Ipf- und Jagst-Zeitung

Von großen und kleinen Ganoven

Colson Whitehead fängt mit „Harlem Shuffle“die Atmosphäre der 1960er-Jahre ein

- Von Welf Grombacher

Der große John Updike lobte sein Debüt, und Barack Obama setzte eines seiner Bücher auf die Leseliste für seine Sommerferi­en. Nicht die schlechtes­te Reputation. Colson Whitehead wurde für seine Romane „Undergroun­d Railroad“(2016) und „Die Nickel Boys“(2019), in denen er über die Flucht aus der Sklaverei sowie eine Besserungs­anstalt für schwarze Jungs geschriebe­n hat, gleich doppelt mit dem Pulitzer Preis ausgezeich­net. Seither gilt er als der wohl populärste afroamerik­anische Autor der Gegenwart. Weil ihn die Arbeit an den beiden zuletzt erschienen­en, politisch stark aufgeladen­en Romanen ausgelaugt habe und er sie als „wirklich deprimiere­nd“empfunden habe, wendet Whitehead sich mit „Harlem Shuffle“erst einmal einem leichteren Genre zu,dem Krimi. Der Titel orientiert sich an einem Song des Soulduos Bob and Earl, den die Rolling Stones später coverten.

Ordentlich Musik ist auch im neuen Buch, das eine Gaunerkomö­die par excellence ist. Sie spielt in den späten 1950er- und frühen 1960erJahr­en nimmt bewusst Anleihen beim Film noir. In drei Episoden erzählt Whitehead die Geschichte von Ray Carney und seinem Cousin Freddie. Wie Brüder wachsen sie auf, weil Ray immer zu Tante Millie muss, wenn sein Daddy, ein Kleinganov­e wie er im Buch steht, sich mal wieder dünn machen oder in den Knast muss. Schon als Jungs sprengen Ray und Freddie mit Böllern die Mülltonnen in die Luft und rennen danach um ihr Leben. Und auch als Erwachsene bleiben sie Getriebene und drehen gemeinsam das ein oder andere dicke Ding. Doch während sich Ray eine bürgerlich­e Existenz als Möbelhändl­er aufbaut, Cops ebenso schmiert wie Halbweltgr­ößen und nur noch nebenbei als Hehler gestohlene­n Schmuck vertickt, rutscht Freddie komplett in die Unterwelt ab, stiehlt und dealt und bleibt am Ende auf der Strecke.

Ausgerechn­et aufs Theresa hat Freddie einen Raubüberfa­ll geplant und holt Ray mit ins Boot. Jenes Hotel im Herzen von Harlem, das sich als eines der ersten auch für Afroamerik­aner öffnete. Alle schwarzen Sportler und Filmstars steigen dort ab. „Das Hotel Theresa auszuraube­n war so, als würde man gegen die Freiheitss­tatue pinkeln.“Wie Whitehead den Coup der Cousins beschreibt, ließe sich wunderbar verfilmen. Bei all den beschriebe­nen Schikanen, denen Schwarze damals ausgeliefe­rt waren, muss man an Peter Farrellys Film „Green Book“(2018) denken.

Nicht weniger gelungen ist der Rachefeldz­ug im zweiten Kapitel, den Carney unternimmt, weil er trotz Schmiergel­dzahlung nicht in den Dumas Club aufgenomme­n wird, einen Club von „hellhäutig­en“Schwarzen, die den Aufstieg geschafft haben. Im dritten Kapitel dann deponiert Ray für Freddie Diebesgut in seinem Safe, das der einem korrupten Immobilien-Tycoon geraubt hat. Immer wieder zieht Freddie seinen Cousin durch solche Aktionen mit ins Schlamasse­l. Wie das eben so ist mit der Verwandtsc­haft.

Geradezu liebevoll staffiert Colson Whitehead sein unterhalts­ames Buch mit dem Charme der Sechziger aus. Damit hat er sich nach eigenen Aussagen viel Arbeit gemacht – um schließlic­h festzustel­len, dass er es sich hätte leichter machen können.

„Ich habe also im Internet recherchie­rt und hätte nur mit meiner Mutter reden müssen!“Die war als junge Frau viel in Harlem unterwegs. Ob es Songs, Filme, Sofas oder Revolver von damals sind: alles ist authentisc­h. Selbst die Sprache, die sich Zeit nimmt und nichts überstürzt, ist eine Hommage an die vergangene­n Tage. Doch während sich das Harlem der 1960er-Jahre seitdem verändert hat, ist der alltäglich­e Rassismus bis heute derselbe geblieben. Die Unruhen im Juli 1964, die ausbrachen, weil ein Polizist den 15-jährigen wehrlosen James Powell erschossen hatte, bilden das Hintergrun­drauschen in Whiteheads Roman und erinnern erschrecke­nd stark an die Straßensch­lachten des Jahres 2020 in den USA.

„Zufällig beendete ich den Teil über 1964 am Tag, bevor die Proteste begannen, die auf den Tod von George Floyd folgten“, erzählte Whitehead in einem Interview. „Ich ging zu Bett, und am nächsten Morgen sah ich in den Nachrichte­n, wie Minneapoli­s in Flammen stand. Staatsgewa­lt gegen Schwarze gehört in diesem Land zum Alltag und ist damit immer aktuell.“Und so ist „Harlem Shuffle“eine atmosphäri­sche Milieustud­ie der 60er-Jahre und der aufkommend­en schwarzen Bürgerrech­tsbewegung, die aktueller ist, als man glauben mag.

Colson Whitehead: Harlem Shuffle, Hanser, 384 Seiten, 25 Euro.

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FOTO: ROLF VENNENBERN­D/DPA Zuletzt hatte der US-Autor Colson Whitehead gleich mit zwei Romanen nacheinand­er den Pulitzer-Preis gewonnen. Jetzt meldet er sich mit „Harlem Shuffle“, einem lockeren Harlem-Krimi, zurück.
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