Ipf- und Jagst-Zeitung

Trier trauert

Gedenken an Amokfahrt-Opfer vor einem Jahr

- Von Birgit Reichert

TRIER (dpa) - Im Zentrum von Trier steht das Leben still. Passanten halten schweigend inne, während die Domglocke läutet. Kerzen brennen – und im Dom stehen Hunderte Menschen andächtig beieinande­r. Auf die Minute genau vor einem Jahr, um 13.46 Uhr, raste ein Amokfahrer durch die Fußgängerz­one. Vier Minuten später war die Stadt eine andere: Fünf Menschen starben, Dutzende wurden verletzt, Hunderte traumatisi­ert. Es sind die Opfer, derer am Mittwoch bei der ersten großen Gedenkvera­nstaltung zur Todesfahrt gedacht wird.

Viele von ihnen sitzen am Jahrestag in den Bänken des Doms. Daneben Angehörige, Hinterblie­bene und Rettungskr­äfte, die im Einsatz waren. Mit dabei ist auch die rheinland-pfälzische Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer (SPD). „Die Stadt ist damals im Mark getroffen worden. Und auch das ganze Land“, sagte Dreyer, die in Trier zu Hause ist. Das spüre man am Jahrestag besonders noch einmal. „Wenn man sich an die Bilder erinnert, das ist einfach erschütter­nd bis zum heutigen Tag.“

Im Dom sprach der Trierer Bischof den Menschen aus der Seele. Die Amokfahrt bleibe bis heute eine „unbegreifl­iche Tat“mit vielen unbeantwor­teten Fragen, sagte er vor knapp 400 Besuchern. Sie habe die Trierer „jäh herausgeri­ssen“aus dem Alltag, bei Betroffene­n den „Blick auf das ganze Leben verändert“. Sicher sei: „Die Verarbeitu­ng des Geschehene­n steht erst am Anfang“, sagte der Bischof.

Der Amokfahrer war am 1. Dezember 2020 mit seinem Geländewag­en fast einen Kilometer durch die Fußgängerz­one gerast und hatte gezielt Menschen angefahren. Bei der Tat starben ein neun Wochen altes Baby, dessen Vater (45) und drei Frauen im Alter von 25, 52 und 73 Jahren. Im Oktober war zudem ein 77-Jähriger gestorben, der bei der Tat schwer verletzt worden war. Ob die erlittenen Verletzung­en todesursäc­hlich waren, muss noch abschließe­nd geklärt werden.

„Wir sind heute hier, weil wir nicht vergessen können“, sagte der Vizepräses der Evangelisc­hen Kirche im Rheinland, Christoph Pistorius, in seiner Predigt. Und: „Weil wir nicht vergessen wollen. Wir wollen uns an die Opfer erinnern“. Man trauere gemeinsam, teile „das Unverständ­nis und das Entsetzen, die Wut und Machtlosig­keit“. Aber Verzweiflu­ng und Hass sollten das weitere Leben nicht bestimmen, sagte er. Man wolle sich „gemeinsam ermutigen, einander trösten“.

Als mutmaßlich­er Täter steht seit dem Mitte August ein 52-Jähriger vor dem Landgerich­t Trier. Die Staatsanwa­ltschaft wirft dem Deutschen fünffachen Mord und versuchten Mord in 18 weiteren Fällen vor. Bislang wollte er sich im Prozess nicht äußern. Der zuletzt arbeits- und wohnsitzlo­se Mann leidet nach vorläufige­r Einschätzu­ng eines psychiatri­schen Sachverstä­ndigen an einer Psychose.

Der Jahrestag sei für die Betroffene­n „ein schwerer Tag“, sagte der Opferbeauf­tragte des Landes Rheinland-Pfalz, Detlef Placzek. „Egal, ob sie anwesend sind oder zu Hause sitzen.“Wichtig sei es, deutlich zu machen: „Dass sie nicht alleine sind und dass sie sich vielleicht auch in der Gemeinscha­ft gegenseiti­g etwas trösten können.“Viele seien beim Gottesdien­st und auch am Abend bei einem Konzert (Requiem) in der Konstantin-Basilika dabei.

Die Tat treibt bis heute viele Trierer um. Bei einer Gedenktafe­l, die am vergangene­n Freitag nahe der Porta Nigra enthüllt worden war, haben Menschen Kerzen aufgestell­t. Das Erinnern sei wichtig, sagte eine Frau nach dem Gedenkgott­esdienst. „Aber das Leben geht weiter.“

 ?? FOTO: HARALD TITTEL/DPA ?? Trauer nach der Amokfahrt vor genau einem Jahr: Trier gedenkt der Opfer mit einem Gottesdien­st im Dom der Stadt.
FOTO: HARALD TITTEL/DPA Trauer nach der Amokfahrt vor genau einem Jahr: Trier gedenkt der Opfer mit einem Gottesdien­st im Dom der Stadt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany