Ipf- und Jagst-Zeitung

Ein Intellektu­eller unter den Liederdich­tern

Vom angehenden Lehrer zum Musiker und Autor – Heinz Rudolf Kunze schreibt über seinen „Werdegang“

- Von Lothar Veit

Zweimal wurde seine geplante Tournee wegen Corona verschoben, im Frühjahr 2022 soll es hoffentlic­h losgehen. Heinz Rudolf Kunze „muss raus auf die Straße“, wie es in einem seiner neueren Songs heißt. Seit 40 Jahren steht er auf der Bühne und ist aus der deutschspr­achigen Rockszene nicht wegzudenke­n. Kunze, der am Dienstag 65 geworden ist und in der Nähe von Hannover lebt, gehört zu den produktivs­ten Vertretern seiner Zunft. Seit seinem Debüt „Reine Nervensach­e“1981 hat er insgesamt 46 Studioalbe­n veröffentl­icht. Mit „Dein ist mein ganzes Herz“gelang ihm 1985 der Durchbruch, der ihn allerdings nicht dauerhaft in die musikalisc­he „Champions League“brachte, wie er erzählt. Dafür habe er aber auch nichts mit „Abstiegska­mpf“zu tun.

Was ihn an der musikalisc­hen „Champions League“gereizt hätte? „Na, alles! Jeder Mensch, der Musik zum Beruf macht und sich in die Öffentlich­keit begibt, möchte ein Maximum an Resonanz und Erfolg.“Das sei in seinem Fall allerdings nur schwer möglich, „wenn man vom Hörer relativ viel verlangt“.

Kunze, dessen Markenzeic­hen seine schwarze Brille ist, gilt als Intellektu­eller unter den Liederdich­tern. Viele seiner Texte sind sperrig, provokant oder in ihrer Metaphorik schwer zu entschlüss­eln. Er verehrt Bob Dylan, nicht erst, seit der den Nobelpreis für Literatur erhalten hat.

In diesen Tagen ist das neue Album „Werdegang“des Rockpoeten Kunze erschienen, ein Best-of-Album, für das er junge Produzente­nteams gebeten hat, seine größten Hits neu zu interpreti­eren. Unter dem gleichen Titel hat er seine Autobiogra­fie herausgebr­acht. Ist er mit seinem Werdegang im Reinen? „Was bleibt mir anderes übrig? Ich hatte nur diesen. Ich habe oft mit mir gehadert und ich glaube, ich bin immer mein eigener schärfster Kritiker gewesen.“

Durch seine scharfzüng­igen Kommentare zu gesellscha­ftlichen und politische­n Themen zieht der Musiker jedoch auch Kritik auf sich. Etwa, als er im Namen mehrerer Kollegen 1997 eine Quotenrege­lung für deutschspr­achige Popmusik forderte – und dann allein die Prügel dafür einstecken musste. Aktuell macht er mit seiner Ablehnung einer geschlecht­ergerechte­n Sprache von sich reden, spricht von „Gender-Irrsinn“: „Auch ich halte viel von Toleranz und Respekt und Achtung vor anderen Lebensform­en, aber ich kann das auch praktizier­en, ohne zu gendern und damit die Sprache zu verunstalt­en“, sagt er.

Heinz Rudolf Kunze wird 1956 im ehemaligen Flüchtling­slager Espelkamp in Ost-Westfalen geboren und wächst in Osnabrück auf, seine Eltern kommen aus dem ostdeutsch­en Guben. Im Lied „Vertrieben­er“greift er seine Herkunft auf („Ich hab nie kapiert, woher ich stamm'“). Auch viele andere seiner Lieder tragen autobiogra­fische Züge – für ihn seien die Alben immer Tagebuch-Ersatz gewesen.

Er studiert Germanisti­k und Philosophi­e, geht den Weg zum Gymnasiall­ehrer, noch im Referendar­iat kommt aber der Wechsel: 1980 nimmt er erfolgreic­h am Deutschen Pop-Nachwuchs-Festival in Würzburg teil. Das ebnet ihm den Weg zu einem Plattenver­trag. Seine Alben „Dein ist mein ganzes Herz“(1985) und „Wunderkind­er“(1986) machen ihn bekannt. Zuvor waren bereits vier Studioalbe­n und ein Live-Doppelalbu­m erschienen.

Auch als Musical-Übersetzer macht Kunze sich einen Namen. Er schreibt die deutschen Libretti unter anderem für „Les Misérables“und „Miss Saigon“. In den Herrenhäus­er Gärten in Hannover bringt er gemeinsam mit seinem langjährig­en Gitarriste­n Heiner Lürig vier Shakespear­e-Musicals auf die Bühne. Daneben schreibt er Prosa und ist seit einigen Jahren auch ab und an als Schauspiel­er in Fernseh-Nebenrolle­n zu sehen – etwa als kauziger Mordverdäc­htiger im „Tatort“. Der Vater von zwei Kindern ist seit 2009 in zweiter Ehe verheirate­t.

Der Deutsche Evangelisc­he Kirchentag beauftragt ihn mit einer Hymne für das Treffen 2005 in Hannover unter dem Motto „Wenn dein Kind dich morgen fragt“. Und im Jahr 2020, in der Hochphase der Corona-Pandemie, nimmt er gemeinsam mit dem Produzente­n Dieter Falk und einem virtuellen Chor den Mut machenden Gospelsong „Zusammen“auf.

Auf sein Verhältnis zur Kirche angesproch­en, bezeichnet er sich selbst als „wohlwollen­de Karteileic­he“. Zwei seiner besten Freunde seien Pastoren, deshalb könne er gar nicht aus der Kirche austreten. „Ich sympathisi­ere mit dem lieben Gott.“In einem Lied von 2015 fordert er jedoch: „Jeder bete für sich allein“. „Für mich ist Religion eine ganz individuel­le Angelegenh­eit. Ich glaube, wenn das jeder mit sich selber abmachen würde, gäbe es keine Kriege mehr auf der Welt.“(epd)

Heinz Rudolf Kunze mit Oliver Kobold: Werdegang – Die Autobiogra­phie, Reclam, 257 Seiten, 28 Euro.

 ?? FOTO: MICHAEL MATTHEY/DPA ?? Rockpoet Heinz Rudolf Kunze hat dieser Tage mit „Werdegang“seine Autobiogra­fie vorgelegt.
FOTO: MICHAEL MATTHEY/DPA Rockpoet Heinz Rudolf Kunze hat dieser Tage mit „Werdegang“seine Autobiogra­fie vorgelegt.
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany