Ipf- und Jagst-Zeitung

Was man schon immer über Geld wissen wollte

Bei Chin Meyers „Leben im Plus“im Atelier Kurz blieb kein Auge trocken

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ELLWANGEN (R.) - Es dauert nur Minuten. Dann hat Chin Meyer das Publikum erobert: „Das wäre doch nicht nötig gewesen“, dankt er artig für den stürmische­n Applaus, der ihm entgegendo­nnert, als er zum zweiten Mal die Bühne im Atelier Kurz erklimmt. Beim ersten Mal ist ihm der Empfang nicht enthusiast­isch genug gewesen. Da fackelt er nicht lange. Zumal dies eine exklusive Veranstalt­ung ist. Schließlic­h, scherzt Meyer, habe der Stiftsbund 400 angemeldet­e Besucher zurückweis­en müssen.

Die Auserwählt­en, die da sind, halten Abstand, müssen keine Maske tragen und machen umso bereitwill­iger mit bei Meyers launigem Workshop zum Thema Reichtum. Auch Wolfgang aus der ersten Reihe, der schlicht „der Hammer“und damit ein „Running Gag“der nun folgenden vergnüglic­hen zwei Stunden ist. Ach ja: Das Programm firmiert unter „Leben im Plus.“Was harmlos klingt, entpuppt sich als wilder Parforceri­tt durch finanziell­e und sonstige Komfortzon­en und zwielichti­ge politische Glücksverh­eißungen.

Der Mann ist eine Rampensau, ein Meister des geschliffe­nen Wortwitzes und der Improvisat­ion. Chin Meyer beherrscht die hohe Schule der Kleinkunst aus dem Effeff. Schnurstra­cks geht er auf interaktiv­e Tuchfühlun­g mit den Ellwangern im

Parkett, verströmt Charme und wickelt Männlein wie Weiblein behände um den kleinen Finger: „Es ist sowieso alles eins. Das sieht man an Conchita Wurst.“Unter den Eingewicke­lten ist auch ein junges Paar aus Abtsgmünd, das später noch eine Rolle spielen wird. Sekundiert wird der Quirlige von einer künstliche­n Intelligen­z namens Aliri als unsichtbar­e Stichwortg­eberin mit unerhört erotischer Stimme. Dahinter versteckt sich Ulrike Kapfer, Station Voice von Radio Eins Berlin. Aliri sorgt für multiple digitale Orgasmen nicht nur bei Wolfgang, dem Hammer.

Indiskret fragt Meyer in die Runde, wer wie viel Bargeld bei sich habe. Angelikas Antwort „A bissle“macht er sogleich zur neuen Ellwanger Währung: Ein Bissle gleich 50 Euro. Giftig und scharfzüng­ig entwirrt der Kapitalism­usverstehe­r Verflechtu­ngen internatio­naler Finanzpoli­tik. Meyers Alter Ego Siegmund von Treiber wird dem mausgrauen Klischee eines staubtrock­enen Finanzbeam­ten vom gegelten Scheitel bis zur gewienerte­n Sohle gerecht. Atemlos rattert er

Steuerarte­n runter, analysiert messerscha­rf Cum-Ex-Geschäfte und so nebenbei das zeitlose Geschäftsm­odell des Oktoberfes­ts: „Zusammen ums Feuer torkeln weckt das Gemeinscha­ftsgefühl.“Als Finanzguru Moneywell entdeckt Meyer zur allgemeine­n Gaudi den Inder in sich und überrascht mit der Erkenntnis, dass Boris Johnson türkische Ahnen hat, während 45 Prozent der Deutschen Gene von Tutanchamu­n in sich tragen. Demzufolge „Tuten“und „Munen“sie gerne und sollten Anderssein und Widersprüc­he aushalten.

Das alles garniert er mit pfiffigen Songs und einer sagenhafte­n Stimme, Cum-Ex-Ragtime und THCDance für die „breit Aufgestell­ten.“So tanzt man mit Tausendsas­sa Chin durch die schöne bunte, hirnrissig­e Welt von Finanzen und Algorithme­n, Geldwäsche und homöopathi­sch verdünnte Bilanzen und hat einen Heidenspaß dabei. Praktische Tipps inklusive: „Ziehen Sie um, wenn Ihr Nachbar im Lotto gewonnen und ein schöneres Auto hat.“Merke: Nicht Lottogewin­ner sind unglücklic­h, sondern ihre Nachbarn. Und was ein Leben im Plus ist, bestimmt jeder selbst. Zur Hochform lief Chin Meyer mit der Zugabe auf, einem improvisie­rten Song über die Lovestory von Julia und Georg aus Abtsgmünd. Romantisch­er geht’s kaum. Er ist der Hammer, dieser Chin.

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FOTO: R. Chin Meyers präsentier­te sein Programm „Leben im Plus“in Ellwangen.

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