„An Wahltagen wird abgerechnet“
Interview mit Professor Helmar Schöne von der PH Gmünd vor der Wahl während der Corona-Pandemie
AALEN - An diesem Sonntag nun findet die Wahl zum 17. Landtag in Baden-Württemberg statt. Zu Zeiten der Corona-Pandemie ist einiges anders als in den vergangenen Jahren. Was genau – und vor allem, wie sich das auswirken könnte, das hat Professor Helmar Schöne, stellvertretender Institutsdirektor, Prodekan und Abteilungsleiter Politikwissenschaften an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd im Gespräch mit Timo Lämmerhirt erörtert.
Die neuesten Umfragewerte lassen ein ähnliches Wahlergebnis wie vor fünf Jahren erwarten, Grüne (etwa 34,0 Prozentpunkte) und CDU (etwa 28,0) liegen klar vorne. Kann man daraus vielleicht sogar eine gewisse Zufriedenheit der Bürger mit der grün-schwarzen Landesregierung ablesen bei aller Kritik, die während der CoronaPandemie auf diese einprasselt? Selbstverständlich. An Wahltagen wird abgerechnet. Deshalb sind Wahlen für unsere Demokratie von so zentraler Bedeutung – und wir alle sollten uns an ihnen beteiligen. Sie bieten die Möglichkeit, Regierungen, mit deren Arbeit wir unzufrieden waren, abzuwählen. Umgekehrt erwerben sich Regierungen, vor allem ihre prominenten Spitzenleute, durch gute Arbeit Vertrauen. Gute Wahlergebnisse sind ein Zeichen für die Zufriedenheit der Wählerinnen und Wähler mit einer Partei.
Oft steht ja die Kritik an Politikerinnen und Politikern im Vordergrund. Wir sollten aber nicht übersehen, dass gerade in der Pandemie die Zustimmungswerte zu den Entscheidungen und Maßnahmen sowohl der Bundes- als auch der Landesregierung lange Zeit sehr hoch waren. Das hat sich erst in den vergangenen Wochen verändert. Querdenker mögen einen Platz in der Presseberichterstattung haben und viele Gemüter erregen, sie vertreten aber ganz klar nicht die Mehrheitsgesellschaft.
Bei diesem Wahlkampf kann man die Corona-Pandemie natürlich nicht außen vorlassen. Der Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider (seit 2006 Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim, Anmerkung der Redaktion) geht davon aus, dass die Digitalisierung eine dreimal so große Rolle spielt, wie noch 2016.
Wie haben sich die Parteien diesbezüglich Ihrer Meinung nach geschlagen?
Corona verstärkt hier Prozesse, die längst vorher begonnen haben. In anderen Ländern ist diese Digitalisierung bereits viel weiter fortgeschritten. Wie so oft sind die USA voraus. Barack Obama hat bereits die Wahl 2008 auch deshalb gewonnen, weil seine Internetkampagne um Längen besser war als die seines Gegenkandidaten John McCain. Aber auch in Deutschland setzen alle Parteien schon länger zusätzlich zu den klassischen Wahlkampfinstrumenten, also Veranstaltungen, Plakate und Straßenwahlkampf, auf die sozialen Medien. Das verschiebt sich jetzt weiter: Bislang gab es eine Parallelität, nun tritt der digitale Wahlkampf in den Vordergrund. Wir sehen aber beispielsweise an den Plakaten auf der Straße, dass auch die etablierten Wahlkampfmethoden erhalten bleiben. Insbesondere für Versammlungen, in denen Menschen direkt miteinander diskutieren, streiten und Kompromisse ausloten können, wird das unbedingt notwendig bleiben.
Wie bewerten Sie die auch bei uns im Ostalbkreis häufig öffentlich stattfindenden Videokonferenzen der Parteien?
Da gibt es viele positive Aspekte, aber auch eine negative Rückseite. Hervorzuheben ist, dass die Pandemie die politische Debatte nicht stoppen konnte und es eine lebendige Auseinandersetzung jetzt eben in Online-Formaten gibt. Das funktioniert bemerkenswert gut und ich beobachte auch einen Wettbewerb um abwechslungsreiche und attraktive Angebote. Die Pandemie ist eine demokratische Zumutung, hat die Bundeskanzlerin richtigerweise gesagt. Das Gute ist aber, dass der demokratische Diskurs nicht eingeschlafen ist. Das ist wichtig, weil der Wettstreit politischer Ideen ein Lebenselixier der Demokratie ist. Auf einem anderen Blatt steht, dass sich dabei viele Politikerinnen und Politiker aus der Region etwas professioneller in Szene setzen könnten. Da würde manchmal bereits eine bessere Ausleuchtung, ein interessanter Hintergrund oder ein anderer Bildschirmausschnitt genügen.
Bei allem Optimismus gibt es Probleme: Für viele Menschen, zum Beispiel Ältere oder für diejenigen, die keine so gute digitale Ausstattung haben, sind die Online-Angebote auch mit Zugangshürden verbunden. Es sind bestimmte, besser situierte Bevölkerungsgruppen, die sich hier beteiligen. Außerdem finden viele dieser Partei-Angebote jeweils in der eigenen Blase statt. Die eigene Klientel ist meist unter sich.
Das ist bei analogen Parteiveranstaltungen nicht anders, aber unter Lockdown-Bedingungen fallen all die anderen Gelegenheiten weg, bei denen sich die verschiedenen politischen Lager treffen und mischen: die zweite Halbzeit nach einem gemeinsamen Fußballspiel, die Infostände der Parteien nebeneinander auf dem Marktplatz, der Austausch über eine Inszenierung an der Theaterbar oder die aufgeregte Diskussion in Elternbeiratssitzungen. Die deliberative Öffentlichkeit nimmt dann doch Schaden.
Glauben Sie, dass dieser digitale Wahlkampf in diesen Zeiten mehr jüngere Menschen dazu animiert hat, sich mehr mit dem Politikgeschehen auseinanderzusetzen? Wie ist da Ihre Erfahrung bei uns im Ostalbkreis?
Die jüngeren Menschen gibt es nicht. Jugend ist vielfältig. Aus den Jugendstudien der letzten Jahre wissen wir, dass eine Mehrheit – 56 Prozent – meint, Politik sei „out“. Unter denjenigen, die sich aktiv einbringen, sind überproportional viele Gymnasiastinnen und Gymnasiasten. Fridays for Future beispielsweise erreicht Schüler und Schülerinnen von Realund Werkrealschulen deutlich schwerer.
Auch unter den Erstwählerinnen und -wählern sehen wir solche sozialen Schließungstendenzen: Jungwähler aus ärmeren und bildungsschwachen Familien wählen seltener. Andererseits sind die digitalen und sozialen Kompetenzen, mit denen aktive Jugendliche sich engagieren, höchst beachtlich und teilweise absolut professionell. An diesen großen Trends ändert Corona nichts.
Die Menschen sind vorsichtiger geworden, einige haben auch Angst. Wahllokale werden am 14. März nicht das Ausflugsziel Nummer eins werden, stattdessen dürfte die Briefwahl boomen. Welche Auswirkungen wird das für die Parteien haben?
Das ist kaum seriös vorherzusagen, weil die Corona-Krise eine neue und außergewöhnliche Ausnahmesituation darstellt. Vielleicht sind jetzt auch Menschen zur Briefwahl motiviert, die davon sonst keinen Gebrauch machen. Normalerweise schneiden unter den per Brief Wählenden die CDU und die Grünen besser ab. Die CDU hat einen hohen Anteil älterer Unterstützer, für die das Wählen so etwas wie Bürgerpflicht ist. Bei den Grünen sind viele gut gebildete und mobile Bevölkerungsgruppen engagiert, für die das Briefwählen selbstverständlich und keine Hürde ist. Dagegen tun sich manche Wählergruppen der SPD, Ältere mit formal niedrigeren Bildungsabschlüssen etwa, mit der Briefwahl eher schwer. Auch die AfD könnte Einbußen haben, weil Protestwähler sich oft nicht im Vorfeld um die Briefwahlanträge kümmern. Aber, wie gesagt: Unter Corona ist vieles anders und das kann auch beim Wahlverhalten so sein.
Professor. Helmar Schöne
2011 lag die Wahlbeteiligung bei 66,3, 2016 bei 70,4 Prozent. Glauben Sie, dass die Corona-Pandemie dazu geführt haben könnte, dass die Landtagswahl eine höhere Bedeutung für die Menschen hat, es also noch einmal einen Anstieg geben wird/könnte?
Früher waren die Menschen oft auf Dauer an eine Partei gebunden. Diese sogenannte Parteiidentifikation hat nachgelassen. Viele Menschen wählen heute mal die eine, mal die andere Partei – oder sie wählen auch gar nicht.
Aus Umfragen ist bekannt, dass etwa die Hälfte der Befragten noch nicht sicher wissen, wen oder ob sie wählen wollen.
Das erschwert Prognosen. Außerdem ist Corona nicht der einzige Einflussfaktor. Im
Moment erschüttern ja
Skandale um zwei CDU/ CSU-Bundestagsabgeordnete, einer aus Baden-Württemberg, die sich an Maskendeals bereichert haben sollen, die Republik. Auch das kann Auswirkungen auf die Wahlen haben.
„Der Wettstreit politischer Ideen ist ein Lebenselixier der Demokratie.“
Speziell in Krisen erlangen die Parteien aus dem rechten Spektrum größeren Zuspruch. Nun befinden wir uns in einer der größten Krisen unserer Zeit – und die AfD hat bislang zumindest keine Bäume ausgerissen, liegt bei den jüngsten Umfragewerten etwa bei elf Prozent. Ist diese These damit obsolet?
Es spricht einiges dafür, dass die AfD wieder auf dem absteigenden Ast ist. Dafür gibt es vor allem drei Gründe: Erstens hat sich die Fraktion im Landtag zerstritten und als unfähig präsentiert, Politik zu gestalten. Sie schrumpfte von 23 auf 15 Abgeordnete. Zweitens ist die AfD immer weiter in die rechte Ecke gerückt. Der Einfluss von Neonazis verschreckt dann doch viele Wähler. Drittens vertrauen in der Krise die Bürgerinnen und Bürger doch lieber auf erfahrenes politisches Personal. Die Skandale um die Bereicherung von Politikern sind andererseits Mühlen auf das Wasser von Protestwählern.
Wird dieser digitale Schwung, der durch die meisten Parteien gezogen ist, anhalten? Muss er das vielleicht sogar?
Corona wirkt wie ein Katalysator, der begonnene Entwicklungen verstärkt und beschleunigt. Das ist in den Parteien nicht anders als in Hochschulen, Schulen oder Betrieben. Wo digitale Kommunikations- und Veranstaltungsformate gut funktionieren, wird es sie auch in der Zukunft geben. Warum sollen zum Beispiel alle Teilnehmenden eines Parteivorstandes sich auf den Weg zu einem Sitzungsort machen, wenn ein Treffen auch von zu Hause aus möglich ist? Das spart Aufwand, Zeit und Fahrtkosten.