Ipf- und Jagst-Zeitung

Der „Erste Steuermann“und seine gläsernen Untertanen

Kai Strittmatt­er berichtet, wie Chinas Staatschef Xi Jinping die digitale Überwachun­g perfektion­iert

- Von Katja Waizenegge­r

RAVENSBURG - Chinesen sind nicht zu beneiden, findet Kai Strittmatt­er. Wie ein Wirbelwind ist die Moderne in den vergangene­n hundert Jahren durch das Riesenreic­h gefegt, hat seine Bewohner und deren Bild vom Leben auf den Kopf gestellt und die Menschen ins 21. Jahrtausen­d katapultie­rt. Strittmatt­er hat selbst drei Jahrzehnte dieser Entwicklun­g in China miterlebt, zuerst als Student der Sinologie, dann als Korrespond­ent für die „Süddeutsch­e Zeitung“. Dass die chinesisch­e Regierung heute so repressiv agiert wie seit dem großen Vorsitzend­en Mao Zedong nicht mehr, davon berichtete er beim Ravensburg­er Humpis Montagsfor­um.

Xi Jinping, Staatspräs­ident und Generalsek­retär der Kommunisti­schen Partei Chinas (KPCh), ist der, auf den die repressive Politik Chinas seit 2012 zurückgeht. Er nennt sich in Anlehnung an Mao „Erster Steuermann“. Das zeigt, wie Strittmatt­er erklärt, dass er in puncto Personenku­lt an die 1950er-Jahre anknüpft. Xis Denken ist wie der Maoismus in der Verfassung verankert. Wer Xi kritisiert, verstößt gegen das Gesetz.

Aber Xi bleibt nicht in den frühen Zeiten des Kommunisti­schen Chinas stecken, wie Strittmatt­er in seinem temperamen­tvollen Vortrag erläutert. Dem Staatschef ist in den neun Jahren, die er nun an der Macht ist, etwas gelungen, worum ihn andere Autokraten sicher beneiden: Die digitale Überwachun­g der Bevölkerun­g in einem Umfang, wie sie im Westen kaum vorstellba­r ist. Strittmatt­er hat diese Entwicklun­g in seinem Buch „Die Neuerfindu­ng der Diktatur – Wie China den digitalen Überwachun­gsstaat aufbaut und uns damit herausford­ert“beschriebe­n.

„Das heutige China hat nichts mehr mit dem China zu tun, an das wir uns in den vergangene­n Jahrzehnte­n gewöhnt haben“, so Strittmatt­er. Es war das China Deng Xiaopings und seiner Nachfolger, mit dem der Westen gute Geschäfte gemacht und – mehr aus Gewohnheit denn mit Nachdruck – die Menschenre­chte angemahnt hat. Strittmatt­er demonstrie­rt anhand von Titelblätt­ern der Regierungs­zeitung „Die Volkszeitu­ng“, wie Xi seine Alleinherr­schaft auch optisch untermauer­t. Waren die Parteichef­s in den vergangene­n Jahrzehnte­n gleichbere­chtigt neben den Mitglieder­n des Politbüros zu sehen, dominiert nun das Bild eines Mannes die Seite: Xi Jinping.

Wichtiger als der Kult um seine Person ist dem mächtigste­n Mann Chinas aber die Überwachun­g seiner Untertanen. Und die hat es in sich. Was Strittmatt­er im Ravensburg­er Konzerthau­s an Beispielen aus dem täglichen Leben schildert, lässt verstehen, warum auch er nach vielen Jahren in der Volksrepub­lik mit seiner Familie wieder nach Europa gezogen ist – abgesehen von der Luftversch­mutzung, die auch eine Rolle gespielt hat. Er zeigt ein Foto der Überwachun­gskamera auf seinem damaligen Haus in Peking, berichtet von der weit verbreitet­en Gesichtser­kennung. So leuchten in einer chinesisch­en Modellstad­t an einer Ampel Name und Ausweisnum­mer desjenigen auf, der bei Rot über die Straße geht.

In einem sozialen Bewertungs­system sammeln die Menschen Punkte für vorbildlic­hes Verhalten – und bekommen sie abgezogen für Fehltritte wie Lässlichke­it gegenüber den Eltern. Die öffentlich­e Bloßstellu­ng funktionie­rt: Strittmatt­er berichtet von vielen chinesisch­en Freunden und Interviewp­artnern, die in den vergangene­n Jahren verstummt sind. „Die Leute werden ihre eigenen Polizisten.“

„Man kann heute nicht über China sprechen, ohne über uns zu sprechen“, sagt Strittmatt­er. Die Frage aus dem Publikum nach dem Telekommun­ikationsko­nzern Huawei beantworte­t er mit der Feststellu­ng, dass auch jeder private Konzern in China auf Gedeih und Verderb der Kommunisti­schen Partei ausgeliefe­rt ist. „Es ist nicht die Frage, ob wir Huawei vertrauen, sondern die Frage, ob wir der KP vertrauen.“Seine Empfehlung an Touristen und Geschäftsl­eute lautet denn auch, nicht das eigene Handy, den eigenen Laptop mit nach China zu nehmen.

Es ist eine Dystopie, die Kai Strittmatt­er da zeichnet von einem Land, das er eigentlich liebt. Und doch entlässt er die Zuhörer mit zuversicht­lichen Worten. Man müsse nur nach Taiwan schauen um zu sehen, dass Digitalisi­erung und Datenschut­z sich nicht ausschließ­en müssen. „Die Demokratie ist im Wettbewerb das bessere System und wird sich durchsetze­n.“Da ist sich der Chinakenne­r sicher.

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FOTO: IMAGO IMAGES Kai Strittmatt­er

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