Unternehmen Angestellten-Immunisierung
Liebherr startet als Pilotbetrieb mit Mitarbeiterimpfungen – Wirtschaft fordert früheren Einsatz der Betriebsärzte
RAVENSBURG/EHINGEN - Zwischen Besprechung und Schichtstart noch schnell beim Betriebsarzt vorbeigehen, um sich gegen Covid 19 impfen zu lassen. Für viele Beschäftigte wäre das eine gute Nachricht – die Impfkampagne könnte so weiter an Geschwindigkeit zulegen. Doch bis die große Masse der Unternehmen in Baden-Württemberg und Bayern ihre Betriebsärzte zur Immunisierung ihrer Mitarbeiter einsetzen kann, wird es noch eine Weile dauern.
Im Liebherr-Werk in Ehingen im Alb-Donau-Kreis hat Baden-Württembergs Regierung am Dienstag einen Modellversuch gestartet. In einer Halle, die der oberschwäbische Mischkonzern sonst für den Bau von Mobilkranen nutzt, hat das Unternehmen ein Impfzentrum eingerichtet, in dem das medizinische Team bereits am Nachmittag erste Mitarbeiter mit dem Vakzin von Astrazeneca immunisiert hat.
„Es geht nicht darum, unseren Beschäftigten Privilegien zu verschaffen. Die Verteilung der Impfstoffe wird durch die Landespolitik geregelt und gilt auch für uns“, sagte Daniel Pitzer, der kaufmännische Leiter des Ehinger Liebherr-Werkes. „Vielmehr wollen wir die Impfkampagne im Alb-Donau-Kreis unterstützen.“Möglich wurde das, weil die Landesregierung in Stuttgart das Werk als Pilotbetrieb ausgesucht hat. „Mit der Ausweitung der Impfkampagne über die Impfzentren auf die Hausärzte und nun im ersten Testlauf auf die Betriebsärzte beschleunigen wir die Impfungen deutlich“, sagte BadenWürttembergs Sozialminister Manfred Lucha (Grüne), der sich die Impfstation am Dienstag ansah.
Geimpft werden bei Liebherr nur die über 60 Jahre alten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Werks. Auch für die Impfungen in den Betrieben gilt die bekannte Priorisierung. „Wir sind mit unserem Team und der Logistik hier in der Lage, mehr als 200 Impfungen am Tag durchzuführen“, sagte Betriebsarzt Steffen Strobel. Von den rund 3500 Beschäftigten haben nach Unternehmensangaben bereits etwa 2500 ihr Interesse an einer Impfung bekundet. Liebherr erhält zunächst nur 200 Impfdosen aus dem Kontingent des Landes. Ab Mai sollen in einem weiteren Modellprojekt die Betriebsärzte in den Justizvollzugsanstalten mit dem Impfen starten. Weitere Pilotversuche will Lucha mit den Industrieund Handelskammern koordinieren.
In einem ersten Modellprojekt hat der Autobauer Volkswagen in einem Werk in Sachsen vor Wochen mit dem Impfen begonnen. Auch der Chemiekonzern BASF impft am Standort Ludwigshafen bereits seit dem 14. April. „Das Impfzentrum der BASF unterliegt den gesetzlichen Bestimmungen, die für alle Impfzentren in Deutschland gelten. Die Verteilung des Impfstoffs erfolgt zentral über das rheinlandpfälzische Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie“, sagte eine Sprecherin der „Schwäbischen Zeitung“. Bei der Impfreihenfolge muss BASF die Vorgaben des Landes Rheinland-Pfalz einhalten. „Geimpft werden entsprechend dieser vorgegebenen Reihenfolge zunächst nur Mitarbeitende der BASF SE und von BASF-Tochtergesellschaften
am Standort Ludwigshafen, die zur Impfgruppe 2 gehören, zum Beispiel aufgrund schwerer Vorerkrankungen“, sagte die Sprecherin.
Das Corona-Impfzentrum der BASF befindet sich auf dem Werksgelände. Dort wurde laut BASF eine Multifunktionshalle eigens umgebaut. Der Konzern richtete Impfkabinen ein, kennzeichnete Laufwege und definierte Warte- und Ruheräume – alles streng nach den Vorgaben der Landesregierung. „Bei diesem Vorgehen helfen uns die Erfahrungen aus vergangenen Impfaktionen. BASF bietet seit 1990 im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements jährliche Grippeschutzimpfungen an“, erklärte die Sprecherin.
Beim Autobauer Daimler in Stuttgart laufen mit der Onlineregistrierung der Beschäftigten seit Montag die Vorbereitungen für den Start der
Impfkampagne durch die Betriebsärzte. „Ab sofort kann jeder Beschäftigte sein Impfinteresse hinterlegen, um einen Impftermin am jeweiligen Standort zu erhalten“, erläuterte Personalvorstand Wilfried Porth. Mit einem umfassenden Impfprogramm will Daimler beginnen, sobald Impfstoff im jeweiligen Bundesland, in dem sich das Werk des Konzerns befindet, erhältlich und die Impfung für Betriebsärzte zulässig ist.
Darauf bereitet sich auch die Lufthansa vor. „Der Konzern hat sich bereits die Voraussetzungen geschaffen, um Mitarbeitende durch den medizinischen Dienst des Hauses impfen zu lassen und ist bereit, die innerbetriebliche Impfkampagne zu beginnen“, sagte ein Sprecher von Europas größter Fluglinie auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“. „Dies wird dann möglich sein, sobald genügend Impfstoffe zur Verfügung stehen, und diese durch die Gesundheitsämter zugeteilt werden. Es wurden drei Impfzentren in Frankfurt, München und Hamburg eingerichtet“, teilte ein Sprecher weiter mit. Der Fokus liegt dabei auf Mitarbeitern, die für die Aufrechterhaltung des Betriebs unabdingbar sind, die nicht oder nur sehr eingeschränkt ersetzt werden können, die persönlichen Kundenkontakt haben sowie diejenigen, für die Reisen unumgänglich sind. „Alle Geschäftsbereiche und Flugbetriebe haben bereits eine erste Abschätzung der benötigten Impfdosen erstellt. Bis zu 400 Mitarbeitende können täglich geimpft werden“, sagte der Lufthansa-Sprecher.
Nach den Plänen von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sollen die Betriebsärzte spätestens von Juni an nach Impfzentren und Hausärzten zur dritten wichtigen Säule der Impfkampagne werden. „Wir könnten in einem Monat fünf Millionen Beschäftigte impfen“, sagte Wolfgang Panter, der Präsident des Verbands Deutscher Betriebs- und Werksärzte, dem Nachrichtenmagazin „Spiegel“. Bundesweit gebe es mehr als 10 000 Betriebsärzte. Panter könne sich vorstellen, auch viele Arbeitsmediziner im Ruhestand an der Impfkampagne zu beteiligen. „Wenn genügend Impfstoff verfügbar ist, sind wir sehr schnell in der Lage, viele Dosen zu verimpfen“, erklärte Panter weiter. Voraussetzung sei allerdings, dass die Betriebe zuverlässig mit Impfstoff beliefert werden. Pilotprojekte wie bei BASF beurteilt Panter auch kritisch. „Modellversuche sind sinnvoll, aber mir ist wichtig, dass es eine Gleichbehandlung gibt und große Betriebe nicht bevorzugt werden“, sagte Panter weiter.
Eine Gleichbehandlung aller Betriebe und vor allem den früheren Einsatz von Betriebsärzten fordert auch Rainer Hundsdörfer, der Vorstandschef des Heidelberger Druckmaschinen-Herstellers HeidelbergDruck. „Wir verstehen es als Vertreter der Wirtschaft nicht, warum unsere Betriebsärzte nicht ab sofort breiter in die Impfkampagne einbezogen werden“, schreibt Hundsdörfer in einem offenen Brief. „Einen Start erst ab Juni halten wir für zu spät – die Wirtschaft würde dadurch weiter und unnötig geschwächt.“Gerichtet ist das Schreiben an BadenWürttembergs Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) und an Manfred Lucha. Genau der Minister, der in Ehingen am Dienstag den Start des Pilotprojektes beim Mobilkranbauer Liebherr begutachtet hat.