So lebten Juden in Nördlingen
Unter Hass, Verleumdung und Mord litten die Nördlinger Juden seit Jahrhunderten
NÖRDLINGEN - Das ganze Jahr über wird ein besonderes Jubiläum gefeiert: 1700 Jahre jüdisches Leben auf dem Gebiet des heutigen Deutschland. Auch in der Freien Reichsstadt Nördlingen lebten schon früh Juden, nämlich in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Das Jubiläum ist jedoch schwerlich Anlass zum Feiern, denn Juden wurden auch in Nördlingen über die Jahrhunderte vielfach vertrieben, mit Verboten belegt, verfolgt und getötet – bis hinein ins 20. Jahrhundert, als sie im Ries ebenfalls Opfer des Rassenwahns der Nationalsozialisten wurden. Heutzutage erinnern so genannte Stolpersteine in Nördlingen an die jüdischen Mitbürger und an die Verbrechen der Nazizeit.
Im 13. Jahrhundert, seit dem Jahr 1250, haben sich in Nördlingen Juden niedergelassen. Daran erinnert heute noch die „Judengasse“, die in der NSZeit in „Schulgasse“umbenannt wurde, schreibt der Historiker KlausDieter Alicke. Am Ende der „Judengasse“lagen vermutlich die ersten jüdischen Friedhöfe. Die erste Synagoge soll im Bereich des Brettermarkts gewesen sein. Vor 1380 wurde dieses Gebäude als Kastenhaus des Antoniterordens erwähnt. Aber bereits gegen Ende des 13. Jahrhunderts kam es zu Ausschreitungen gegen Juden. Diese hätten sich, hieß es, in der Stadt die besten Plätze gekauft und der Bürgerschaft Verderben gebracht, sodass sich diese „aus großer Dürftigkeit“empört und in einer Nacht Juden und Jüdinnen erschlagen habe.
Nach Gerüchten über angebliche Hostienschändungen in Röttingen kam es 1298 zu Massakern an Juden in Franken und den angrenzenden Gebieten. Bei diesen Pogromen wurde die jüdische Gemeinde in Nördlingen fast vollkommen ausgelöscht. Trotzdem entstand innerhalb der Mauern der Stadt bald wieder eine kleine jüdische Gemeinde, der eine Synagoge gehörte. Die Nördlinger Juden standen unter dem Schutz des Kaisers, wofür sie allerdings Abgaben entrichten mussten. Sie lebten vom Geldverleih und vom Handel mit Gebraucht- und Kleinwaren. Im 14. Jahrhundert hatten sie sogar ein umfassendes Bürgerrecht. Das schützte sie jedoch nicht vor dem Pestpogrom 1348. In jener Zeit gab es Spannungen mit den Christen, die den Juden Hostienfrevel, Ritualmorde und Wucher vorwarfen. Zudem hieß es, Juden hätten durch Brunnenvergiftung die Pest ausgelöst, die die Strafe Gottes dafür sei, dass man die Juden in die Stadt gelassen habe. Die Grafen von Oettingen erhielten vom Kaiser die Erlaubnis, deren Eigentum
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einschließlich ihrer Häuser zu behalten.
Aber spätestens 1357 soll es in Nördlingen wieder eine jüdische Gemeinde gegeben haben, die mit Geld handelte. 1384 kam es erneut zu Ausschreitungen: Die Juden wurden erschlagen, ihr Eigentum erhielt die Stadt, die Rädelsführer der Unruhen wurden der Stadt verwiesen.
Schon wenige Jahre später, 1400, gab es wieder eine kleine Gemeinde in Nördlingen, die etwa 100 Jahre bestand. 1507 aber hatte der Nördlinger Magistrat sein Ziel erreicht, dem er mit Geldzahlungen an den Kaiser Nachdruck verliehen hatte: Maximilian I. verbot den Juden, in der Stadt zu wohnen. Sie durften „für alle Zeit“ausgewiesen werden. Die Grafen von Oettingen versprachen zwar zunächst, sich dem anzuschließen. Als sie es aber nicht taten, erwirkte die Reichsstadt Nördlingen 1510 ein an Oettingen gerichtetes kaiserliches Mandat, dass die Juden einen Umkreis von etwa zwei Meilen um Nördlingen zu räumen hätten und weder die Grafen noch andere Territorialherren neue Judensiedlungen erlauben sollten.
Die entstanden dann in den umliegenden Gemeinden. Trotz allem aber durften Juden tagsüber in Nördlingen ihren Geschäften nachgehen. Allerdings mussten sie einen besonderen Zoll entrichten und sich an der „Judenmauer“am Baldinger Tor treffen, von wo aus sie gemeinsam in die Stadt gehen durften. Gegen Geld durften auch in der zweiten Hälfte des 30-jährigen Kriegs jüdische Familien in Nördlingen leben.
Mit der Machtübernahme durch die Nazis begann auch im Ries die gesellschaftliche, aber noch nicht die wirtschaftliche Ausgrenzung der Juden. Zwischen 1933 und 1938 verließen etwa 70 die Stadt, indem sie entweder wegzogen oder auswanderten. Beim Pogrom am 9. November 1938 wurden zunächst die Scheiben der Synagoge eingeschlagen. Am nächsten Tag wurden das Mobiliar und die Ritualien zerstört sowie die Thorarollen aus ihrem Schrein geholt und im Hof angezündet. Indem aber der Bürgermeister erklärte, das Gebäude gehöre der Stadt und dürfe nicht angerührt werden, verhinderte er, dass es zerstört wurde. Dies war eine mutige Tat. Die jüdische Gemeinde erhielt danach für Synagoge und Friedhof 15 000 Reichsmark. Häuser, in denen Juden wohnten, wurden „durchsucht“, wobei viele Gegenstände und Bargeld gestohlen wurden. Die rund 30 jüdischen Männer, die im Stadtgefängnis in so genannte „Schutzhaft“genommen wurden, kamen meist nach einer Woche wieder frei.