„Ganz blöd sind wir also doch nicht“
Landrat Joachim Bläse spricht über eine schwierige Anfangszeit und eine dann aber gelungene Impfpolitik
AALEN – Am 15. September 2020 ist Joachim Bläse als Landrat des Ostalbkreises angetreten. Mitten in der Corona-Pandemie, die bis zum jetzigen Zeitpunkt anhält – und die Bläses Alltag nach wie vor fest bestimmt. Fast genau ein Dreivierteljahr später hat sich Bläse mit Timo Lämmerhirt, Redaktionsleiter der Aalener Nachrichten/ Ipf- und Jagst-Zeitung, getroffen und mit ihm über den Kampf gegen die Pandemie im Kreis gesprochen. Dabei ließ er durchblicken, dass einige Anfeindungen seitens der Bürger durchaus Wirkung gezeigt haben.
Die Zeiten sind schwierig, auf Sie als Landrat prasselt eine ganze Menge ein. Würden Sie dieses Amt mit dem Wissen nach neun Monaten erneut bekleiden?
(lacht) Ja, absolut. Natürlich war der Start nicht so, wie ich mir das erhofft hatte, aber das Amt Landrat ist super und im Ostalbkreis spüre ich Rückendeckung. Ich habe wirklich noch keinen Tag bereut. Wenn mir auch immer viele Leute sagen, dass ich ihnen leidtue – vor allem Leute aus dem Gmünder Raum.
Apropos Gmünd. Als Bürgermeister waren sie in der Stauferstadt quasi „Everybodys Darling“. Dieses Etikett haben sie als Landrat nun ablegen müssen…
Ja, voll. Das tut auch an manchen Stellen weh. In Gmünd war ich wirklich 18 Jahre lang verwöhnt. Da gab es wenig Kritisches. Wenn du jetzt eine Entscheidung triffst, weißt du genau, da gibt es jetzt wieder rechts und links einen drüber. Ich musste lernen, das nicht zu persönlich zu nehmen, sondern akzeptieren, dass das mit dem Amt zusammenhängt. Da habe ich in den vergangenen Wochen viel dazulernen müssen.
Waren Sie erschrocken, dass einige Entscheidungen an Ihrer Person festgemacht worden sind?
Hier im Kreis war es doppelt schwierig, da die Menschen vor Ort 24 Jahre lang mit Klaus Pavel denselben Landrat gehabt haben. Dann kommt der Neue und der wird naturgemäß kritisch beäugt. Das fiel mir vor allem auf, als es um das Kreisimpfzentrum ging. Da geschah einiges massiv unter der Gürtellinie. Da hieß es dann: Du Versager, warum haben wir nur ein Kreisimpfzentrum? Und weiter: Unter Pavel wäre das nicht passiert! Du bist die größte Flasche!
Landrat Joachim Bläse
Das ist krass, zumal der Umstand „nur ein Kreisimpfzentrum“ja faktisch falsch ist beziehungsweise nicht am Nicht-Wollen lag… Natürlich. Ich hatte zwei Impfzentren für uns als Flächenlandkreis beantragt. Das Land hatte 50 Impfzentren geschaffen und wir haben 44 Stadt- und Landkreise. Das Land hat dann entschieden, dass die bevölkerungsreichsten sechs Stadt-und Landkreise, unabhängig von den Standorten der ZIZ, zwei bekommen sollten, sodass alle anderen 38 Stadtund Landkreise, wie der Ostalbkreis oder der Rems-Murr-Kreis auch – mit deutlich mehr Bevölkerung als wir – alle nur eins bekamen. Daher hatte ich keine Chance, ein zweites zu bekommen. Rot am See ist für den gesamten nördlichen Bereich und im Zusammenhang mit Heilbronn zu sehen, wo vermutlich kein Standort gefunden werden konnte. Ich weiß aber, dass ich es ohnehin nicht allen Leuten rechtmachen kann (schmunzelt).
Aber es gab ja dann kürzlich auch gute Nachrichten.
Es ist schon eine kleine Genugtuung, nach all der Schelte für unser Kreisimpfzentrum: Wir haben am Donnerstag vom Land Bescheid bekommen, dass wir gemeinsam mit Singen so viel verimpft haben, dass wir zusätzlichen Impfstoff bekommen werden. Singen und wir sind die einzigen Einrichtungen, die damit bedacht wurden. Das Land hat gesehen, dass bei uns etwas weggeht. Das tut gut.
Kann man das in Zahlen darlegen? Von wie viel auf wie viel?
Nein, wir bekommen einfach eine zusätzliche Lieferung, Wir bekommen eine „Pizzaschachtel“mehr. Eine Pizzaschachtel beinhaltet immer 1170 Impfdosen. Wir haben so geimpft, dass wirklich alles verimpft ist. Das zeigt, dass derjenige, der viel raushaut und die Maßnahmen umsetzt, auch belohnt wird. Das zeigt doch: Ganz blöd sind wir also doch nicht.
Was wird denn aktuell in welcher Form in Aalen verimpft? Astrazeneca war stets in den Schlagzeilen, Hoffnungsträger Johnson & Johnson hatte sich schnell wieder zerschlagen…
Auf Johnson & Johnson hatten wir uns tatsächlich gefreut, vor allem mit unseren mobilen Impfteams waren wir vorbereitet, denn da hätte man ja nur eine Impfung benötigt. Dann wurde daraus wieder nichts. Astrazeneca haben wir natürlich noch, bekommen dies in Zukunft aber nur noch für die Zweitimpfung. Das heißt, dass wir zukünftig nur noch mit Biontech/Pfizer impfen werden. Wir kommen gut voran, haben in den vergangenen Wochen täglich bis zu 800 Impfungen durchbekommen. Das ist mittlerweile schon eine Hausnummer, wenn man sich da an die Anfangszeiten zurückerinnert.
Ihre Mitarbeiter haben ebenfalls eine Menge einstecken müssen.
Ja genau, DRK, Malteser, Bundeswehr, ärztliches Personal und alle, die dabei sind, arbeiten von morgens bis abends und haben sich ähnliche Dinge anhören müssen wie ich auch. Versager! Pfeifen! Wir bekommen keinen Impftermin! Aber: Für die 116117 konnten wir nichts und auch das Online.Verfahren haben wir uns nicht rausgesucht.
Gibt es dennoch etwas, bei dem Sie im Nachhinein sagen würden, dass Sie es anders gemacht hätten? (überlegt) Nein, eigentlich nicht. Grundsätzlich bin ich mit mir im Reinen. Ich hatte bislang aber auch wenig Gestaltungsmöglichkeiten.
Im Zusammenschluss mit den Landkreisen Ludwigsburg, Esslingen, Rems-Murr und Göppingen sind Sie dann in puncto Ausgangssperre vorgeprescht, obwohl tags darauf die Bundesregierung eben dies beschließen wollte. Warum? Ich denke, dass man durchaus eigene Verantwortung übernehmen kann. Da braucht man sich auch nicht zu verstecken und die Erfahrung, gemeinsame Sache mit den anderen Kreisen machen zu können, war eine durchweg positive.
Wie verläuft denn die Kommunikation
mit Einzelhändlern und Gastronomen aktuell? Da stehen ja mehr denn je viele Existenzen auf dem Spiel.
Das ist eine fast tägliche Kommunikation, da kommt fast jeden Tag etwas an bei uns. Ich versuche, möglichst viel persönlichen Kontakt zu haben. Das ist eine Sache, die man persönlich an sich heranlassen sollte.
Aber was können Sie diesen Menschen denn sagen?
Ich kann nur versuchen, Entscheidungen zu erklären und sie mitzunehmen, um ihnen zu zeigen, dass mir das nicht egal ist, was mit ihnen geschieht und wie es ihnen aktuell geht. Wir haben gerade einen Inzidenzwert von über 200, da kann ich denen auch nicht erzählen, dass wir bald wieder öffnen können. Mir ist das Schicksal dieser Menschen absolut nicht egal, das können Sie mir glauben.
Gesundheitsminister Jens Spahn hatte kürzlich gesagt, dass wir im Juni durchgeimpft seien, um dies nur kurze Zeit später wieder zu relativieren. Nicht die erste undurchdachte Äußerung der Bundesregierung, die unter anderem Sie auf Kreisebene ausbaden dürfen. Ärgert Sie das nicht?
Ich habe mich bislang nur einmal öffentlich kritisch geäußert, weil ich finde, dass in einer solchen Krise die beteiligten staatlichen Institutionen nach außen Geschlossenheiz zeigen sollten, weil sonst sehr schnell die Gefahr besteht, dass das Vertrauen in den Staat schwindet. Das Einzige, was ich erwarte: Die sollen doch bitte nur das sagen, was sie auch wissen. Ich möchte doch nicht jeden Tag wissen, wer impfen könnte und was man impfen könnte und was man tun dürfte, wenn man denn dann geimpft wäre. Das steht mir hier oben und das steht auch anderen Menschen da oben. Mich interessiert auch nicht, ob wir im Sommer nun 20 Millionen Impfdosen haben, mich interessiert, was wir in der kommenden Woche hier vor Ort haben. Diese Ankündigungspolitik werfe ich der Regierung durchaus vor. Die Leute unterscheiden nicht, du bekommst das vor Ort durchaus mit, und dann wirst du wieder als Versager hingestellt.
Haben Sie ein Beispiel parat?
So hat es sich bei der Impfung für Ü-60-Jährige verhalten, da bin ich fast ausgeflippt. Da ist verkündet worden, dass Ü-60-Jährige geimpft werden dürfen. Dem war aber nicht so. Es durften nur bestimmte Gruppen bei den Ü-60-Jährigen geimpft werden. Wir hatten dann die Leute im Impfzentrum, die sich einen Termin haben geben lassen, weil es das System so zulässt.
Da stehen die dann vor dem Bundeswehrsoldaten und werden von diesem dann abgewiesen, weil sie nicht zu dieser Gruppe zählten, weil die Kommunikation so schlecht gewesen ist. Das macht die Leute mürbe und wir bekommen das voll ab und da tun mir die Leute leid. Der arme Bundeswehrsoldat, der hier seinen Dienst gut ableistet, bekommt in diesem Moment dann die volle Breitseite ab.
„Da hieß es dann: Du Versager, warum haben wir nur ein Kreisimpfzentrum? Und weiter: Unter Pavel wäre das nicht passiert! Du bist die größte Flasche!“
Jetzt bekommt Aalen mehr Impfstoff. Betreiben Sie doch am Ende auch mal solch Ankündigungspolitik wie auf Bundesebene: Wann sind wir im Kreis denn durch? (lacht) Nein, bestimmt nicht. Wir haben ja keine Verlässlichkeit drin. Ich habe meine Liste bis Mai vorliegen, von der ich weiß, was verlässlich da ist. Jede Lieferung, die kommt, stellen wir sofort ein. Alles darüber hinaus ist viel zu wenig belastbar.