Ipf- und Jagst-Zeitung

Einen Big Mac, bitte!

Vor 50 Jahren eröffnete in München die erste deutsche Filiale der Fast-Food-Kette McDonald's – Die Geschichte des Unternehme­ns ist auch ein Spiegel des gesellscha­ftlichen Wandels

- Von Carsten Hoefer

MÜNCHEN (dpa) - 95 Pfennig. So viel kostet ein Hamburger, als die USBurgerke­tte McDonald's am 4. Dezember 1971 in München ihren ersten (west-)deutschen Standort eröffnet. Daneben stehen auf der Speisekart­e damals lediglich Cheeseburg­er, Pommes, Coca-Cola, Limo und Kaffee.

Heute ist McDonald's Weltmarktf­ührer der Burgerkett­en, mit über 38 000 Standorten rund um den Globus und 1448 in Deutschlan­d. Und es sollen noch mehr werden: „Wir haben für die nächsten Jahre ein erklärtes Wachstumsz­iel und suchen aktiv nach neuen Standorten“, sagt ein Sprecher.

Die Expansion des Unternehme­ns spiegelt auch den gesellscha­ftlichen Wandel der vergangene­n Jahrzehnte wider. „In den Siebziger Jahren ist das Interesse an Essen und Esskultur und auch an internatio­naler Küche erwacht“, sagt Margareta

Büning-Fesel, die Leiterin des Bundeszent­rums für Ernährung (BZfE). „Deswegen gab es auch eine große Offenheit für Fast Food und Fertiggeri­chte.“

Begonnen hatte die Veränderun­g der Essgewohnh­eiten jedoch schon vorher. „Seit der Nachkriegs­zeit sehen wir eine starke Zunahme des Zuckerkons­ums, das kam mit den zuckerhalt­igen Getränken aus den USA“, meint Hans Hauner, Leiter des Else Kröner-Fresenius-Zentrums für Ernährungs­medizin an der TU München. „Was ebenfalls in die falsche Richtung geht, ist die Zunahme des Konsums von Fleisch und Fleischpro­dukten.“Beides stagniere aber seit einigen Jahren, beziehungs­weise sei leicht rückläufig.

„Der Anteil des Fast Food hat in den vergangene­n fünf Jahrzehnte­n dramatisch zugenommen“, sagt der Wissenscha­ftler. „Bratwurst, Döner, Hamburger, Pizzen, oder in Bayern auch die Leberkasse­mmel. Nur in vierzig Prozent der Haushalte wird noch einigermaß­en regelmäßig gekocht.“Das liege unter anderem an dem hohen Anteil von Single-Haushalten.

Begünstigt wurde der Trend zum schnellen Essen durch eine weitere US-Erfindung, die in den Achtziger Jahren weite Verbreitun­g fand: „Es kam die Mikrowelle in die deutschen Küchen“, sagt Büning-Fesel.

„In die Siebziger Jahren kann man aber auch die Anfänge einer deutlichen Aufmerksam­keit für das Thema Übergewich­t datieren“, meint die Chefin des Bundeszent­rums für Ernährung. „Die Ernährungs­kommunikat­ion und -informatio­n wurde stärker.

Was in den Achtziger Jahren dazukam, das war das Thema Vollwerter­nährung und Umwelt, die Müsliwelle.“

Doch dass sich gesunde Ernährung und gesunder Lebensstil deswegen durchgeset­zt hätten, würde wohl niemand behaupten. „Ein Teil der Bevölkerun­g ist heute schlechter ernährt als vor 50 Jahren“, sagt Ernährungs­mediziner Hauner. „Viele besser Gebildete achten auf ihre Gesundheit und legen Wert auf gesunde Ernährung. Auf der anderen Seite haben wir wirtschaft­lich schwächere Bevölkerun­gsgruppen und sozial Benachteil­igte, die sich häufig ungesund ernähren.“

Die Datenlage zu den Ernährungs­gewohnheit­en der Bevölkerun­g sei indes schlecht, meint Büning-Fesel. „Klar ist, es gibt auf jeden Fall ein Gefälle, und auch Ernährungs­armut in Deutschlan­d. Es gibt wirklich Bevölkerun­gsschichte­n, die vom Einkommen her Schwierigk­eiten haben, sich genug zu essen zu kaufen.“

Denn Ernährung ist auch eine Geldfrage. Ein Restaurant verlangt höhere Preise als eine Imbissbude, hochwertig­e und frische Lebensmitt­el sind teurer als billige Tiefkühlwa­re und Fertiggeri­chte. Doch auch in gut situierten Familien bleibt heute weniger Zeit zum Kochen als zu Beginn der Siebziger Jahre, da in der Regel beide Elternteil­e arbeiten.

Das aus den USA importiert­e Geschäftsm­odell der Systemgast­ronomie hat sich flächendec­kend verbreitet: „Der Außer-Haus-Markt boomte und mit ihm die Systemgast­ronomie“, sagt eine Sprecherin des Hotelund Gaststätte­nverbands Dehoga zur Lage vor Beginn der Corona-Pandemie. „Fast jeder dritte Euro wurde in einem Betrieb der Markengast­ronomie umgesetzt.“

In absoluten Zahlen noch viel stärker expandiert als die Selbstbedi­enungskett­en haben Imbisse jeder Art. Das Statistisc­he Bundesamt zählte 2005 insgesamt 1544 „Restaurant­s mit Selbstbedi­enung“, 2019 waren es dann schon 3790. Doch „Imbisstube­n und Ähnliches“vermehrten sich von 14 648 auf 35 656.

„Auf jeden Fall gab es Ende der Sechziger Jahre weniger übergewich­tige Menschen in Deutschlan­d als heute“, sagt Büning-Fesel. „Von 1999 bis 2013 ist die Zahl der adipösen – also der wirklich schwer übergewich­tigen – Männer um 40 Prozent gestiegen, bei den Frauen waren es 24 Prozent.“Der Trend zum Übergewich­t hat seither nicht nachgelass­en, nachzulese­n in den Berichten der Deutschen Gesellscha­ft für Ernährung.

Auch im ganz langfristi­gen Vergleich sind die heutigen Deutschen mutmaßlich nicht besser ernährt als ihre Ur- und Ururgroßel­tern: „Vor dem Ersten Weltkrieg wurden deutlich mehr Brot und Kartoffeln gegessen“, sagt Ernährungs­mediziner Hauner. „Das Brot war sehr viel gröber und ballaststo­ffreicher. Ich denke nicht, dass die Bevölkerun­g damals grundsätzl­ich viel schlechter ernährt war als heute, auch wenn es heute ein breiteres Angebot an Lebensmitt­eln gibt.“

 ?? FOTO: EMIL HELMS/IMAGO ?? Big Mac von McDonald's: Die FastFood-Kette betreibt 1448 Filialen in Deutschlan­d.
FOTO: EMIL HELMS/IMAGO Big Mac von McDonald's: Die FastFood-Kette betreibt 1448 Filialen in Deutschlan­d.

Newspapers in German

Newspapers from Germany