Wenig Grund zur Vorfreude
In 100 Tagen beginnen in Tokio die Olympischen Sommerspiele – Die Stimmung ist verhalten
KÖLN/TOKIO (SID) - Noch 100 Tage. Eigentlich ist es nun Zeit für Vorfreude. In Tokio stehen die Kirschen in voller Blüte, die Sportstätten erstrahlen in hellstem Glanz, und das olympische Feuer flackert in der Ferne fast schon sichtbar. Doch von Vorfreude auf die Sommerspiele ist nichts zu spüren, auch nicht in Japan, das ziemlich hilflos in die vierte Corona-Welle schlittert. „Wir tun unser Äußerstes für die Maßnahmen gegen das Coronavirus“, beteuerte Japans Ministerpräsident Yoshihide Suga gerade erst wieder. Doch keiner weiß, ob die Spiele am 23. Juli eröffnet werden. Die Herausforderungen in Zeiten der Pandemie sind gewaltig. Eine Übersicht:
Impfung: Jedem ist klar, dass man ohne Impfung wohl nicht nach Japan reisen darf. Von der deutschen Mannschaft sind derzeit 13 Prozent geimpft, sieben Prozent lehnen eine Impfung ab. Mit den Teilnehmern der Paralympischen Spiele geht es insgesamt um 2000 Personen, die rechtzeitig ihren Piks erhalten müssen. Der DOSB geht davon aus, dass mit Beginn des zweiten Quartals alle in einem vernünftigen Reißverschlussverfahren geimpft werden.
Qualifikation: Insgesamt wird bei Olympia in Tokio mit 11 500, bei den Paralympics mit 4300 Athletinnen und Athleten gerechnet. Der DOSB will 400 Sportler entsenden, erst gut die Hälfte hat ihr Ticket sicher. Der Rest muss sich über Wettkämpfe oder Ranglisten qualifizieren. Bei den Athleten herrscht wegen mangelnder Planbarkeit und löchriger Schutzkonzepte Unsicherheit, einige Quali-Wettkämpfe entpuppten sich als Superspreader-Events.
Zuschauer: Ausländische Zuschauer sind in Tokio nicht erlaubt. Darauf legte sich das Organisationskomitee Tokio 2020 im März fest, das IOC stimmte zu. Ob einheimische Besucher zugelassen werden, soll bis Ende April entschieden werden.
Doping: Der Anti-DopingKampf bereitet in der Pandemie große Sorgen. Das Ungleichgewicht der Dopingkontrollen ist nochmal deutlich angestiegen. Der ehemalige Kugelstoß-Weltmeister
David Storl wies darauf hin, dass eine Quarantäne „das beste Alibi zum Betrügen“sei. Die Nationale Anti-DopingAgentur bestätigte, dass bei „behördlich angeordneten Quarantänemaßnahmen keine Dopingkontrollen durch die NADA stattfinden“.
Stimmung in Japan: Laut Umfragen sind über 80 Prozent gegen die Ausrichtung der Sommerspiele. Erst Mitte Februar startete Japan sein Impfprogramm und kommt nur schleppend voran. Bislang hat die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt nur weniger als ein Prozent der rund 126 Millionen Einwohner geimpft.
Stimmung im IOC: Das IOC steht weiter voll hinter den Spielen und drängt nicht zuletzt auch wegen drohender Einnahmeverluste in Milliardenhöhe
auf die Austragung. Für den Vierjahreszyklus mit Olympia in Sotschi 2014 und Rio 2016 lagen die Einnahmen bei 4,8 Milliarden Euro. Entscheidend dafür sind die Verträge mit den TV-Sendern, deshalb auch ist der Verzicht auf Zuschauer in Tokio durchaus zu verschmerzen.
Stimmung in den Verbänden: Die Athleten und Verbände drängen nahezu einstimmig auf eine Austragung der Spiele. Die Sommerverbände sind zu einem großen Teil von den Geldern des IOC abhängig. Im März 2020 hatte der Rückzug einiger wichtiger Nationaler Olympischer Komitees noch dazu geführt, dass die Tokio-Spiele um fast genau ein Jahr verschoben wurden. Bislang bleiben die NOKs und die Weltverbände ruhig, auch wenn die Unsicherheit von Tag zu Tag wächst: „Die Spiele unterliegen dem größten Risiko in ihrer jüngeren Geschichte. Alles andere wäre schöngeredet“, sagte Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB), der „Welt am Sonntag“.
Noch 100 Tage. Was muss passieren, um diese Pandemie-Spiele trotz aller Hürden zu einem Erfolg werden zu lassen? Die Gastgeber sind auf der Suche nach einer Antwort. Das olympische Feuer bahnt sich in diesen Tagen seinen Weg durch die Präfektur Osaka – unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Und doch trägt die Fackel einen Funken Hoffnung auf ihrem Weg nach Tokio, wo sie am 23. Juli ein Feuer der Begeisterung entzünden soll. 2020 war nach der Vorfreude auch die Hoffnung erloschen, die Spiele wurden am 24. März abgesagt.