Ehre für den intelligenten Fußballer
VfB-Trainer Pellegrino Matarazzo fordert neue Anspannung und setzt gegen Darmstadt auf Mario Gomez
GSTUTTGART - Gratulationen zur Bundesliga-Rückkehr lehnte Pellegrino Matarazzo am Freitag noch ab, obwohl er zugab, man habe nach dem 6:0 in Nürnberg in der Kabine und im Bus „noch ein paar Bierchen“getrunken. Durften der VfB und sein Trainer auch. Dass die Stuttgarter am Sonntag beim Heimspiel gegen den Rückrundenzweiten Darmstadt 98 (15.30 Uhr) Platz zwei noch hergeben angesichts von drei Punkten und elf Toren Vorsprung auf Heidenheim, ist in etwa so wahrscheinlich wie ein Wintereinbruch in der Sahara.
Trotzdem muss so ein Übungsleiter und Pädagoge natürlich Vorbild und Warner sein, ganz ohne Mühen wird es am Sonntag gegen den Rückrunden-Zweiten nicht gehen. „Wir hatten zwei Tage frei, aber jetzt gilt es, die Spannung wieder aufzubauen. Zuviel Entspannung ist schädlich, der Job ist noch nicht erledigt“, sagte Matarazzo. „Feiern können wir am Sonntagabend immer noch.“
Für den 42-jährigen Amerikaner aus New Jersey waren die Kantersiege gegen Sandhausen und beim Club eine Genugtuung. Viel hätte nicht gefehlt, und Matarazzo hätte sogar die Allzeitrekorde des VfB – ein 8:0 über Zweitligist Regensburg (sechs Tore Ottmar Hitzfeld) und ein 7:0 in Düsseldorf (fünf Tore Jürgen Klinsmann) – nach sechs Monaten Amtszeit gebrochen. Andererseits muss so ein Rekord bei einem VfB-Trainer nicht viel Wert sein. Christian Gross wurde 2010 drei Wochen nach einem 7:0 über Gladbach entlassen. Insofern: Schon gut, dass Stuttgart nicht höher gewann in Franken.
Matarazzo räumte am Freitag ein, er habe viel aus den jüngsten drei Monaten gelernt. Nach der CoronaPause und der Pleite gegen Wehen etwa habe er auch deshalb wieder auf Viererkette umgestellt, weil die Automatismen nicht mehr griffen. Er habe sich mit der Mannschaft unterhalten, gemeinsam habe man entschieden, zur gewohnten Taktik zurückzukehren. „Das hat Energie, Frische und Sicherheit gebracht.“
Der Trainer bedachte vor dem Saisonfinale viele Spieler mit Extralob.
Den Japaner Wataru Endo etwa, seinen Sechser, der „mit wenigen Kontakten nach vorne spielt, sehr fleißig alle Löcher zuläuft“. Und alle Ersatz- und Führungsspieler, die auf der Bank saßen, „aber sich immer im Sinne der Mannschaft verhielten, auch verbal“. Und natürlich Mario Gomez, der am Sonntag nach insgesamt zehneinhalb Jahren im Club sein letztes Spiel für den VfB bestreitet, wobei nicht ausgeschlossen ist, dass eines Tages einige in der Traditionsmannschaft hinzukommen.
Denn dass Gomez eine Symbolfigur für den Club war und ist, bestätigte auch Matarazzo. „Es ist unser
Job und unsere Verantwortung, ihm einen würdigen Abschied zu schenken“, sagte der Trainer und kündigte an, dass Gomez von Anfang an spielen werde. „Die anderen sollen ihn viel füttern und anspielen in der Box, er soll ein Tor machen“, forderte Matarazzo und schwärmte über den 34Jährigen. „Mario hat eine enorme Karriere hingelegt. Er ist fußballerisch und menschlich ein Topmann: intelligent, bodenständig, professionell ohne Ende“. Und, da musste auch Matarazzo beim Loben schmunzeln: „Für einen Fußballer ist er unglaublich intelligent.“Er habe in Gesprächen viel von Gomez gelernt, „über seine Sicht der Dinge, und ich bin dankbar, dass ich ihn sechs Monate trainieren durfte“.
Nicht ausgeschlossen, dass Gomez sogar als Kapitän ins Stadion einläuft, zumal Amtsinhaber MarcOliver Kempf verletzt ist. Nur Publikum, das wird der Torjäger, der einst als knapp Fünfjähriger zu Hause beim SV Unlingen mit dem Kicken anfing, natürlich nicht haben. „Wenn er eine Zuschauerzahl verdient hätte, hätte er mehr als ein volles Stadion verdient“, sagte Matarazzo.
Was Gomez danach macht, werde er selbst erklären, verkündete der Trainer, vermutlich zunächst einmal das, was der ganze VfB ab Montag macht: Urlaub. „Wir können also ausschlafen.“Das könnte auch nötig sein, denn zumindest intern dürfte kräftig gefeiert werden. Seine Anhänger dagegen warnte der Club davor, zum Stadion zu kommen. Die Mannschaft werde sich den Fans nicht präsentieren, es werde keinen Kontakt geben, ließ der VfB wissen.
Keinen Kontakt des Clubs gab es im Übrigen auch zum 32-jährigen ExNationalspieler Max Kruse. Der frühere Bremer, der bei Fenerbahce Istanbul wegen ausbleibender Lohnzahlungen einseitig gekündigt hat, klärte am Freitagmorgen auf, sein Instagram-Foto der VfB-Geschäftsstelle inklusive Video sei ein kleiner PR-Gag gewesen zugunsten der Non-Profit-Organisation „Viva con Agua“des Ex-VfB-Spielers Benjamin
Adrion, Sohn des VfB-Aufsichtsratsmitglieds Rainer Adrion. Der Verein setzt sich für weltweiten Zugang zu sauberem Trinkwasser ein. Kruse erklärte, er sei Hauptsponsor einer Kunstaustellung des Vereins, die am Freitag in Stuttgart eröffnet wurde.
„Bitte seid mir nicht böse“, entschuldigte sich der ablösefreie Kruse bei den VfB-Fans für die kurzzeitigen Verwirrung. „Wie ihr wisst, ist der Fußball meine große Liebe. Aber es gibt tatsächlich was im Leben, was noch wichtiger ist als der Fußball, und das ist unter anderem der Zugang zu sauberem Trinkwasser.“
Den dürften zumindest Kruses neue Lieblingskollegen aus Stuttgart am Sonntagabend haben. Matarazzo wollte nicht ausschließen, dass zum Trinkwasser vielleicht ein Glas Whisky hinzukommen könnte. Denn der Aufstieg sei für ihn „persönlich auch eine gewisse Bestätigung, dass ich es kann, dass die letzten Zweifel weggeräumt werden“.