Den Zentren fehlt der Impfstoff
Zusätzliche Dosen bekommen vor allem Praxen – Ulmer Impfzentrum legt „Vollbremsung“hin
ULM/STUTTGART - Verkehrte Welt in den Impfzentren des Landes: Immer mehr Impfstoff kommt auf den Markt – die Impfzentren aber profitieren kaum. Im Gegenteil. In manchen geht der Impfstoff zur Neige. So in Ulm, wo das erste Impfzentrum des Landes eingerichtet wurde. Zuletzt lief der Betrieb wie am Schnürchen, nun ist der Frust groß. Der Leiter des Impfzentrums wirft dem Land vor, die Impfstoffmenge zu drosseln. Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) widerspricht – und schiebt den Schwarzen Peter dem Bund zu.
BC, RV, HDH, GP – die Halter der Autos auf dem Parkplatz der Ulmer Messe sind aus allen Himmelsrichtungen angereist. Der Schotterplatz vor dem Ulmer Impfzentrum ist gut gefüllt an diesem Dienstag. Noch gibt es keine sichtbaren Hinweise darauf, dass dieser bald deutlich leerer sein dürfte. Aber: Das Zentrum rechnet mit deutlich weniger Impfstoff. Statt 24 000 sollen es künftig nur noch 12 000 Dosen pro Woche sein. Und das quasi ab sofort.
Von einer „Vollbremsung“spricht Professor Bernd Kühlmuß, der ärztliche Verantwortliche und Kopf des Ulmer Impfzentrums. Rund 300 Vollzeitkräfte sind dort angestellt – noch. Kühlmuß rechnet vor, dass der Impfstoff von Astrazeneca nur noch bis Freitag vorrätig sei, der von Moderna und Biontech reiche bis Anfang kommender Woche. Bis auf Weiteres werde das Ulmer Impfzentrum deshalb keine neuen Termine für Erstimpfungen mehr anbieten. Und vielleicht müssten auch manche schon vereinbarten Termine abgesagt werden. Termine für Zweitimpfungen sollen hingegen Bestand haben, wenn sie gebucht sind. 1500 Zweitimpfungen seien täglich geplant.
Zu den Gründen der Impfstoffknappheit will sich Bernd Kühlmuß nicht äußern, er verweist aufs Sozialministerium, das fürs Verteilen des Impfstoffs verantwortlich sei. Aus der Stimmung der Mitarbeiter des Impfzentrums macht er aber keinen Hehl. Er spricht von „Frustration“und „Enttäuschung“. Aber auch Unsicherheit dürfte eine Rolle spielen. Denn noch immer sei unklar, so Kühlmuß, wie es mit den Impfzentren im Land nach Juni weitergeht.
Gesundheitsminister Lucha spricht von einem „Missverständnis“.
Das Land habe zu keinem Zeitpunkt Liefermengen reduziert. Er erklärt den Mangel so: Bisher hat das Impfzentrum kontinuierlich Impfstoff bekommen. In der Hoffnung, dass die Lieferungen vom Bund weiter ansteigen, habe das Impfzentrum Ulm extrem große Impfmengen aufgebraucht – inklusive der Rücklagen. Um Zweitimpfungen sicherzustellen, muss die Zahl der Erstimpfungen reduziert werden – oder es muss mehr Impfstoff vom Bund kommen. „Wir waren alle ankündigungsverwöhnt, weil uns zugesagt wurde, dass die enorme Zuwachssteigerung anhält“, sagte Lucha am Dienstag in Stuttgart. Die Zuwachssteigerung habe jetzt jedoch eine kleine Delle erhalten.
Der Hintergrund: Zwar nimmt die Impfstoffmenge insgesamt zu, die Bundesländer erhalten für ihre Impfzentren laut Sozialministerium jedoch eine festgesetzte Menge. Zuwächse bei den Impfstofflieferungen gingen derzeit lediglich an die niedergelassenen Praxen, wie eine Sprecherin des Sozialministeriums erklärt. „Allerdings haben die Impfzentren immer mehr Zweitimpftermine zu bedienen, und damit eine zunehmende Menge von wöchentlichen Terminen, die durchgeführt werden müssen.“
Im Kreisimpfzentrum in Ulm, laut Lucha ein „Hochleistungszentrum“, sei die Sorge aufgetreten, Zweitimpfungen nicht garantieren zu können. Lucha kündigte deshalb an, dem Impfzentrum auszuhelfen. „Wir werden den Ulmern die nötigen 3000 Impfdosen zur Verfügung stellen.“Zu Absagen von Zweitimpfungen werde es an keinem Impfzentrum im Land kommen. Dass Termine von Erstimpfungen abgesagt werden, wollte auch Lucha jedoch nicht ausschließen: „Die Gefahr besteht.“Lucha fordert den Bund auf, Impfzentren und Arztpraxen gleichmäßig zu berücksichtigen: „Wir weisen die Bundesregierung seit zwei Wochen bei jeder Gelegenheit darauf hin, dass wir mehr Impfstoff in den Impfzentren verimpfen können.“
Die Opposition will Lucha mit dem Verweis auf den Bund nicht durchkommen lassen. „Die nächste Welle der Impfchaos-Politik von Minister Lucha ist da“, sagt etwa SPDChef Andreas Stoch. Lucha mache wieder und wieder die gleichen Fehler,
ärgert sich Stoch: „Er erweitert den Kreis der Impfberechtigten viel zu schnell und lehnt sich dann zurück.“Die 3000 Dosen, die das Land zusätzlich nach Ulm liefern will, hält Stoch für Augenwischerei. „Wenn Lucha nun die schlechte Presse scheut und die Lücke in Ulm rasch schließt, dann muss klar sein, dass dieser Impfstoff anderen Zentren weggenommen wird“, sagt er. „Statt billiger Retuschen braucht es endlich eine solidere Strategie.“
Der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Jochen Haußmann, kritisiert vor allem die unterschiedlichen Impfquoten in den Kreisen. „Diese zum Teil erschreckenden Differenzen führe ich auch darauf zurück, dass völlig unreflektiert jedes Kreisimpfzentrum unabhängig von der tatsächlichen Einwohnerzahl und Impfberechtigten-Struktur die gleiche Anzahl an Impfdosen erhalten hat. Die starre einheitliche Verteilung (...) entpuppt sich als Irrweg.“
Tatsächlich unterscheiden sich die Impfquoten je nach Landkreis deutlich. Während etwa im Landkreis Tuttlingen erst 5,3 Prozent der Menschen vollständig geimpft sind, sind es in Ulm bereits 11,7. Im Bodenseekreis und im Landkreis Sigmaringen liegt der Anteil vollständig Geimpfter an der Gesamtbevölkerung bei 5,7 Prozent, im Landkreis Ravensburg bei 6,2 Prozent, im Ostalbkreis bei 6,5 Prozent. Im Kreis Biberach sind 8,2 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft, im Alb-Donau-Kreis 8,3 Prozent (Stand: 2. Mai, Impfungen in den Arztpraxen sind in den Daten nicht enthalten).
Probleme gibt es nicht nur in Ulm: Auch im Impfzentrum des Kreises Biberach in Ummendorf wird längst nicht das verimpft, was eigentlich möglich wäre. Eigentlich sollte das Kreisimpfzentrum im Mai in den Vollbetrieb gehen. Jetzt sollen jedoch nur rund halb so viele Impfdosen in Ummendorf ankommen. Ähnlich sieht es in Ehingen aus. Besonders groß ist der Frust jedoch in Sigmaringen. Das dortige Kreisimpfzentrum ist nach Angaben des Landratsamtes nur zu 60 Prozent ausgelastet. Wegen fehlenden Impfstoffs können derzeit fast keine neuen Impftermine im Kreisimpfzentrum vergeben werden. „Seit Tagen suchen wir auf vielen Kanälen das Gespräch mit dem Land“, sagt Landrätin Stefanie Bürkle (CDU). „Die Zusage an das Impfzentrum Ulm sollte dringend auch auf das Kreisimpfzentrum des Landkreises Sigmaringen erweitert werden.“
Aktuelle Daten-Grafiken zur Impfkampagne finden Sie auf www.schwäbische.de/impfen