Keine Chips, keine Autos
Der Mangel an elektronischen Bauteilen spitzt sich zu und trifft vor allem die Fahrzeugindustrie
FRANKFURT - Die Autoindustrie hat ein riesiges Problem: Es mangelt vor allem an Computerchips für die Steuerung der Fahrzeuge, doch auch andere Rohstoffe sind knapp. Deswegen stehen teilweise bereits die Bänder still: Zwei Drittel der Unternehmen in der Autobranche – Hersteller wie Zulieferer – leiden unter Materialund Chipknappheit. Das ist das Ergebnis einer Umfrage des ifo-Institutes. „Dieser neue Flaschenhals könnte die Erholung der Industrie gefährden“, sagt Klaus Wohlrabe, Leiter der ifo-Umfragen. Denn auch in anderen Branchen der Industrie wirkt sich die allgemeine Knappheit an Vorprodukten und Rohstoffen aus.
Der Autobauer Ford hat in dieser Woche Konsequenzen angekündigt. So werde die Produktion in den Werken in Köln und Saarlouis heruntergefahren. In Köln habe das Unternehmen Kurzarbeit bis in den Juli angemeldet. Rund ein Drittel der dort arbeitenden 15 000 Beschäftigten seien von diesen Maßnahmen betroffen.
Bei Daimler hatte Finanzchef Harald Wilhelm vor wenigen Tagen gewarnt, er rechne im laufenden zweiten Quartal damit, dass die Verkaufszahlen unter denen des ersten Quartals liegen dürften – auch wegen des Halbleiterproblems. Aus diesem Grund hat der Autokonzern bei Vorlage der Quartalsbilanz in der vergangenen Woche ebenfalls klargemacht, womöglich wieder mehr Mitarbeiter als bislang geplant in Kurzarbeit zu schicken. In den kommenden Wochen könne es wegen der Chipkrise „hier und dort“zu Produktionsstopps und Kurzarbeit kommen, sagte Wilhelm. Ähnliches hört man von Audi in Ingolstadt und BMW in München.
Auch im Volkswagen-Konzern ist der Chipmangel in der Autoindustrie ein Problem. „Von Zulieferern und auch aus der Volkswagen-Gruppe selbst heraus wird uns gesagt, dass wir im zweiten Quartal vor erheblichen Herausforderungen stehen“, sagte Seat-Chef Wayne Griffiths unlängst. Seiner Einschätzung zufolge werde das laufende Quartal dabei noch herausfordernder als die drei ersten Monate des Jahres. Und die liefen in dieser Hinsicht alles andere als gut: So berichtet VW, im ersten Quartal rund 100 000 Autos nicht wie geplant gebaut zu haben. Ob man diesen Rückstand im weiteren Jahresverlauf wieder aufholen könne, sei ungewiss. Im Seat-Stammwerk im spanischen Martorell lebe man gegenwärtig „von der Hand in den Mund“, sagte der Seat-Chef. Erst nach einer Lieferung von Elektronikchips entscheide man vor Ort, welche Automodelle damit gebaut werden sollen. Flexibilität sei deswegen in diesem Jahr entscheidend.
Das gilt auch für die Zulieferer der Autokonzerne. Denn auch Kunststoffprodukte sind derzeit Mangelware und einzelne Stahlwerkstoffe sind aktuell ebenfalls schwerer zu beschaffen, heißt es beim Verband der Automobilindustrie. So klagt etwa die Kautschukindustrie ebenfalls über Verfügbarkeitsengpässe auf breiter Front – das trifft also auch die Reifenhersteller.
In Friedrichshafen am Bodensee kämpft der Zulieferer ZF mit der Tatsache, dass viele Hersteller wegen fehlender Teile weniger Autos bauen. „Welche Konsequenzen der Produktionsrückgang auf ZF-Werke und Mitarbeiter hat, ist derzeit noch ebenso wenig abzusehen wie die Dauer des Engpasses“, sagte ein Sprecher der „Schwäbischen Zeitung“. Am österreichischen Standort in Lebring hat das Unternehmen bereits Kurzarbeit anmelden müssen.
Das sei für andere Standorte von ZF nicht auszuschließen.
Einen Zulieferer wie ZF trifft die Krise dabei von zwei Seiten. Einerseits von Lieferanten, die gegebenenfalls keine Teile liefern können. „Andererseits auch vonseiten der Hersteller, die selbst originär bestellte Chips oder andere Komponenten nicht geliefert bekommen und die Produktion drosseln müssen“, erläutert der Sprecher weiter. „Das trifft dann auch uns, weil ein zum Beispiel wegen fehlender elektrischer Fensterheber nicht gebautes Auto dann auch keine Airbags, Achsen oder Bremsen von ZF benötigt.“
Die Einkäufer der Unternehmen sind zurzeit besonders gefordert. „Unsere Lieferketten-Experten jagen den Chips weltweit hinterher und haben bisher fast immer noch irgendwo ein paar Chargen erwerben können – die notfalls auch per Luftfracht zu uns und den Kunden kommen, wenn Container knapp und die Seewege zu lang sind“, beschreibt der Sprecher die aktuelle Lage.
Doch nicht nur im Einkauf, auch ist bei den Automobilunternehmen zurzeit Kreativität gefordert. So hat ein Sprecher der Opel-Mutter Stellantis bestätigt, dass man beim Peugeot 308 nun wieder analoge Tachometer mit Zeiger einbauen werde. Der Grund: Für die neuen digitalen Geschwindigkeitsmesser fehlten elektronische Bauteile, die bei den analogen Zeigern nicht nötig sind.
Der Lieferengpass an Chips und anderen Vorprodukten hat mehrere Gründe. Zunächst ist die produzierende Chipindustrie in Ländern Asiens konzentriert, von dort stammen 80 Prozent der weltweiten Computerchips. Führend ist vor allem China, doch auch Taiwan oder Südkorea stellen die begehrten Miniatursteuereinheiten her. Der aktuell herrschende Mangel liegt zum einen daran, dass auch in diesen Ländern die Produktion in den Fabriken zeitweise gestört war. Zum anderen haben sich diese Wirtschaftsräume vergleichsweise schnell wieder von der Corona-Krise erholt. Die anziehende Nachfrage traf also auf Kapazitätsengpässe, die nun auch die globalen Lieferketten durchwirken.
Diese haben sich aber auch verschoben. Denn als infolge der Krise der Autoabsatz in den Keller rauschte, prosperierte zugleich die Nachfrage nach allen möglichen Formen von Unterhaltungselektronik. So rechnet etwa der Autoanalyst Arndt Ellinghorst, dass allein Apple während der Krise so viele Computerchips
in Asien geordert hat wie die gesamte Automobilindustrie zusammen.
Schließlich gibt es auch einzelne Ereignisse, die sich auf die Produktion negativ ausgewirkt haben. So etwa ein Schneesturm in Texas oder ein Brand bei Renesas in Japan. „Diese Auswirkungen sind in den nächsten Monaten sicherlich noch zu spüren“, sagte VW-Markenchef Ralf Brandstätter. Die „BeschaffungsTaskforce“des VW-Konzerns befasse sich „rund um die Uhr mit nichts anderem“, das Problem sei auch Topthema auch auf Vorstandsebene.
Experten wie er verweisen auch darauf, dass die Nachfrage nach elektronischen Steuerungsmodulen zwar stetig wächst, weil immer mehr Funktionen in den Fahrzeugen per Chip gesteuert und kontrolliert werden. Allerdings spielt die Autoindustrie als Abnehmer von Computerchips insgesamt nur eine vergleichsweise bescheidene Rolle, und deswegen ist ihre Marktmacht auf die Chiphersteller auch begrenzt.
Immerhin gibt es aber auch gute Nachrichten. Denn beim weltweit führenden Chipfertiger TSMC rechnet man mit einer Entspannung der Halbleiter-Engpässe in der Autobranche. TSMC-Chef Mark Liu sagte dem Sender CBS, er habe zum ersten Mal im Dezember von den Problemen gehört. Seither habe sein Unternehmen alles getan, um so viele Chips wie möglich für die Autohersteller bereitzustellen. „Heute gehen wir davon aus, dass wir die Mindestanforderungen vor Ende Juni erfüllen können.“Das bedeute aber nicht, dass die Zeit der Knappheit in zwei Monaten überwunden sei. Es gebe zeitliche Verzögerungen. Denn bei Auto-Chips seien die globalen Lieferketten lang und komplex.
Wie TSMC also auf künftig wachsende Geschäfte blicken kann, gehört auch der deutsche Chiphersteller Infineon zu den Gewinnern der hohen Nachfrage nach Computerchips. „Der Halbleitermarkt boomt, Elektronik zur Beschleunigung der Energiewende und für die Arbeit und das Leben zu Hause bleibt sehr gefragt“, sagte Konzernchef Reinhard Ploss am Dienstag bei der Vorlage der Quartalsbilanz des DaxKonzerns aus Neubiberg bei München. Auf dem Weg zu seinen Zielen befindet sich Infineon voll auf Kurs und hat sogar seine Jahresprognosen etwas angehoben. Während bei den einen also Bänder stillstehen, klingeln bei anderen gerade die Kassen umso lauter.