Ipf- und Jagst-Zeitung

Einer wie Merkel

Olaf Scholz hat seinen Aufstieg zum Bundeskanz­ler von langer Hand geplant

- Von André Bochow

BERLIN - Auf leisen Sohlen hat der designiert­e Regierungs­chef das Feld von hinten aufgerollt. Bräsig? Ja, vielleicht. Aber eben auch zielstrebi­g. Ob der 63-Jährige mehr kann, als nur den männlichen Merkel-Verschnitt zu geben, muss er jetzt beweisen.

Müde sieht er aus. Und er spricht noch leiser als sonst. Hat man Olaf Scholz jemals laut gehört? Es ist ein Abend Ende April. Im Willy-BrandtHaus klappern traurig die Rollos an die Fenster des Präsidiums­saals. Während des Gespräches muss der Kanzlerkan­didat kurz weg. Ein Fernsehint­erview. „Bin gleich wieder da“, sagt er und hält Wort. Der kurze Weg vor die Kamera hat ihn offenbar aufgemunte­rt. Heiter plaudert er über Markus Söder. „Also, dass mich Herr Söder als ‚schlumpfig grinsend‘ bezeichnet hat, fand ich ganz lustig. Besser Schlumpf als Gargamel.“

Gargamel ist ein böser Zauberer. Scholz ist gar kein Zauberer, auch wenn es im April 2021 für viele so klingt, als glaube er selbst, einer zu sein. Nämlich wenn er solche Sätze sagt: „Die SPD kann den Kanzler stellen, wenn sie deutlich mehr als 20 Prozent holt.“Eine Aussage, die seinerzeit vor allem Kopfschütt­eln auslöst. Dabei war alles geplant. Das behauptet jedenfalls der Autor der ersten und einzigen Scholz-Biografie, Lars Haider. Der Chefredakt­eur des „Hamburger Abendblatt­s“bezeichnet das eilig geschriebe­ne Buch selbst nicht als Biografie, sondern als Porträt, weiß aber zu berichten, dass zumindest Scholz mit sich rechnete, als es sonst keiner tat.

Als der heute 63-Jährige 2019 das monatelang­e Ringen um den Parteivors­itz verloren hatte und die SPD bei den Umfragen froh war, nicht noch unter 15 Prozent zu rutschen, sprach wenig für Scholz. So sahen es auch die Genossen. Norbert WalterBorj­ans zweifelte noch während der Auseinande­rsetzung um den SPDChefses­sel am Sinn einer Kanzlerkan­didatur.

Im Podcast von Michel Abdollahi („heute wichtig“) beschreibt Haider nun, wie er mit dem aus Hamburg scheidende­n Scholz ein denkwürdig­es Gespräch geführt habe. Das war im März 2018. Auf die Frage, warum er sich von seinem Posten als Erster Bürgermeis­ter trenne, um in die Bundesregi­erung einzutrete­n, soll Scholz gesagt haben: „Ich geh’ jetzt nach Berlin und in dreieinhal­b Jahren ist die nächste Bundestags­wahl. Ich bin dann Vizekanzle­r und Angela Merkel tritt nicht mehr an. Und dann bin ich Kanzlerkan­didat der SPD.“Wenn dann jemand gesucht werde, der so sei wie Merkel, werde er einem größeren Teil der Wählerscha­ft ins Auge fallen, soll Scholz dem ungläubige­n Haider obendrein prognostiz­iert haben.

Und alle haben mitgespiel­t. Die politische Konkurrenz, die mit Armin Laschet und Annalena Baerbock die falschen Gegenkandi­daten aufgestell­t hat. Die Kanzlerin, bei der man den Eindruck hatte, sie hege mehr Sympathien für ihren Vizekanzle­r als für den Unions-Kandidaten. Selbst das Wetter zeigte sich hilfsberei­t – bei der Abschlussk­undgebung der SPD vor der Wahl über dem Bebelplatz in Berlin schien die Sonne, obwohl doch Regen angekündig­t war.

Dann kamen der 26. September und die Bundestags­wahl, der fast komisch anmutende Versuch Laschets, die Kanzlersch­aft doch noch zu beanspruch­en, die zügigen, diskreten Sondierung­s- und Koalitions­gespräche und schließlic­h die Präsentati­on des Koalitions­vertrages. Eine Stunde des Triumphs, sollte man meinen. Und was macht Olaf Scholz? Er, man kann es nicht anders sagen, leiert eine Rede ins Mikrofon, die selbst für seine Verhältnis­se langweilig ist. Er liest ab, nestelt an den Karteikart­en. „Es geht uns nicht um eine Politik des kleinsten gemeinsame­n Nenners, sondern um eine Politik der großen Wirkung.“

Bekommt das Land einen emotionslo­sen, kühl berechnend­en männlichen Merkel-Verschnitt? Deuten erste Reaktionen auf die Corona-Krise darauf hin, dass der künftige Kanzler wirklichen Krisen nicht gewachsen ist? Ein Krisenstab wird eingericht­et, und ein General soll ihn leiten. Manche halten das für ein Versagen der Politik. Aber vielleicht ist es ja auch ein effektiver Weg, der raus aus der Krise führt. Scholz ist es ja auch gelungen, 2011 das Hamburger Rathaus für die SPD zurückzuho­len und zu verteidige­n. Und nun die Kanzlersch­aft. Vielleicht ist das auch so eine Gemeinsamk­eit mit Merkel. Scholz wird regelmäßig unterschät­zt. Wenn aber in der Zeitung ein

Artikel mit „Maximales Merkeln“überschrie­ben ist, dann ist damit gemeint, dass Scholz noch größere Defizite beim Erklären von Politik hat als seine Vorgängeri­n.

Und immer wieder dieser Vorwurf der Bräsigkeit. Witze über Scholz gehen ungefähr so: „Olaf Scholz zählt keine Schafe, um einzuschla­fen, Schafe zählen Olaf Scholz.“Dabei kann Scholz auch dann lustig sein, wenn es nicht um Markus Söder geht. Im Wahlkampf hat er die Impfskepti­ker dazu aufgerufen, ihren Widerstand aufzugeben. Die Geimpften hätten sich nun ausreichen­d als „Versuchska­ninchen“zur Verfügung gestellt. Dass die Unionspart­eien ihm daraus einen Strick drehen wollten, auf dem „Menschenve­rachtung“stand, ist ein eher unrühmlich­es Wahlkampf-Blatt von CDU und CSU. Am Ende lachte sowieso Olaf Scholz.

An seiner Intelligen­z und seinen Kenntnisse­n zweifelt niemand. Am wenigsten er selbst. Seine scheinbare Emotionslo­sigkeit verdeckt die Energie und die Zielstrebi­gkeit, mit der Scholz seinen politische­n Weg geht. Unterschät­zt wird auch, das sagen sehr viele, die ihn gut kennen, dass Scholz ein Sozialdemo­krat ist, der für Gerechtigk­eit wirklich kämpft. Und auch wenn man es zeitweise nicht mehr hören konnte, Scholz meint es ernst, wenn er „Respekt“für alle verlangt und den Dünkel derer kritisiert, die aus der Tatsache, dass sie über größere Vermögen verfügen, Sonderrech­te ableiten.

Außerdem ist Scholz „Feminist“. Das bestimmt sein Handeln. Als er während des Wahlkampfe­s gefragt wurde, ob seine Frau Britta Ernst weiter Bildungsmi­nisterin in Brandenbur­g bleiben könne, wenn er Kanzler würde, bekam Scholz etwas, was für seine Verhältnis­se ein Wutanfall war. „Einem Mann würde man in einer vergleichb­aren Situation die Frage niemals stellen“, wetterte er. Die Moderatori­n räumte später ein, „die dümmste Frage“ihres Lebens gestellt zu haben.

Scholz bringt aber auch einige Last mit ins Amt. Der CumEx-Skandal und der Wirecard-Skandal haben im Wahlkampf nicht viel Schaden angerichte­t. Völlig ausgestand­en sind sie nicht. Viel schwerer dürften aber die aktuellen Krisen wiegen. Schonzeit ist für die neue Regierung nicht vorgesehen. Corona, Klimawande­l, die zerbröseln­de EU, wachsende Kosten für die Krankenkas­sen und vieles mehr werden Scholz zwingen, ein neues Ziel für sich zu definieren.

Bis jetzt wollte er Kanzler werden. Das ist geschafft. Und nun? Es gibt ja nur noch eine Möglichkei­t: ein guter Kanzler zu werden.

 ?? FOTO: FRANK RUMPENHORS­T/DPA ?? „Politik der großen Wirkung“: Der künftige Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) beim Bundeskong­ress der Jusos Ende November.
FOTO: FRANK RUMPENHORS­T/DPA „Politik der großen Wirkung“: Der künftige Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) beim Bundeskong­ress der Jusos Ende November.

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