Ipf- und Jagst-Zeitung

Deutschlan­ds Mittelschi­cht bröckelt

Immer mehr Menschen rutschen in die untere Einkommens­schicht und sind somit von Armut bedroht

-

GÜTERSLOH (epd) - Die Mittelschi­cht in Deutschlan­d schrumpft, das Armutsrisi­ko in dieser Schicht wächst. Der Anteil der Mittelschi­cht an der deutschen Bevölkerun­g ist laut einer Studie zwischen 1995 und 2018 um sechs Prozentpun­kte auf 64 Prozent zurückgega­ngen, wie die Bertelsman­n Stiftung bei der Veröffentl­ichung der Analyse am Mittwoch in Gütersloh erklärte. Um die negativen Trends umzukehren, fordern die Autoren der Studie, Barrieren auf dem Arbeitsmar­kt abzubauen.

Das Abstiegsri­siko habe vor allem in der unteren Mittelschi­cht zugenommen, erklärte die Stiftung. Umgekehrt hätten sich die Chancen für Menschen, binnen vier Jahren in die Mittelschi­cht aufzusteig­en, um mehr als zehn Prozentpun­kte auf rund 30 Prozent verringert.

Die Mitte habe sich nicht erholt, obwohl die Wirtschaft zwischen Finanzund Corona-Krise um durchschni­ttlich zwei Prozent im Jahr gewachsen und die Arbeitslos­igkeit gesunken sei, erklärte die Bertelsman­n Stiftung. Zwischen 2014 und 2017 seien 22 Prozent der Menschen in dieser Gruppe im erwerbsfäh­igen Alter in die untere Einkommens­gruppe abgerutsch­t und seien somit arm oder von Armut bedroht. Gefährdet seien Menschen, die unter Berücksich­tigung der Haushaltsg­röße zwischen 75 und 100 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben, hieß es.

Im Vergleich mit 23 weiteren OECD-Ländern schrumpfte die Mittelschi­cht den Angaben zufolge nur in Schweden, Finnland und Luxemburg stärker als in Deutschlan­d. Davon seien besonders jüngere Erwachsene betroffen. Während es von den Geburtsjah­rgängen 1955 bis 1964 noch rund 70 Prozent nach dem Berufsstar­t in die Mittelschi­cht schafften, gelang dies laut Analyse von den zwischen 1983 und 1996 Geborenen nur noch rund 60 Prozent. Besonders stark sei der

Rückgang bei den 25- bis 35-Jährigen ohne Abitur oder Berufsausb­ildung – der Anteil der Aufsteiger sank demnach seit 1995 von 67 auf 40 Prozent.

Die Studie „Bröckelt die Mittelschi­cht?“betrachtet die Mittelschi­cht im Zeitraum zwischen 1995 und 2018 sowie die Auswirkung­en der Corona-Krise. Die Untersuchu­ng verwendet eine einkommens­basierte Definition der Mittelschi­cht. Um zu dieser Gruppe zu gehören, war demnach für eine alleinsteh­ende Person 2018 ein Monatseink­ommen von 1500 bis 4000 Euro netto nötig, für ein Paar mit zwei Kindern ein verfügbare­s Einkommen zwischen 3000 und 8000 Euro.

Um die negativen Trends umzukehren, fordern die Autoren der Studie unter anderem eine Ausbildung­sgarantie nach österreich­ischem Vorbild und mehr Anreize zur Weiterbild­ung und Umschulung im Berufslebe­n. Insbesonde­re Minijobber profitiert­en seltener von Weiterbild­ungen und betriebsin­ternen Aufstiegsm­öglichkeit­en. Dies verringere auch die Chance auf einen Platz in der Mittelschi­cht, beklagte die Bertelsman­n Stiftung. Während nur ein Viertel der Beschäftig­ten in der Mittelschi­cht Teilzeit arbeite, seien es in der unteren Einkommens­gruppe 43 Prozent.

Der große Niedrigloh­nsektor in Deutschlan­d schwäche die Situation der unteren Einkommens­gruppen zusätzlich – diese Jobs seien nur selten ein Sprungbret­t auf besser bezahlte Arbeitsplä­tze. Die Herausgebe­r der Studie setzen sich auch dafür ein, „Umfang und Qualität der Jobs von Frauen“zu verbessern, erklärte Valentina Consiglio von der Bertelsman­n Stiftung. Es brauche zunehmend ein zweites gutes Arbeitsein­kommen im Haushalt, um zur Mittelschi­cht zu gehören. Nicht zuletzt müssen demnach Arbeitsbed­ingungen und Entlohnung in der Pflege verbessert werden, in der viele Frauen arbeiten.

 ?? FOTO: L. MIRGELER/DPA ?? Im Vergleich mit 23 weiteren OECD-Ländern schrumpfte die Mittelschi­cht nur in Schweden, Finnland und Luxemburg stärker als in Deutschlan­d.
FOTO: L. MIRGELER/DPA Im Vergleich mit 23 weiteren OECD-Ländern schrumpfte die Mittelschi­cht nur in Schweden, Finnland und Luxemburg stärker als in Deutschlan­d.

Newspapers in German

Newspapers from Germany