikgetriebe 8HP – vor allem in großen Limousinen der Typen A6, A7, A8 und Q5 findet das Bauteil mit der internen Bezeichnung AL 551 Verwendung. Nun ist klar: Mit dem Getriebe hat ZF Audi auch eine Software verkauft, die Getriebe und Motor so gesteuert haben, dass die damit ausgestatteten Dieselautos mehr Stickoxide ausstießen als nach den Regularien erlaubt.
Zu diesem Ergebnis kommt jedenfalls die Staatsanwaltschaft Stuttgart nach Abschluss ihres Ermittlungsverfahrens. Die Behörde verhängt wegen fahrlässiger Verletzung der Aufsichtspflicht im Unternehmen eine Geldbuße gegen ZF in Höhe von 42,5 Millionen Euro, wie Staatsanwalt Jan Holzner der „Schwäbischen Zeitung“bestätigte. „Die Pflichtverletzung führte dazu, dass Software, die ZF gemeinsam mit Getrieben im Zeitraum seit 2002 an verschiedene inund ausländischen Autobauer ausgeliefert hat, unzureichend auf die Möglichkeit missbräuchlicher Verwendung geprüft wurde“, sagte Holzer weiter. Dadurch sei eine Software ausgeliefert worden, die vereinzelt eine unzulässige Strategie enthielt. „Die unzulässige Softwarestrategie führte bei einem Autohersteller dazu, dass die damit ausgestatteten Fahrzeug
mehr Stickoxide ausstießen, als dies nach den regulatorischen Anforderungen zulässig war.“Nach Informationen der „Schwäbischen Zeitung“aus Unternehmenskreisen handelt es sich bei diesem Autobauer um Audi. ZF akzeptiert die Geldbuße und will nach eigenen Angaben keine Rechtsmittel gegen die Entscheidung einlegen.
Nicht zu Ende ist dagegen das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen zwei Ingenieure von ZF, die an der Entwicklung und Programmierung der unzulässigen Software beteiligt waren. Gegen sie ermittelt die Behörde wegen des Verdachts auf Betrug und des Verdachts auf Falschbeurkundung. Die Frage, ob die beiden Mitarbeiter von ZF noch bei dem Konzern beschäftigt sind, wollten weder die Staatsanwaltschaft noch das Unternehmen beantworten. „Die fraglichen Personen kommen aus dem unteren bis mittleren Management“, sagte Holzner. „Wir ermitteln nicht gegen Mitglieder des Vorstands, dafür haben wir keine Anhaltspunkte.“
Ausgangspunkt der staatsanwaltlichen Ermittlungen war eine Razzia bei ZF im Herbst 2017: Interne Ermittler waren in Büros gestürmt, hatten Laptops zugeklappt und Rechner eingesammelt. In persönlichen Befragungen mussten Ingenieure zum Vorwurf Stellung nehmen, dass ZFEntwickler Audi und anderen Kunden des baden-württembergischen Traditionsunternehmens geholfen hatten, Abgaswerte von Autos zu manipulieren, damit gesetzliche Grenzwerte eingehalten werden. Vier hochrangige Mitarbeiter – neben Entwicklungschef Harald Naunheimer, der Leiter der Entwicklung Pkw-Getriebe, der Leiter Entwicklung Getriebesteuerung sowie der Chef der Getriebeentwicklung am Standort Saarbrücken – verließen in der Folge den Konzern.
ZF bestätigte, dass „es nach den Ermittlungsergebnissen der Staatsanwaltschaft Stuttgart zu einer fahrlässigen Verletzung der Aufsichtspflicht auf einer mittleren Managementebene im Unternehmen gekommen ist“. Die Fragen, ob lediglich die beiden Mitarbeiter, gegen die weiter ermittelt wird, von der unzulässigen Software wussten, ob die illegale Programmierung von Audi bestellt oder von ZF angeboten wurde und welche anderen Autobauer außer Audi noch mit den Produkten beliefert wurden, beantwortete ZF nicht. „Wir haben mit den Ermittlungsbehörden im gesamten Verlauf des Ermittlungsverfahrens kooperiert“, sagte ein Sprecher der „Schwäbischen Zeitung“. „Im Rahmen unserer ComplianceVorschriften haben wir Prozesse und Berichtswege fortlaufend optimiert und die Sensibilität für Compliancerelevante Themen geschärft.“
Audi selbst wollte sich auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“ebenfalls nicht zu weiteren Details und zur Frage äußeren, wieviele Getriebe mit fehlerhafter Software der Autobauer von ZF bezogen habe. „Bitte haben Sie Verständnis, dass Audi sich nicht zu Ermittlungsverfahren und etwaigen
Bußgeldern gegen Dritte äußern kann“, sagte ein Sprecher.
Die Höhe der Geldbuße setzt sich nach Angaben der Staatsanwaltschaft Stuttgart wir folgt zusammen: Für die Ahndung der Ordnungswidrigkeit muss ZF 2,5 Millionen Euro zahlen. Dazu kommen 40 Millionen Euro, mit denen die Behörde die wirtschaftlichen Vorteile, die ZF mit dem Verkauf der illegalen Produkte erzielt hat, zurückfordert. Die Höhe dieses sogenannten Abschöpfungsteils richte sich nach den Gewinnen aus dem Handel mit den betroffenen Getrieben. Bei der Bemessung der Geldbuße hat die Staatsanwaltschaft zudem berücksichtigt, dass ZF bei dem Ermittlungsverfahren mit den Ermittlern zusammengearbeitet hat.
Neben den Stuttgarter Ermittlungen ist ZF im vergangenen Jahr zudem in den USA von Klägern wegen einer möglichen Verstrickung in Abgasbetrügereien angegriffen worden. In einer Sammelklage gegen Audi und den Zulieferer-Rivalen Bosch hatten die Klageführer ZF als „Co-Conspirator“(also als Mitverschwörer) aufgeführt. Die Anwälte warfen ZF vor, „direkt oder indirekt“in die Vorgänge verwickelt zu sein, die zu den falschen Abgaswerten bei in den USA verkauften Audimodellen geführt haben sollen. Nach einem Vergleich und einer Einigung der Parteien haben die Kläger die Klage zurückgezogen.
Wann nun auch die Stuttgarter Ermittlungen endgültig vom Tisch sind, ist unklar. Die Staatsanwaltschaft äußerte sich nicht dazu, wie lange das Verfahren gegen die beiden ZF-Ingenieure noch dauern wird.