Licht am Ende des Corona-Tunnels
Wichtige Indikatoren deuten auf Entspannung der Pandemielage hin – Was Wissenschaftlern Hoffnung macht
BERLIN - Weniger Neuinfektionen, eine sinkende Sieben-Tage-Inzidenz, ein niedriger R-Wert und etwas weniger Intensivpatienten – mehrere Experten halten das für Anzeichen, dass Deutschland ein guter Sommer bevorsteht. Der Überblick.
Wie sind die Ansteckungszahlen? Das Robert-Koch-Institut (RKI) meldet 18 034 Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden – ein Rückgang um 19 Prozent im Vergleich zur Vorwoche. Auch die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Ansteckungen pro 100 000 Einwohner sinkt weiter: Die Inzidenz liegt nun bei 132,8 (Vortag: 141,4; Vorwoche: 160,6). Das Besondere zudem: In der letzten Woche sank laut RKI „die Sieben-TageInzidenz erstmals wieder in allen Altersgruppen“, also auch bei Kindern und Jugendlichen, die gerade besonders von Ansteckungen betroffen sind. In allen Bundesländern ist eine Abnahme der Fallzahlen im Vergleich zur Vorwoche zu beobachten. Schleswig-Holstein (minus 21 Prozent), Bayern (minus 20), Niedersachsen und Brandenburg mit jeweils 18 Prozent Rückgang liegen dabei vorn. Am Ende stehen das Saarland (minus 1), Thüringen (minus 6) und Baden-Württemberg (minus 8). Die sogenannte Reproduktionszahl, kurz R-Wert genannt, die beschreibt, wie viele Menschen ein Erkrankter ansteckt, liegt aktuell bei 0,82 (Vortag: 0,88). Rein rechnerisch stecken also 100 Infizierte 82 weitere Menschen an. Liegt der R-Wert für längere Zeit unter 1, flaut das Infektionsgeschehen ab. Bereits seit über einer Woche, nämlich seit dem 27. April, liegt der R-Wert unter 1.
Wie steht es um schwere Fälle? Der Anstieg bei der Zahl an Covid-19Patienten auf deutschen Intensivstationen „scheint aktuell gestoppt“, so das RKI. Die Zahl der schwer Erkrankten in den Kliniken ist wieder unter die Marke von 5000 gefallen. Auf den Intensivstationen werden nun 4838 solche Fälle behandelt, 117 weniger als am Vortag, geht aus dem Register der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) hervor. Die Entwicklung in diesem Jahr ist dabei ein Auf und Ab: Gab es am 3. Januar noch 5745 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, und damit so viele wie noch nie, waren es am 13. März lediglich 2713. Vor einem Monat hatte der Wert 4144 betragen, vor einer Woche 5047. Für DIVI-Präsident Gernot Marx ist die Lage zwar weiterhin angespannt, aber er hofft, dass bis Ende des Monats die Zahl deutlich sinkt. „Das ist unser Licht am Horizont.“Deutschlandweit wurden innerhalb von 24 Stunden 285 neue Todesfälle verzeichnet. Vor genau einer Woche waren es 312 Tote.
Worin liegt der positive Trend begründet?
Nach Ansicht mehrerer Experten handelt es sich um einen Ursachenmix. So verweist die Physikerin Viola Priesemann aus Göttingen auf den
Fortschritt beim Impfen. In Deutschland haben mittlerweile 29,5 Prozent der Menschen mindestens eine Corona-Impfung erhalten. Die volle Immunisierung haben 8,3 Prozent der Bevölkerung. Auch die Präsidentin der Gesellschaft für Epidemiologie, Eva Grill, betont, dass die Impfungen stark an Fahrt aufgenommen hätten, „vielleicht sehen wir hier schon Effekte“. Der Mobilitätsforscher Kai Nagel von der Technischen Universität Berlin hält neben den Impfungen, „die einen schnellen Einfluss haben“, auch die vielen Schnelltests in Schulen und Unternehmen sowie die Ausgangssperre für Gründe – und das langsam wärmer werdende Wetter. Letzterem kann auch Viola Priesemann folgen – dass viele Menschen Treffen nach außen verlagern, könne für den R-Wert einen Effekt von rund 20 Prozent ausmachen. Kai Schulze vom Robert-Koch-Institut, der auch an der Universität im englischen Cambridge forscht, betont, dass die Ansteckungswahrscheinlichkeit im Freien im Vergleich zu Innenräumen um mehr als 80 Prozent – „wenn nicht mehr“– reduziert sei. Und für den SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach haben die Debatten um die gescheiterte Osterruhe zu einem vorsichtigeren Verhalten in der Bevölkerung geführt. „Dann halfen der klare Appell der Wissenschaftler vor der Notbremse und die Notbremse selbst.“Auch er betont die Rolle der Impfungen: „Jeder Geimpfte fällt sowohl als Quelle weiterer Infektionen als auch als Opfer der Infektion aus.“
Wie geht es weiter?
Für den Virologen Alexander Kekulé aus Halle ist der Punkt erreicht, wo das Ende des Tunnels in Sicht sei „und wo wir mit ein bisschen Disziplin und deutscher Gründlichkeit in der Lage sind, uns bis zum Sommer, wenn es wieder wärmer wird und die Fallzahlen runtergehen, irgendwie durchzuhangeln“. Auch die Virologin Sandra Ciesek aus Frankfurt ist zuversichtlich: Wenn es Deutschland schaffe, weiter schnell und gezielt zu impfen „und vielleicht in vier Wochen schon die Hälfte der Erwachsenen die erste Dosis bekommen haben“, werde sich die Situation weiter entspannen. Und für Kai Schulze sind die aktuellen Fallzahlen schlicht „der Anfang vom Ende der Pandemie in Deutschland“.
Das Kabinett hat ein ZweiMilliarden-Euro-Programm beschlossen, mit dem die Folgen der Corona-Pandemie für Kinder und Jugendliche gemildert werden sollen. Mit dem Geld sollen, wie Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) am Mittwoch sagte, „Bildungs- und Bindungsverluste“von jungen Menschen ausgeglichen werden. Einig waren sich Union und SPD schon lange darüber, dass aus dem Programm eine Milliarde Euro für Nachhilfe- und Förderunterricht aufgewendet werden soll. Ebenso über die Aufstockung verschiedener Projekte, die Kindern und Jugendlichen helfen sollen, ins normale Leben zurückzufinden – zum Beispiel durch eine zusätzliche Förderung von Ferien-, Sport- und Freizeitaktivitäten sowie des Sprachunterrichts an Brennpunkt-Kitas. Streit gab es über eine von der SPD gewünschte Einmalzahlung von 100 Euro für Kinder aus einkommensschwachen Familien. Sie ist nun beschlossen. Finanziert werden soll das Aufholprogramm über den Nachtragshaushalt des Bundes, wobei auch geplant ist, dass die Länder zumindest das Nachhilfeprogramm mit eigenen Mitteln aufstocken. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) sagte, sie sehe die Länder da „in der Verantwortung“. Die Nachhilfe werde vom Bund in den Hauptfächern Mathematik, Deutsch und Fremdsprachen bezuschusst. Angebote in anderen Fächern seien Ländersache, betonte Karliczek. In der Bundesregierung geht man davon aus, dass etwa ein Viertel der Schüler nach der Pandemie Lernrückstände aufholen müssen. Eine Umfrage der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter ergab, dass sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche besonders mit Problemen zu kämpfen haben. Der Vorsitzende Lorenz Bahr sprach von „verlorenen Chancen und nachhaltigen Schäden“. (gab)