Auf den Bühnen herrscht das Prinzip Hoffnung
Seit Donnerstag vergangener Woche gelten in Baden-Württemberg und Bayern für kulturelle Veranstaltungen die 2G-plus-Regeln. Wie reagieren die Besucher auf die zusätzliche Hürde, zum belegten Imp- oder Genesenenstatus nun auch noch einen tagesaktuellen Test vorlegen zu müssen? Eine Umfrage bei verschiedenen Kulturveranstaltern der Region kommt in einem Punkt zu einem einheitlichen Ergebnis: Besucher in Theatern und Konzerten tragen auch diese weitere Bürde mit Fassung. Ein harter Kern an Besuchern bleibt der Kunst treu. Was jedoch nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass die Auslastung im Vergleich zu Vor-Corona-Zeiten katastrophal ist. Und doch: Die Stimmung unter den städtischen Veranstaltern könnte man eher als trotzig denn als verzagt beschreiben.
Wenn im Lindauer Stadttheater, das 700 Plätze aufweist, 70 Besucher in den lichten Reihen sitzen, fühlen die sich erst einmal verloren. So geschehen am Wochenende bei einer Kooperation der Stadt mit dem Jazzclub. Aber, so Rebecca Scheiner vom Lindauer Kulturamt: „Verschiedene Konzerte und Aufführungen ziehen wir jetzt einfach durch. Wir haben Dinge zum Teil schon zwei-, dreimal verschoben, jetzt wollen wir einfach den Stau abbauen und außerdem den Künstlern die Möglichkeit zum Auftritt geben. Schon der Gage wegen.“
Im bayerischen Lindau sind die Bestimmungen schon jetzt strenger als in Baden-Württemberg. Die Auslastung eines Saals darf nur 25 Prozent betragen. In Baden-Württemberg sind es immerhin 50 Prozent. Scheiner wartet nun, wie alle anderen Veranstalter auch, welche Neuerungen Bayern nach der Konferenz der Ministerpräsidenten nun erlässt. „25 Prozent Auslastung kommen schon fast einer Schließung gleich. Weniger wäre wohl kaum machbar.“
In Baden-Württemberg wird am Samstag mit einer neuen Landesverordnung gerechnet. Ob die derzeitige Auslastung von 50 Prozent dann noch einmal gedrückt wird, weiß niemand. Doch insgesamt sehen die Veranstalter den Willen der Politik, Kulturveranstaltungen zu ermöglichen. „Es war der Tiefpunkt schlechthin, als wir uns beim Lockdown im vergangenen Jahr in einer Kategorie mit Bars und Bordellen wiederfanden“, sagt Michael Baur, Geschäftsführer der Tuttlinger Hallen. Als er vergangenen Donnerstag im Hauruckverfahren die 2G-plus-Regel umsetzen musste, hat er Tests angeboten für die Besucher, die keinen dabei hatten. Allerdings wurden dennoch von den 400 Karten, die am Wochenende für den Auftritt des Kabarettisten Bodo Wartke verkauft waren, nur 230 eingelöst. „Wir machen es bei größerer Nachfrage wie früher die Fluglinien: Wir überbuchen. Es kommen ohnehin nicht alle.“
Doch wie in allen anderen Städten der Region auch: So riesig ist die Nachfrage meist nicht. Gerhard Herfeldt ist erst seit diesem Sommer Dramaturg am Theater in Aalen. Er muss noch schnell bei einer Kollegin nachfragen, wie das mit der Auslastung denn früher, vor Corona beim traditionellen Weihnachtsspiel war: „Fast 100 Prozent!“, tönt es von hinten durch den Telefonhörer. „Nun, wir kommen derzeit nicht über die vorgeschriebenen 50 Prozent, die in den Zuschauerraum dürfen“, sagt er. Aber sein achtköpfiges Ensemble will spielen, unbedingt, und bringt „Ox & Esel – Eine Art Krippenspiel“vor den Festtagen noch mehrmals auf die Bühne – so zumindest der Plan. Für die großen Theaterproduktionen im Januar und Februar gibt er einfach die Hoffnung noch nicht auf.
Finanziell ist die Situation für städtische Bühnen natürlich komfortabler als für private. Aber dennoch müssen auch Kommunen rechnen. „Ich bin froh, dass wir in Biberach ein Dreijahresbudget haben und das kommende Jahr 2022 in diesem noch enthalten ist“, sagt Jörg Riedlbauer, Kulturdezernent der Stadt Biberach. Den öffentlichen Trägern komme in Zeiten wie diesen eine besondere Verantwortung zu. „Kultur ist kein Zeitvertreib, sondern eine Notwendigkeit.“Seit Anfang November sei die Nachfrage nach Karten aber auch in Biberach eingebrochen, sagt der zuständige Sachgebietsleiter der Stadt Biberach, Julian Gröschl. Dass die Testpflicht die Menschen abhalte, kann er hingegen nicht feststellen. Zumal in der Stadthalle zusätzlich Tests angeboten werden.
Julian Gröschl plagen andere Ängste. Dass nämlich in Gebieten mit so hoher Inzidenz wie in Biberach die Auslastung auf 25 Prozent zurückgefahren werden könnte. Und bange ist ihm auch für die großen Produktionen Anfang des Jahres, wie die Danceperados of Ireland. „Wenn 30, 40 Leute auf der Bühne stehen beziehungsweise tanzen, die alle bezahlt werden müssen, ist ein stark reduzierter Kartenverkauf auch für uns ein großes Problem“, so Gröschl.
Zufrieden mit der Besuchernachfrage ist das Theater Ulm. „Wir kommen mit dem Ballett ,Nussknacker’ und dem Musical ,Addams Family’ gut auf eine Auslastung von 50 Prozent“, sagt Pressesprecherin Sandra Schumacher. „Wir könnten mehr verkaufen.“Was Ulm allerdings zu schaffen macht, sind die mangelnden Testkapazitäten. „Es gibt zwar einen Testcontainer vor dem Theater, aber da fehlt das Personal. Man wartet in Ulm manchmal mehrere Tage auf einen Testtermin.“Sarah Baltes, Leiterin des Kulturbüros in Friedrichshafen bestätigt, dass Karten zurückgegeben wurden. Und auch sie führt das weniger auf die Angst vor einer Ansteckung als auf den zusätzlichen Testaufwand zurück.
Und so kämpft jeder Veranstalter mit anderen Problemen. Die finanziellen Hilfen von Bund und Ländern fließen, mal zügig, mal gar nicht – ohne dass immer einsichtig ist, warum. „Wir entwickeln uns zu Experten was das Stellen von Hilfsanträgen betrifft“, sagt Julian Gröschl. Denise Burgert vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst in Stuttgart jedenfalls sagte am Donnerstagabend, dass die in der Ministerpräsidentenkonferenz beschlossenen Maßnahmen nun „für die einzelnen Bereiche ausdifferenziert werden müssen“. Um sofort zu betonen: „Wir setzen uns jedenfalls mit ganzer Kraft dafür ein, dass gute Lösungen für die Kultur gefunden werden.“Die Veranstalter warten gespannt.