Der nächste Rückschlag
Astrazeneca wird nicht mehr an Jüngere verimpft – Was das für die Impfkampagne bedeutet
BERLIN - Den Namen seines Impfstoffs will das Unternehmen Astrazeneca demnächst in „Vaxzevria“ändern. Aber die Probleme mit dem Mittel bleiben. Nun soll es in Deutschland nicht mehr an unter 60Jährige verabreicht werden. Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Astrazeneca bekommen künftig nur noch Ältere. Was bedeutet das für die Impfreihenfolge?
Da werde es Änderungen geben, kündigte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an. Konkret bedeutet das: Auch die 60- bis 69-Jährigen werden wohl bald mit Astrazeneca geimpft. Denn trotz Lieferproblemen ist von dem Mittel in der Bundesrepublik mehr vorhanden als von Biontech oder Moderna. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) macht sich allerdings Sorgen, ob sich alle, die infrage kommen, auch impfen lassen wollen. Er könne „alle über 60-Jährigen nur bitten, dieses Impfangebot auch wirklich anzunehmen“, sagte er.
Was wird nun beispielsweise aus Lehrkräften, Kitapersonal und Polizisten?
Da die große Mehrheit in diesen Berufsgruppen jünger ist als 60, kommt Astrazeneca für sie nur noch sehr eingeschränkt infrage. Da andere Impfmittel aber besonders knapp sind, zeichnet sich ein Engpass ab. Deshalb bezeichnete der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, die Änderung der Altersgrenzen als „katastrophalen Rückschlag für die gerade Fahrt aufnehmende Impfung von Lehrkräften“. Er forderte „eine schnelle Möglichkeit für unter 60jährige Lehrkräfte, sich mit Biontech-Pfizer und demnächst mit Johnson&Johnson impfen lassen zu können“. Geschehe das nicht, könnten Schulen möglicherweise nicht offengehalten werden.
Mit welcher Begründung wurde der teilweise Impfstopp verhängt? Die Kanzlerin sprach die „sehr seltenen, gleichwohl sehr schlimmen Fälle“an, in denen mit Astrazeneca Geimpfte Hirnvenenthrombosen erlitten. „Das sind Erkenntnisse, die wir nicht ignorieren dürfen“, betonte sie. Laut dem für Impfstoffe zuständigen Paul-Ehrlich-Institut wurden im Zusammenhang mit den Impfungen bis Anfang der Woche 31 Verdachtsfälle dieser seltenen Art von Blutgerinnseln in Hirnvenen gezählt. In 19 Fällen wurde zusätzlich ein Mangel an Blutplättchen gemeldet. Neun Personen starben. 29 Fälle betrafen Frauen im Alter zwischen 20 und 63 Jahren. Die Europäische Arzneimittelagentur Ema teilte am Mittwoch mit, dass eine Expertengruppe eingesetzt wurde, die über europaweite Konsequenzen berate. Voraussichtlich in anderthalb Wochen werde darüber entschieden. Die Weltgesundheitsorganisation WHO will an ihrer Freigabe ohne Altersbeschränkung festhalten.
Erst hieß es, der Impfstoff werde für Ältere nicht empfohlen, jetzt sollen ihn ausschließlich Personen von 60 aufwärts erhalten. Wie kommt es zu diesem Sinneswandel? Die beiden Entscheidungen wurden vor unterschiedlichen Hintergründen getroffen. Als die Ständige Impfkommission (Stiko) vor zwei Monaten Bedenken über die Wirksamkeit von Astrazeneca bei über 65-Jährigen äußerte, begründete sie das mit einer unzureichenden Datenlage. Aktuell geht es aber nicht um die Wirksamkeit, sondern um Nebenwirkungen. Und davon sind Ältere offenbar kaum betroffen.
Ist es normal, dass bei einem neuen Vakzin oder Medikament die Empfehlungen geändert werden? Das kommt zwar immer wieder einmal vor. Dass aber innerhalb weniger Wochen zweimal die Behörden eingreifen müssen, ist die Ausnahme.
Kanzlerin Merkel betonte, Offenheit und Transparenz sei auch im Fall Astrazeneca besser, als „etwas unter den Teppich zu kehren“.
Die Stiko will Ende April mitteilen, wie es mit Zweitimpfungen für bereits mit Astrazeneca Geimpfte aussieht. Warum erst so spät?
Die Stiko müsse erst noch einige Studien auswerten, die zur Beantwortung dieser Frage wichtig sind, informierte die Kanzlerin. Dazu werde noch einige Zeit gebraucht. Bis zu drei Monate kann man sich beim Mittel von Astrazeneca Zeit lassen, bevor auf die Erst- die Zweitimpfung folgt. 2,7 Millionen Menschen haben in Deutschland eine Erstimpfung mit Astrazeneca erhalten. Es gab aber erst 767 Zweitimpfungen.
Warum werden Männer nicht weiter mit Astrazeneca geimpft? Laut dem Stiko-Vorsitzenden Thomas Mertens ist das Risiko für junge und mittelalte Männer, dass Nebenwirkungen eintreten, nicht unbedingt geringer als bei Frauen in diesen Altersgruppen. Es seien bisher nur viel mehr Frauen unter 60 mit Astrazeneca geimpft worden. Deshalb habe es auch mehr Problemfälle gegeben.
Warum werden aus Großbritannien keine Schwierigkeiten mit dem Impfmittel gemeldet?
Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach ist davon überzeugt, dass es in Großbritannien deshalb zu weniger Thrombose-Fällen kommt, weil Astrazeneca dort vor allem an Ältere verabreicht werde. In der Altersgruppe ab 65 kämen solche Nebenwirkungen aber fast nie vor. Der Brite Adam Finn, Professor an der Universität von Bristol, gibt noch einen anderen Grund dafür an, dass die Nebenwirkungen in seinem Land eine geringere Rolle spielen als in Deutschland. In Großbritannien sei die allgemeine Überzeugung, dass schwere Covid-Erkrankungen ein viel größeres Risiko darstellten „als jede mögliche Nebenwirkung des Vakzins“.
Ist das von der Kanzlerin gegebene Versprechen, dass bis September alle Bürger ein Impfangebot bekommen sollen, noch zu halten? Lauterbach hält das für möglich: „Wir werden eine kleine Delle haben von ein paar Tagen, aber dann wird das Impftempo wieder anziehen“, sagte er. Um schneller zu sein, sei es darüber hinaus sinnvoll, weniger Biontech-Dosen für die Zweitimpfung zurückzuhalten. Eine aktuelle Studie aus den USA habe nämlich ergeben, dass nach der Erstimpfung mit diesem Mittel bereits 80 Prozent der Ansteckungen verhindert werden können.