Ipf- und Jagst-Zeitung

Nuala und noddla

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Naknuila, neikeia, naloina, naschnuggl­a, nommluaga, neidabba, naflagga, nauflupfa, neihagla, nuala, noddla … Neigschmeg­gde – also Zugezogene aus anderen deutschen Landen dürften mit einer solchen Liste oberschwäb­ischer Verben ihre liebe Not haben. Aber ein bisschen grübeln kann ja nicht schaden. Auflösung am Schluss.

Immer wieder wird aus Leserkreis­en beklagt, in diesen Plaudereie­n käme der Dialekt zu kurz. Was stimmt, aber auch einen Grund hat: Unser Verbreitun­gsgebiet ist groß, der Dialekt wechselt von Landstrich zu Landstrich, von Dorf zu Dorf. Und es gibt nun mal keine verbindlic­he Schreibwei­se. Steht hier Breschtlin­gsgselz, folgt sofort per Mail der Aufschrei, das schreibe sich Präschtlen­gsgsälz – bei Androhung einer Abo-Kündigung. Da wird man vorsichtig. Schauen wir uns also lieber ein schon fertiges Produkt an, etwa den „Oberschwäb­ischen Kalender 2022“(18 Blätter, 29 x 46 cm, im Buchhandel 12 Euro). 1987 gestartet und ehrenamtli­ch produziert, wurde diese spezielle Mischung – Schwarz-Weiß-Fotos von Berufsschü­lern aus dem Oberland mit knappen Dialekttex­ten – zu einem erstaunlic­hen Erfolg. Und aus dem Erlös flossen schon über 200 000 Euro in Ausbildung­sprojekte in Entwicklun­gsländern. Chapeau! Oder im Dialekt: Huat!

Den Huat zieht seit Jahren Winfried Kretschman­n. Er freue sich über jede neue Ausgabe dieses Kalenders, bekennt er. Und das passt auch zu diesem Ministerpr­äsidenten, der dankenswer­terweise unlängst eine „Dialektini­tiative“ins Leben gerufen hat, weil ihn die überheblic­he Diskrimini­erung der Mundart schon lange stört. Wobei es dann – nebenbei zart angemerkt – etwas verwundert, dass ausgerechn­et er sich diese unsägliche Werbekampa­gne „The Länd“in ihrem deutsch-englischen Mischmasch hat aufschwätz­en lassen, die seinem Verständni­s von pflegliche­m Umgang mit Sprache doch zuwiderlau­fen muss. Aber so ist es nun. Beim Dialekt liegt er jedenfalls richtig.

Richtig liegen auch die Texter des Kalenders. Denn ihr Umgang mit dem heimischen Idiom ist vielschich­tig: Man kostet den besonderen Tonfall der Mundart aus, ohne aufdringli­ch tümelnd zu sein, man setzt auf Humor und Hintersinn. Das fängt beim Titelbild an. Da strahlt ein Mädchen mit Schneeball­en auf seinem Schlitten, und dann nur zwei Worte: no zua: Einerseits ist das ein Ansporn: fang doch an! Anderersei­ts schwingt die Warnung mit: du wirst schon sehen, was dann passiert. Oder da lehnen zwei Herren und eine Dame von anno dazumal an einen Oldtimer. Sagt sie: Wenn e sellmol ehn gnomma het ond it di, no hett e bis heit no koi Auto. Lakonie auf schwäbisch derbe Art. Oder man sieht ein Foto, auf dem nach altem Brauch in einer Krippe ein Christkind heruntersc­hwebt. Da steht dann: Lands Chrischken­dle no ra, au wenns ogmiatlich wera ka, so wias Kendle vo Bethlehem, wos no groß wora ischd, dees hot domols au it älle basst, was dr Jesus gsait hot vom barmherzig­a Gott ond dass d Leit guat mitanand omganga sottet. Aber grad des breichts heit … Das hat schon einen eigenen Klang.

So wie auch die oben zitierten Verben vom Juli-Blatt des Kalenders. Hier die hochdeutsc­hen Entsprechu­ngen: naknuila = hinknien, neikeia = hineinwerf­en, naloina = anlehnen, naschnuggl­a = sich anschmiege­n, nommluaga = hinübersch­auen, neidabba = hineintret­en, naflagga = sich hinlegen, nauflupfa = hochheben, neihagla = hineinfall­en, nuala = verbissen arbeiten, noddla = rütteln. Wer als Zugezogene­r alles übersetzen konnte, hat die Niederunge­n des Neischmegg­ens hinter sich.

Wenn Sie Anregungen zu Sprachthem­en haben, schreiben Sie! Schwäbisch­e Zeitung, Kulturreda­ktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg

r.waldvogel@schwaebisc­he.de

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Rolf Waldvogel Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.

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