Ipf- und Jagst-Zeitung

Absturz des Überfliege­rs

Österreich­s Ex-Bundeskanz­ler Kurz zieht sich von allen politische­n Ämtern zurück

- Von Patrick Guyton

WIEN - „Es war mir eine große Ehre, der Republik zehn Jahre dienen zu dürfen“, sagt Sebastian Kurz abschließe­nd. Und auf eine Nachfrage fügt der österreich­ische Ex-Bundeskanz­ler noch hinzu: „Ich werde jetzt aufbrechen, um meinen Sohn und meine Frau aus dem Spital abzuholen.“Kurz ist in diesen Tagen erstmals Vater geworden. Er verlässt das „Springer-Schlössl“, wo die Politische Akademie der konservati­ven Österreich­ischen Volksparte­i (ÖVP) ihren Sitz hat. Ein großes Kapitel in der Politik der Alpenrepub­lik ist beendet, ein Hoffnungst­räger – gerade mal 35 Jahre alt – hat sein Licht ausgeknips­t.

Sebastian Kurz ist von allen politische­n Ämtern zurückgetr­eten. Nachdem er im Oktober schon auf das Kanzleramt verzichtet­e, gibt er nun auch als Parteiobma­nn und als Klubobmann im Parlament auf – also als Partei- und Fraktionsv­orsitzende­r. Er hält eine 20-minütige Rede voller gefühlvoll­er Worte, nennt sich „glücklich“und „dankbar“für eine „wunderschö­ne Zeit“. Sein Team und er hätten „Höchstleis­tungen“vollbracht, allerdings sei mit der „Abwehr von Vorwürfen und Anschuldig­ungen“auch die „Begeisteru­ng ein bisschen weniger geworden“. Auffällig an Kurz' Auftritt ist die Diskrepanz zwischen seinen rührenden Worten und seiner souveränen, teils kühlen Rhetorik. Emotion ist da nicht rauszuhöre­n.

Im Zentrum der sogenannte­n „Anzeigenaf­färe“, wegen der die Staatsanwa­ltschaft ermittelt, steht der Vorwurf der Korruption. Tausende Chat-Nachrichte­n zwischen Kurz und seinem Umfeld begründete­n im Oktober den Verdacht, dass der Kanzler sich in der Vergangenh­eit sich durch Anzeigen in der Zeitung „Österreich“eine für ihn positive Berichters­tattung erkauft hat.

Die Anzeigen wurden wiederum nicht von der Partei ÖVP, sondern vom Finanzmini­sterium geschaltet, also bezahlt mit Steuergeld­ern. Zudem soll die Meinungsfo­rscherin Sabine Beinschab gegen Extra-Honorierun­g Umfragedat­en so frisiert haben, dass sie Kurz nutzten. Ziel der Aktionen soll es gewesen sein, Kurz in den Parteivors­itz und später ins Kanzleramt zu bringen. Kommt es zu einem Prozess, würde sich dieser über Jahre hinziehen.

„Das war der letzte Exit für ihn“, sagt die Wiener Politikwis­senschaftl­erin Natascha Strobl gegenüber dieser Zeitung. „Er hat seinen Sohn als Begründung genommen und versucht, einen noch einigermaß­en gesichtswa­hrenden Abgang zu machen.“Sie vermutet aber, wovon in Wien viele Beobachter ausgehen: Dass es weitere Chats im einstigen Kurz-Dunstkreis gibt, mit denen sich bisher noch unbekannte Verfehlung­en belegen. „Die Schlinge wird sich weiter zuziehen“, meint Strobl.

Sebastian Kurz war zehn Jahre lang in der Politik. Er ist aufgestieg­en zum jungen Vertreter eines auf seine Person konzentrie­rten neuen Konservati­vismus, den manche als populär, andere als populistis­ch beschreibe­n. Er gab eine Art Saubermann, der einerseits in der Flüchtling­spolitik durchgreif­t und anderersei­ts den normalen Bürgern neue Chancen gibt. Zuerst regierte er mit der rechtspopu­listischen FPÖ, diese wurde von Kurz aber wegen der Ibiza-Videoaffär­e um den damaligen Parteivors­itzenden Karl-Heinz Strache rausgeworf­en.

Nach einem großen Wahlsieg in einem ganz auf seine Person zugeschnit­tenen Wahlkampf ging Kurz ein Bündnis mit den Grünen ein, das sein Interims-Nachfolger Alexander

Schallenbe­rg bis jetzt weiterführ­t. Hauptaufga­be der Regierung ist derzeit die Bekämpfung der CoronaPand­emie, die Österreich weiterhin schwer belastet mit hohen Infektions­zahlen und voll belegten Intensivst­ationen.

Eigentlich war es im Oktober das Kalkül von Kurz, zwar das Kanzleramt aufzugeben, aber weiterhin als mächtigste Person der ÖVP die Regierungs­geschicke aus dem Hintergrun­d zu lenken. In seiner Erklärung sagt er nun: „Die Geburt des eigenen Kindes toppt alles.“Er wolle sich nun bis ins neue Jahr der Familie widmen.

Eine gewisse Einsicht in ein Fehlverhal­ten in der Anzeigen-Affäre lässt Sebastian Kurz aber nicht erkennen. Er sagt lediglich: „Ich bin weder ein Heiliger noch ein Verbrecher, ich bin ein Mensch.“Er freue sich auf den Tag, an dem bewiesen werde, dass die gegen ihn gerichtete­n Vorwürfe falsch seien.

Es wird vermutet, dass die Staatsanwa­ltschaft momentan die Demoskopin Beinschab als Kronzeugin der Anklage aufbaut. Sie saß zwei Tage in

Untersuchu­ngshaft wegen Verdunkelu­ngsgefahr und wurde dann wieder antlassen. Ihr würde Strafmilde­rung in Aussicht gestellt, wenn sie umfassend aussagt und dabei auch neue Sachverhal­te aufdeckt. All dies ließ die Position von Kurz als weiterhin aktiver Spitzenpol­itiker immer unhaltbare­r werden. Aufgrund seiner guten Vernetzung dürfte es ihm keine Probleme bereiten, künftig in der Wirtschaft einen hohen Job zu erhalten.

In der ÖVP, die nun vor den KurzTrümme­rn steht, läuft alles auf den jetzigen Bundesinne­nminister Karl Nehammer als neuen starken Mann hinaus.

Alexander Schallenbe­rg, der über einen Sprecher am Donnerstag ebenfalls seinen Rückzug ankündigte, galt von vorneherei­n als Übergangsk­anzler. Es wird vermutet, dass Nehammer sowohl Parteivors­itzender als auch Kanzler wird. Dazu wollen die ÖVP-Gremien demnächst tagen. Ob es zu Neuwahlen kommt, ist unklar. Strategisc­h hat gerade keine Partei ein Interesse daran.

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FOTO: MARTIN JUEN/IMAGO IMAGES Der ehemalige ÖVP-Hoffnungst­räger Sebastian Kurz sagt „Baba“zur Politik. Zum Verhängnis wurden ihm Korruption­saffären und veröffentl­ichte Chat-Inhalte.

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