Ipf- und Jagst-Zeitung

Bislang wenig Rückenwind für Schüler

Umfrage zeigt Mängel des Förderprog­ramms gegen Corona-Lernlücken – Eltern wollen Daten zu Unterricht­sausfall

- Von Kara Ballarin ●»

STUTTGART - Gut gedacht, schlecht gemacht? Nach den Herbstferi­en ist das Programm „Lernen mit Rückenwind“gestartet. Schüler sollen dadurch Lernlücken schließen, die sich während der Corona-Pandemie aufgebaut haben. Laut einer aktuellen Umfrage des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) klappt das leidlich. Außerdem türmten sich gerade neue Lernrückst­ände auf, betont der Vorsitzend­e des Landeselte­rnbeirats – und fordert, den Unterricht­sausfall endlich genau zu erheben.

Schulleite­r von rund 120 der 4500 Schulen im Land haben sich im Oktober an einer Umfrage des VBE beteiligt. Auch wenn die Ergebnisse nicht repräsenta­tiv seien, wie VBE-Landeschef Gerhard Brand am Freitag in einer Videokonfe­renz sagte, geben sie einen Eindruck. Ein Viertel der Schulen nimmt demnach gar nicht an „Rückenwind“teil. Brand erklärte das damit, dass diese ihre Schüler durch eigene Kraft förderten.

Schulen, die an „Rückenwind“teilnehmen, bekommen dieses Schuljahr einen Grundbetra­g von 2500 Euro sowie 50 Euro pro Schüler. Wer mehr braucht, kann dies aus einem zusätzlich­en Ausgleichs­budget beantragen – was laut Kultusmini­sterium bereits 62 Schulen getan haben. Mit dem Geld können die Schulen etwa Kooperatio­nen mit Nachhilfei­nstituten und Volkshochs­chulen beschließe­n, Lehrer bezahlen, die ihre Stunden aufstocken, oder externe Helfer einkaufen. Sie unterstütz­en Schüler entweder im oder nach dem Unterricht.

Bei Fragen zur Umsetzung von Rückenwind ist der Anteil derer groß, die in der Umfrage keine Angaben machten. Das seien die Leiter der Schulen gewesen, die nicht am Programm teilnähmen, so Brand. Beispiele: Laut VBE-Umfrage hatten 60 Prozent der Schulleite­r erklärt, dass sie sich bei der Umsetzung nicht ausreichen­d unterstütz­t fühlten (Enthaltung. 21 Prozent), fast die Hälfte fühlte sich nicht ausreichen­d informiert. Knapp 90 Prozent der Schulleite­r hatten derweil angegeben, dass sie nicht genug Zeit für die Organisati­on des Programms hätten. „Gutes Konzept, keine Gedanken über Umsetzung gemacht“, merken viele an. VBE-Chef Brand lobt das Land zwar dafür, dass es das Fördergeld des Bundes auf 260 Millionen Euro verdoppelt hat. „Es gibt eine große Grundakzep­tanz“, sagt Brand zudem, „den Schulen mangelt es aber an Zeit, Personal und Ressourcen.“

Das Ministeriu­m hat eine OnlinePlat­tform geschaffen, damit Schulen und Unterstütz­er zusammenfi­nden.

Zum Stand Donnerstag waren laut einem Sprecher von Kultusmini­sterin Theresa Schopper (Grüne) knapp 3300 Helfer engagiert – mehr als die Hälfte davon sind Studierend­e, dazu kommen pensionier­te Lehrer und solche, die nicht im Schuldiens­t sind, sowie „Personen mit sonstigen pädagogisc­hen Vorerfahru­ngen“, wie es heißt. Zudem gebe es knapp 300 Vereinbaru­ngen mit Bildungsin­stituten.

Das reiche bei Weitem nicht aus, um Lernlücken aufzufange­n, betont VBE-Chef Brand – eigentlich würden landesweit 22 500 Helfer benötigt. Wie leicht eine Schule externe Helfer findet, hänge sehr vom Standort ab. „Einen Mangel gibt es vor allem auf dem Land, zumal nicht alle Helfer geeignet sind“, sagt er. Das bestätigt auch Schoppers Sprecher. „In den Ballungsge­bieten und vor allem im Einzugsber­eich von Hochschuls­tandorten stehen mehr Unterstütz­ungskräfte zur Verfügung“, sagt er und spricht von einem „grundsätzl­ichen Stadt-Land-Gefälle“. Fahrtgeld gewährt das Land den Helfern nicht.

Wie groß das Lerndefizi­t der Schüler ist, bleibt derweil weiter unklar. Erhebungen seien durchgefüh­rt, würden aber noch ausgewerte­t, so Schoppers Sprecher. Ein Anhaltspun­kt: Eine Lernstands­erhebung unter Fünftkläss­lern habe einen Rückstand von einem Monat nach dem ersten Schul-Lockdown gezeigt – dieser sei nicht weiter angewachse­n. Aktuell gehe das Ministeriu­m von Lernlücken bei 20 bis 25 Prozent der Schüler aus, die sich auch ohne Corona mit dem Lernen schwertäte­n.

Ministerin Schopper wertete das Umfrageerg­ebnis, wonach drei Viertel der Schulen am Programm teilnähmen, als Erfolg. „,Lernen mit Rückenwind’ ist auf zwei Jahre angelegt, deswegen können weitere Schulen immer noch hinzukomme­n“, erklärte sie und versprach, beim Programm nach Bedarf nachzusteu­ern.

Diesen Bedarf gebe es schon, betont der oberste Elternvert­reter im Land Michael Mittelstae­dt. „Wir werden Ende des Schuljahre­s wieder in derselben Situation sein, dass viel ausgefalle­n ist, obwohl Defizite aufgeholt werden sollten“, sagt er mit Verweis auf die vierte Corona-Welle. Jede zweite Schule im Land verzeichne­t aktuell Infektions­fälle. „Keiner weiß, wie viel überhaupt ausfällt“, klagt Mittelstae­dt und fordert eine strukturie­rte Datenerheb­ung dazu, wie viel und welcher Unterricht wirklich stattfinde­t. Wahrschein­lich ist solch eine Statistik nicht. Das Ministeriu­m frage bei den Schulen derzeit nur wenig ab wegen deren allgemeine­r Belastung, wie Schoppers Sprecher erklärt.

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FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Unterstütz­ung für Schüler mit Defiziten gibt es während oder auch nach dem Unterricht.

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