Punk, Mode und viel Show
Die britische Designerin und Aktivistin Vivienne Westwood wird 80
LONDON (dpa) - Der Gedanke, dass anlässlich ihres runden Geburtstags auf ihre Lebensgeschichte und ihre Karriere zurückgeblickt wird, dürfte Vivienne Westwood ein Graus sein. „Müssen wir das alles besprechen“, meckerte sie schon in dem sehenswerten Dokumentarfilm „Westwood: Punk, Icon, Activist“, der 2018 Premiere hatte. „Das ist so langweilig.“Stimmt natürlich nicht. Langweilig war kaum etwas in Westwoods Leben. Aber statt über ihre Vergangenheit zu sprechen, richtet die Mode-Anarchistin und Aktivistin, die an diesem Donnerstag 80 Jahre alt wird, die Aufmerksamkeit lieber auf ihre politischen Anliegen.
So sorgte sie im vergangenen Jahr mit dem Protest für die Freilassung von Wikileaks-Gründer Julian Assange für Aufsehen. Im knallgelben Outfit saß sie vor einem Gerichtsgebäude in London in einem überdimensionalen Vogelkäfig. „Ich bin Julian Assange!“, rief sie in ihr Megafon und: „Die Welt ist korrupt!“Sie schien sich in der Rolle zu gefallen.
Seit Langem engagiert sich die Britin für Menschenrechte, Frieden, Tierschutz und gegen den Klimawandel. Die große Show gehört stets dazu, wenn sich Westwood inszeniert. 2015 ließ sie sich in einem weißen Panzer zum Privathaus des damaligen Premiers David Cameron fahren, um gegen Gasgewinnung durch Fracking zu protestieren.
Das politische Statement war und ist auch fester Bestandteil ihrer Mode – gelegentlich zum Leidwesen ihres Ehemannes und Co-Designers Andreas Kronthaler, wie in der Westwood-Doku von Regisseurin Lorna Tucker deutlich wird. „Sie mag es, wenn die Kleidung eine Botschaft hat“, so Kronthaler, „was ich gut finde – oder nicht gut. Ich bin mir nicht sicher.“Seit fast 30 Jahren ist Westwood mit dem 25 Jahre jüngeren Österreicher, ihrem ehemaligen Modestudenten, verheiratet.
Mode allein war Westwood nie genug. Eine Karriere in der Branche hatte sie gar nicht im Sinn. „Ich wollte keine Modedesignerin sein“, stellte sie 2009 im „Time“-Magazin klar. „Ich wollte lieber lesen und intellektuelle Dinge machen.“Dabei hatte die Tochter eines Schuhmachers und einer Baumwollspinnerin schon als Kind ein Händchen für Mode gezeigt. Westwood, die 1941 als Vivienne Isabel Swire in der Gemeinde Tintwistle nahe Manchester geboren wurde, soll sogar an ihrer Schuluniform modische Änderungen vorgenommen haben. Im Teenageralter zog sie mit ihren Eltern und Geschwistern in die Nähe von London. Ein Kunststudium brach sie nach nur einem Semester ab, um eine Ausbildung zur Lehrerin zu machen – mit Kunst als Hauptfach. Ihr Plan: „Ich werde versuchen, Künstlerin zu werden. Und wenn ich keine Künstlerin sein kann, werde ich Lehrerin.“
Zunächst lernte sie Derek Westwood kennen, mit dem sie Sohn Ben bekam. Die Ehe hielt nur zwei Jahre. Aus der anschließenden Beziehung mit dem jungen Kunststudenten Malcolm McLaren, dem späteren Manager der Punkband Sex Pistols, ging ihr zweiter Sohn Joseph hervor. McLaren brachte außerdem eher zufällig Westwoods Fashionkarriere auf den Weg. Mit ihm eröffnete sie 1970 auf der Londoner King’s Road den Laden „Let it Rock“für Schallplatten und von ihr entworfene Mode. Die Boutique wechselte Namen und Stil mehrfach und heißt seit 1979 bis heute „World's End“.
In den 70er-Jahren war sie ein Treffpunkt der Punkszene und gilt auch als Gründungsort der Sex Pistols. Westwood kreierte die ersten Outfits für Johnny Rotten und Co. mit Sicherheitsnadeln, Netzhemden und Nietenarmbändern – und erschuf damit den Punklook. „Ich hab mich überhaupt nicht als Modedesignerin
betrachtet, aber ich habe festgestellt, dass ich sehr talentiert war“, erzählt Westwood in Tuckers Dokumentation. „Ich wollte, dass die Leute wissen, dass das Zeug, was sie auf dem Laufsteg in Paris sehen, von mir kommt. Und ich hab mir gedacht, ich muss in diese Geschäftswelt einsteigen und die Kleidung wirklich verkaufen, sie den Journalisten präsentieren und eine Modedesignerin sein. Mir war klar, dass ich das kann.“
Nachdem Westwood in der Heimat anfangs belächelt worden war, wurde sie 1990 und 1991 als britische Designerin des Jahres ausgezeichnet. 2006 wurde sie von Queen Elizabeth II. geadelt. Während Dame Vivienne im Herzen immer noch Punk ist, gehört ihre Mode längst zum Establishment. Prinzessin Eugenie erschien zur Hochzeit von William und Kate 2011 in einem WestwoodKleid. Selbst die frühere Premierministerin Theresa May trug einen Hosenanzug von ihr.
Eigensinnig und unbequem ist Dame Vivienne, wenn es um den Klimaschutz geht. „Climate Revolution“heißt ihre Website im Punkdesign. „Ich bin die einzige Person mit einem Plan, um die Welt vor dem Klimawandel zu retten“, verkündete sie kürzlich in einer Videobotschaft. Einmal pro Woche veröffentlicht sie auf ihrem YouTube-Kanal solche Ansprachen, die meistens etwas schrullig wirken. Details bleibt sie schuldig. Aber Vivienne Westwood ist es ernst. Mit dem Film „Westwood: Punk, Icon, Activist“war sie am Ende übrigens nicht zufrieden und distanzierte sich ausdrücklich davon. Regisseurin Tucker, die sie drei Jahre lang begleitet hatte, habe zu viel Archivmaterial gezeigt und zu wenig über ihr politisches Engagement berichtet.