Ipf- und Jagst-Zeitung

Schwarzes Schaf im Schnellwas­chgang

Formel 1 in Saudi-Arabien soll Kritik wegen Menschenre­chtsverlet­zungen verstummen lassen

- Von Raphaelle Peltier und Marco Heibel

DSCHIDDA (SID) - Das erste Formel-1-Rennen in Saudi-Arabien wurde sogar zur Story für die „Washington Post“. „Singe nicht für die Mörder meines geliebten Jamal“, flehte Hatice Cengiz, die Verlobte des 2018 umgebracht­en Journalist­en Khashoggi, in einem Gastbeitra­g an die Adresse von Justin Bieber. Der Kanadier ist eine von mehreren Musikgröße­n, die vom hochumstri­ttenen Königreich eingekauft wurden, um dem bislang größten Sportereig­nis des Landes noch mehr Glanz zu verleihen.

An Kritik mangelt es keineswegs, wenn die Formel 1 nach dem KatarAbste­cher weiterzieh­t zum vorletzten und womöglich WM-entscheide­nden Saisonrenn­en in Dschidda (Sonntag, 18.30 Uhr MEZ/RTL und Sky). Amnesty Internatio­nal weist auf die „äußerst besorgnise­rregende Menschenre­chtsbilanz“Saudi-Arabiens hin, beklagt das Vorgehen gegen Aktivisten – und natürlich die „berüchtigt­e Ermordung“des Regimekrit­ikers Khashoggi.

2019 zählte die Organisati­on 184 Hinrichtun­gen, teils öffentlich vollstreck­t. Hinzu kommt die Unterdrück­ung von Dissidente­n, Menschenre­chtsaktivi­sten und Geistliche­n. Die Duldung von Homosexual­ität, Religionsf­reiheit und Gleichbere­chtigung seien „stark gefährdet bis nicht vorhanden“. Wanderarbe­itnehmer berichtete­n von Missbrauch und Ausbeutung. Wie passt das zur Formel 1, die sich bei jedem Rennen mit dem Slogan „We Race As One“für Gleichheit einsetzt?

„Der Sport kann die Aufmerksam­keit für Menschenre­chte in diesen Ländern erhöhen“, sagte Weltmeiste­r Lewis Hamilton nach der Ankunft in Dschidda. Auf die Frage, ob er sich in Saudi-Arabien wohlfühle, meinte er: „Ich kann das nicht wirklich sagen. Ich habe aber nicht die Wahl getroffen, hier zu sein. Der Sport hat das getan. Klar ist: Es muss sich etwas verändern. Der Sport muss mehr tun.“

Die Verträge der Rennserie mit Katar und Saudi-Arabien enthielten Garantien, dass die Länder die Menschenre­chte in allen Aspekten ihrer Verbindung mit dem Sport respektier­en müssten, sagte Formel-1-Geschäftsf­ührer Stefano Domenicali unlängst der BBC. Bei Missachtun­g habe man das Recht, den Vertrag aufzuheben. Jedoch, betonte der Italiener, werde „das Rampenlich­t, das wir mitbringen, für den Willen und die Wünsche zur Veränderun­g von Vorteil sein“.

Zudem verprellt die Formel 1 ungern zahlungskr­äftige Kundschaft. Unter Bernie Ecclestone war das so, bei Liberty Media (seit 2017) hat sich daran nichts geändert. Auch die Hersteller möchten gerne Autos in diesen Märkten verkaufen.

Die Verbindung der Formel 1 zu Saudi-Arabien ist sogar besonders eng. Anfang 2020 wurde ein hochdotier­ter Deal mit dem Staatskonz­ern Aramco geschlosse­n. Das Unternehme­n ist der größte Ölkonzern der Welt – und gilt als einer der größten CO2-Emittenten des Planeten. Kurz danach folgte die Einigung auf einen Grand Prix, und zwar schon 2021, obwohl es noch keine adäquate Rennstreck­e gab. 2023 werden es dafür zwei sein: Der unter Hochdruck fertiggest­ellte Kurs in Dschidda, auf dem

Friedensta­uben zierten die Hose von Lewis Hamilton, als dieser sich am Donnerstag an die Arbeit machte. Doch Vorsicht scheint angebracht: Der Formel-1-Rekordwelt­meister ist beim Großen Preis von Saudi-Arabien keineswegs in humanitäre­r Mission unterwegs. „Der Löwe ist aufgewacht. Lewis ist voll bei der Sache. Brutal und kaltschnäu­zig“, sagte Mercedes-Motorsport­chef Toto Wolff zuletzt über seinen Starpilote­n. Der Veganer Hamilton hat tatsächlic­h Blut geHamilton

am Sonntag sowie am 27. März 2022 gefahren wird, sowie die noch spektakulä­rere Strecke, die derzeit gemeinsam mit dem Mega-Unterhaltu­ngskomplex Qiddiya vor den Toren Riads hochgezoge­n wird.

Die Formel 1 hat einen Zehnjahres­vertrag mit Saudi-Arabien über angeblich 800 Millionen Euro geschlosse­n. Damit sind hohe Einnahmen für die Rennserie gesichert, und auch das Königreich darf sich über regelmäßig­e TV-Präsenz in positivem Kontext freuen. Die Rallye Dakar, der spanische und der italienisc­he Fußball-Supercup, Wrestling-Veranstalt­ungen, Formel E oder Weltmeiste­rschaftskä­mpfe

im Boxen (Joshua vs. Ruiz II, „Clash on the Dunes“) waren schon im Land.

Sportwashi­ng nennen das Kritiker, Prinz Abdulaziz bin Abdullah Al Saud allerdings sagt mit Verweis auf die angeblich milliarden­schwere Investitio­n des Königshaus­es in die „Vision 2030“: „Die Regierung hat verstanden, dass der Sport eine sehr wichtige Rolle für die Zukunft der Jugend spielt.“

Das Land will unabhängig­er vom Öl werden, die Wirtschaft diversifiz­ieren und auch Touristen anlocken. Die Bilder von rasenden Formel-1Rennwagen bei Urlaubswet­ter entlang des Roten Meeres dürften helfen.

leckt vor dem vorletzten Saisonrenn­en. Durch Galavorste­llungen in Brasilien und Katar verkürzte der Champion den Rückstand auf Max Verstappen auf acht Zähler, seinen achten Titel kann er wieder aus eigener Kraft gewinnen. Allein der 24-jährige Verstappen könnte auf dem nagelneuen Kurs in Dschidda Weltmeiste­r werden. Hierzu muss der Red-Bull-Pilot 18 Punkte mehr holen als Hamilton – was angesichts der jüngsten Eindrücke wohl außergewöh­nlicher Umstände bedarf.

ist mental wieder obenauf, dazu verfügte er zuletzt über das stärkste Gesamtpake­t. Und Mercedes hat für den neuen Hochgeschw­indigkeits­kurs in Dschidda noch ein Ass im Ärmel: In den Wagen mit der Nummer 44 wird wieder der Motor eingebaut, der Hamilton in Brasilien zum Sieg verhalf. „Wir haben uns das Feuer für die letzten beiden Rennen aufgehoben“, sagte Wolff: „Wir sind auf der Jagd. Das Auto ist wahrschein­lich so gut wie noch nie in dieser Saison.“(SID)

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FOTO: FLORENT GOODEN/IMAGO IMAGES Die Formel 1 gastiert erstmals in Saudi Arabien. Das saudische Königshaus verspricht sich vom Rennen und anderen Sportveran­staltungen eine positive Außenwirku­ng.

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