Viel Gutes, viele Baustellen
Dass sich Angela Merkel zum Abschied Nina Hagens DDRHit „Du hast den Farbfilm vergessen“wünscht, gehört zu den Überraschungen, zu denen die scheidende Bundeskanzlerin fähig ist. Dabei gab es ja durchaus Momente und Sätze, die verrieten, dass sich hinter der sachorientierten Kanzlerin ein Mensch mit persönlichen Vorlieben und Sinn für Humor verbirgt. Doch die Deutschen haben gerade ihre Zurückhaltung geschätzt, ihre uneitle Art, ihre sachorientierten Argumente, mit denen sie sich von den Männern an ihrer politischen Seite mitunter wohltuend abgehoben hat. Deshalb ist es nachvollziehbar, dass Merkel nach wie vor Bestnoten von den Bürgern bekommt.
Auch die Behauptung, Europa sei für sie keine Herzensangelegenheit, hat die Kanzlerin aus dem Osten widerlegt. Merkel hielt die Europäische Union zusammen. Während andere Staats- und Regierungschefs im europäischen Ausland von den wechselnden Krisen hinweggefegt wurden, stieg die Bundeskanzlerin zur international anerkannten Krisenmanagerin mit Kompromissfähigkeit auf. Deutschland könnte also stolz darauf sein, so lange eine so patente Frau an der Spitze gehabt zu haben.
Doch bei allem Respekt vor Merkels Fleiß und Leistungswillen muss die Frage gestellt werden, warum sie, die vorausschauende Analytikerin, die Probleme in Deutschland nicht entschiedener angegangen ist. Die Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt – seit Jahren ein Thema. Die schlechteren Bildungschancen von Kindern armer Eltern – längst bekannt. Der schlechte Zustand der Bahn – nun eine Bürde in der Klimapolitik. Das Tempo in der Digitalisierung – andere Länder lachen darüber. Der Pflegenotstand – 2010 schlimm, jetzt schlimmer. Die Rentenaussichten für die jüngere Generation – da hilft nur die Aussicht auf ein Erbe. Der soziale Zusammenhalt in der Gesellschaft ist in Gefahr, das hat die Kanzlerin unterschätzt. Die künftige Regierung sollte deshalb nicht nur den Klimaschutz mit Macht vorantreiben, sondern auch die Menschen im Blick haben, die das Geld dafür erwirtschaften.