Von den Anfängen der Ökumene
Wie Einheimische und Vertriebene nach dem Zweiten Weltkrieg zusammenfanden
AALEN - Es ist eine Herausforderung sondergleichen gewesen, die der damalige Landkreis Aalen vor 75 Jahren zu bewältigen hatte: Er musste zusätzlich zu seinen 85 000 Einwohnern innerhalb weniger Jahre 33 000 Menschen aufnehmen, die als Folge des verlorenen Krieges ihre Heimat im Osten des damaligen deutschen Reichs und in Osteuropa aufgeben mussten. Sie alle mussten verköstigt und untergebracht werden. Auf die Konfession wurde keine Rücksicht genommen, so dass Katholiken in evangelische Gemeinden kamen und evangelische Christen in ein katholisches Umfeld. Das führte beispielsweise dazu, dass in der protestantisch geprägten ehemaligen Freien Reichsstadt Aalen nach dem Krieg die Katholiken in der Überzahl waren.
In Aalen waren Katholiken erst im 19. Jahrhundert aus dem katholischen Umland zugezogen und in der Stadt sesshaft geworden. 1868 wurde die Mariund enkirche gebaut 1872 eine katholische Pfarrei errichtet. Aber erst der starke Zuzug von heimatvertriebenen Katholiken veränderte die konfessionelle Struktur der Stadt grundlegend.
Die Entwicklung im benachbarten Hüttlingen verlief genau in die andere Richtung. Gab es bis zum Zweiten Weltkrieg ausschließlich Katholiken im Ort, wuchs die Zahl der evangelischen Christen bis 1955 auf rund 500 an. Der Grund waren vertriebene Ungarndeutsche und
Vertriebene aus Nordostdeutschland. Die Gläubigen mussten zunächst in Fachsenfeld den Gottesdienst besuchen. Später durften sie sich in einem Schulsaal versammeln, ehe ihnen der katholische Pfarrer erlaubte, Gottesdienst in der kleinen historischen Friedhofskapelle zu feiern. 1966 wurde die evangelische Versöhnungskirche eingeweiht.
Das Zusammenleben von Einheimischen und Vertriebenen gestaltete sich unterschiedlich. Die Skala reichte von Anteilnahme, Verständnis und
Hilfsbereitschaft über Gleichgültigkeit bis zu kalter Ablehnung und Verachtung. Aber man lernte nicht nur sich und die neuen Nachbarn und Mitbewohner kennen, sondern auch deren jeweilige Religion. Dies könnte einer der Anfänge der Ökumene gewesen sein, die inzwischen in vielen Gemeinden eine Selbstverständlichkeit ist.
Über Konfessionsgrenzen hinweg wurden Bedürftige ganz selbstverständlich betreut. So entstand nach dem Zweiten Weltkrieg in Aalen eine hauptamtlich besetzte Kreiscaritasstelle, um den großen Strom der Heimatvertriebenen aufnehmen zu können. Die aus Oberschlesien stammende Leni Berg war die erste Leiterin. Ebenso entstand das Evangelische Hilfswerk, dessen Leiter in Aalen im Oktober 1946 Hermann Weller wurde und dessen Aufgabe es war, sich um die Flüchtlinge zu kümmern, auch seelsorgerlich. Es war auch die Geburtsstunde des heutigen Kreisdiakonieverbands.
Dass es zur ersten Vertriebenenwallfahrt auf den Schönenberg bei Ellwangen kam, ist auch dem damaligen evangelischen Dekan in Aalen zu verdanken. Alexius Moser berichtete, dieser habe ihm mit einer Geldspende von 50 Mark den Druck von Einladungsplakaten ermöglicht. Der Schönenberg war schon bald nach dem Krieg das Ziel von Heimatvertriebenen, die dort, wie es in einem Bericht hieß, „wieder einmal katholische Heimatluft atmen“und Landsleute treffen konnten.
Im Sommer 1947 versammelten sich dort 12 000 Menschen, und am 25. Juni 1950 folgten 25 000 der Einladung zur Diasporawallfahrt mit dem damals neuen Rottenburger Bischof Carl Joseph Leiprecht. Am 1. Mai 1960 war der seinerzeitige Bundeskanzler Konrad Adenauer der Festredner. Ihn wollten 50 000 Menschen sehen und hören. In deutlich kleinerem Rahmen fanden seit 1948 Wallfahrten nach Maria Eich bei Ebnat statt.
Quelle: Alois Schubert: „Alle zehn Tage kamen tausend Vertriebene“- Ankunft, Aufnahme und Eingliederung der Heimatvertriebenen im Kreis Aalen 1945. Herausgeber: Bund der Vertriebenen, Kreisverband Aalen