Einer wie Merkel
Olaf Scholz hat seinen Aufstieg zum Bundeskanzler von langer Hand geplant
BERLIN - Auf leisen Sohlen hat der designierte Regierungschef das Feld von hinten aufgerollt. Bräsig? Ja, vielleicht. Aber eben auch zielstrebig. Ob der 63-Jährige mehr kann, als nur den männlichen Merkel-Verschnitt zu geben, muss er jetzt beweisen.
Müde sieht er aus. Und er spricht noch leiser als sonst. Hat man Olaf Scholz jemals laut gehört? Es ist ein Abend Ende April. Im Willy-BrandtHaus klappern traurig die Rollos an die Fenster des Präsidiumssaals. Während des Gespräches muss der Kanzlerkandidat kurz weg. Ein Fernsehinterview. „Bin gleich wieder da“, sagt er und hält Wort. Der kurze Weg vor die Kamera hat ihn offenbar aufgemuntert. Heiter plaudert er über Markus Söder. „Also, dass mich Herr Söder als ‚schlumpfig grinsend‘ bezeichnet hat, fand ich ganz lustig. Besser Schlumpf als Gargamel.“
Gargamel ist ein böser Zauberer. Scholz ist gar kein Zauberer, auch wenn es im April 2021 für viele so klingt, als glaube er selbst, einer zu sein. Nämlich wenn er solche Sätze sagt: „Die SPD kann den Kanzler stellen, wenn sie deutlich mehr als 20 Prozent holt.“Eine Aussage, die seinerzeit vor allem Kopfschütteln auslöst. Dabei war alles geplant. Das behauptet jedenfalls der Autor der ersten und einzigen Scholz-Biografie, Lars Haider. Der Chefredakteur des „Hamburger Abendblatts“bezeichnet das eilig geschriebene Buch selbst nicht als Biografie, sondern als Porträt, weiß aber zu berichten, dass zumindest Scholz mit sich rechnete, als es sonst keiner tat.
Als der heute 63-Jährige 2019 das monatelange Ringen um den Parteivorsitz verloren hatte und die SPD bei den Umfragen froh war, nicht noch unter 15 Prozent zu rutschen, sprach wenig für Scholz. So sahen es auch die Genossen. Norbert WalterBorjans zweifelte noch während der Auseinandersetzung um den SPDChefsessel am Sinn einer Kanzlerkandidatur.
Im Podcast von Michel Abdollahi („heute wichtig“) beschreibt Haider nun, wie er mit dem aus Hamburg scheidenden Scholz ein denkwürdiges Gespräch geführt habe. Das war im März 2018. Auf die Frage, warum er sich von seinem Posten als Erster Bürgermeister trenne, um in die Bundesregierung einzutreten, soll Scholz gesagt haben: „Ich geh’ jetzt nach Berlin und in dreieinhalb Jahren ist die nächste Bundestagswahl. Ich bin dann Vizekanzler und Angela Merkel tritt nicht mehr an. Und dann bin ich Kanzlerkandidat der SPD.“Wenn dann jemand gesucht werde, der so sei wie Merkel, werde er einem größeren Teil der Wählerschaft ins Auge fallen, soll Scholz dem ungläubigen Haider obendrein prognostiziert haben.
Und alle haben mitgespielt. Die politische Konkurrenz, die mit Armin Laschet und Annalena Baerbock die falschen Gegenkandidaten aufgestellt hat. Die Kanzlerin, bei der man den Eindruck hatte, sie hege mehr Sympathien für ihren Vizekanzler als für den Unions-Kandidaten. Selbst das Wetter zeigte sich hilfsbereit – bei der Abschlusskundgebung der SPD vor der Wahl über dem Bebelplatz in Berlin schien die Sonne, obwohl doch Regen angekündigt war.
Dann kamen der 26. September und die Bundestagswahl, der fast komisch anmutende Versuch Laschets, die Kanzlerschaft doch noch zu beanspruchen, die zügigen, diskreten Sondierungs- und Koalitionsgespräche und schließlich die Präsentation des Koalitionsvertrages. Eine Stunde des Triumphs, sollte man meinen. Und was macht Olaf Scholz? Er, man kann es nicht anders sagen, leiert eine Rede ins Mikrofon, die selbst für seine Verhältnisse langweilig ist. Er liest ab, nestelt an den Karteikarten. „Es geht uns nicht um eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners, sondern um eine Politik der großen Wirkung.“
Bekommt das Land einen emotionslosen, kühl berechnenden männlichen Merkel-Verschnitt? Deuten erste Reaktionen auf die Corona-Krise darauf hin, dass der künftige Kanzler wirklichen Krisen nicht gewachsen ist? Ein Krisenstab wird eingerichtet, und ein General soll ihn leiten. Manche halten das für ein Versagen der Politik. Aber vielleicht ist es ja auch ein effektiver Weg, der raus aus der Krise führt. Scholz ist es ja auch gelungen, 2011 das Hamburger Rathaus für die SPD zurückzuholen und zu verteidigen. Und nun die Kanzlerschaft. Vielleicht ist das auch so eine Gemeinsamkeit mit Merkel. Scholz wird regelmäßig unterschätzt. Wenn aber in der Zeitung ein
Artikel mit „Maximales Merkeln“überschrieben ist, dann ist damit gemeint, dass Scholz noch größere Defizite beim Erklären von Politik hat als seine Vorgängerin.
Und immer wieder dieser Vorwurf der Bräsigkeit. Witze über Scholz gehen ungefähr so: „Olaf Scholz zählt keine Schafe, um einzuschlafen, Schafe zählen Olaf Scholz.“Dabei kann Scholz auch dann lustig sein, wenn es nicht um Markus Söder geht. Im Wahlkampf hat er die Impfskeptiker dazu aufgerufen, ihren Widerstand aufzugeben. Die Geimpften hätten sich nun ausreichend als „Versuchskaninchen“zur Verfügung gestellt. Dass die Unionsparteien ihm daraus einen Strick drehen wollten, auf dem „Menschenverachtung“stand, ist ein eher unrühmliches Wahlkampf-Blatt von CDU und CSU. Am Ende lachte sowieso Olaf Scholz.
An seiner Intelligenz und seinen Kenntnissen zweifelt niemand. Am wenigsten er selbst. Seine scheinbare Emotionslosigkeit verdeckt die Energie und die Zielstrebigkeit, mit der Scholz seinen politischen Weg geht. Unterschätzt wird auch, das sagen sehr viele, die ihn gut kennen, dass Scholz ein Sozialdemokrat ist, der für Gerechtigkeit wirklich kämpft. Und auch wenn man es zeitweise nicht mehr hören konnte, Scholz meint es ernst, wenn er „Respekt“für alle verlangt und den Dünkel derer kritisiert, die aus der Tatsache, dass sie über größere Vermögen verfügen, Sonderrechte ableiten.
Außerdem ist Scholz „Feminist“. Das bestimmt sein Handeln. Als er während des Wahlkampfes gefragt wurde, ob seine Frau Britta Ernst weiter Bildungsministerin in Brandenburg bleiben könne, wenn er Kanzler würde, bekam Scholz etwas, was für seine Verhältnisse ein Wutanfall war. „Einem Mann würde man in einer vergleichbaren Situation die Frage niemals stellen“, wetterte er. Die Moderatorin räumte später ein, „die dümmste Frage“ihres Lebens gestellt zu haben.
Scholz bringt aber auch einige Last mit ins Amt. Der CumEx-Skandal und der Wirecard-Skandal haben im Wahlkampf nicht viel Schaden angerichtet. Völlig ausgestanden sind sie nicht. Viel schwerer dürften aber die aktuellen Krisen wiegen. Schonzeit ist für die neue Regierung nicht vorgesehen. Corona, Klimawandel, die zerbröselnde EU, wachsende Kosten für die Krankenkassen und vieles mehr werden Scholz zwingen, ein neues Ziel für sich zu definieren.
Bis jetzt wollte er Kanzler werden. Das ist geschafft. Und nun? Es gibt ja nur noch eine Möglichkeit: ein guter Kanzler zu werden.