Schlachtung mit Achtung
Die Allgäuer Weideschuss GmbH tötet Rinder auf der heimischen Weide – Ziel ist die artgerechte Fleischproduktion
MARIA STEINBACH - Es duftet nach einem Festmahl: In einem Heißluftofen rösten Rinderknochen, in einer Pfanne brutzeln Cordon bleu. Daneben hantiert Biokoch Alfred Fahr. Er klopft ein Stück Kalbsfleisch, packt Schinken und Käse ein, taucht den Bratling in einen Backteig und paniert ihn mit Semmelbröseln. Käse, Schinken und Fleisch stammen von Tieren aus dem Allgäu, die auf der Weide aufgewachsen sind. Geschlachtet werden die Tiere dort, wo sie gelebt haben. Für die Rinder kommt der Tod schnell. Bei der Weideschlachtung werden sie auf die Wiese geführt, wo die Tiere sonst auch fressen. Dann fällt ein Schuss, ein einzelnes Tier sackt zu Boden.
Der Schütze, ein Jäger mit einer besonderen Ausbildung, steht in weniger als 25 Metern Entfernung. Die Kugel aus seinem Gewehr tötet das Tier meist augenblicklich oder sorgt dafür, dass es keine Schmerzen mehr fühlt. Bei dem Schuss auf der Weide geht es darum, das Nutztier, das für die Produktion von Fleisch stirbt, auf eine der Kreatur angemessenen Weise zu töten. Im Gegensatz zu dem Stress von Tiertransporten, langen Fahrten in engen, dreckigen Lastwagen über Hunderte von Kilometer und dem Sterben in kalten, gekachelten Schlachthäusern. Um ihren Tieren ein solches Schicksal zu ersparen, haben sich im Allgäu die Biolandwirte Franz Berchtold, Herbert Siegel und Günther Rauch mit dem Biokoch Alfred Fahr zusammengetan und in Wiggensbach die Weideschuss GmbH gegründet.
Für die Weideschlachtung ist ein gezielter Kopfschuss nur eine von vielen Voraussetzungen. Die Genehmigung für den Kugelschuss wird von den vor Ort zuständigen Behörden erteilt. Es geht nicht nur um Tierschutzrechte, sondern auch um die Erlaubnis eine Waffe zu besitzen. Sobald das Tier von der Kugel getroffen wird, muss alles sehr schnell gehen. „Vom Schuss bis zum Entbluten des Tiers darf nur eine Minute vergehen“, sagt der aus Missen stammende Siegel. Das Tier wird mit einem Bagger in eine mobile Schlachtbox gehievt und blutet nach einem Stich in die Halsschlagader aus. Die Schlachtbox lässt sich schließen und mit einem Traktor von der Weide transportieren. Binnen einer Stunde muss der Landwirt das Tier in der Box zum Schlachthof fahren.
Durch die Gesetzesänderung der Europäischen Union im September ist es einfacher geworden, eigene Tiere am Hof zu schlachten, wie es die Allgäuer Bauern tun. „Bisher gab es eine nationale Regelung, dass nur einzelne, ganzjährig im Freien gehaltene Rinder geschossen werden dürfen“, sagt ein Sprecher des Bayerischen Umweltministeriums. Inzwischen dürfen unter der Nutzung einer mobilen Schlachtbox Hausrinder und auch Hausschweine unabhängig von der Haltungsform im landwirtschaftlichen Betrieb geschlachtet werden.
Auch die Landesregierung in Baden-Württemberg sei bestrebt, die verschiedenen Formen der mobilen Schlachtung zu fördern, sagt ein Sprecher des Südwest-Agrarministeriums. Die Änderung des EURechts gehe maßgeblich auf Aktivitäten der baden-württembergischen Regierung zurück. Für die Anschaffung von mobilen Einheiten zur Schlachtung von Rindern können Bauern vom Land Zuschüsse von bis zu 40 Prozent bekommen.
Der Erste, der im Jahr 2016 die Berechtigung für den Kugelschuss in Bayern bekommen hat, war Herbert
Siegel. Ein Schlachttag bedeutet für ihn viel Planung, für den Weideschuss braucht er die amtliche Tierärztin, den Metzger und den Jäger. Gemeinsam mit den Geschäftspartnern Berchtold und Rauch nutzt er die mobile Schlachtbox. Die drei Allgäuer Landwirte betreiben alle mutteroder kuhgebundene Kälberaufzuchten im Allgäu. Anders als in konventionellen Betrieben, werden die Kälber bei dieser Zuchtform nach der Geburt nicht von den Kühen getrennt und mit Milchersatz versorgt, sondern trinken weiter Milch am Euter der Mutter oder bei einer Amme.
Stolz bewegen sich die Tiere frei auf der Weide und im Winter durch offene Ställe. Anders als in konventionellen Viehhaltungen, dürfen die Kühe ihre natürlichen Hörner tragen – der Auslauf ist groß, die Verletzungsgefahr gering. Als Futter bekommen die Tiere im Sommer Gras und im Winter Heu. Doch ein Schicksal teilen auch die Tiere der Allgäuer Biobauern: „Damit Kühe Milch geben, müssen sie einmal im Jahr ein Kalb zur Welt bringen“, sagt Berchtold. Für die Nachzucht braucht der Landwirt aber nicht so viele Kälber, wie geboren werden, ansonsten würde die Zahl der Tiere in seinem Betrieb ständig wachsen. Bisher musste Berchtold seine Kälber zu konventionellen Preisen verkaufen, heute übernehmen sie seine beiden Partner von der Weideschuss GmbH, dort werden sie weiter aufgezogen.
„Grundsätzlich liegt der Anteil von Biorindfleisch am Gesamtmarkt nur bei rund sechs Prozent. Das heißt, es werden bei Weitem mehr Biokälber geboren als Nachfrage da ist“, erklärt Ariane Amstutz, Pressesprecherin vom Landesbauernverband in Baden-Württemberg. Die Biomilcherzeuger sähen sich häufig gezwungen, ihre Kälber zu konventionellen Preisen zu verkaufen. „Da weiß ich aber nicht, wo das Tier am Ende hinkommt, im schlimmsten Fall wird es über weite Strecken ins Ausland transportiert“, sagt Franz Berchtold. Der Großteil der Biokälber lande nach dem Verkauf in konventionellen Rindermastbetrieben.
Viele Biolandwirte seien mit der Situation unzufrieden, erklärt Berchtold. Zum einen rechnet sich für sie der Verkauf nicht wirklich, weil die Milchbauern spezielle Züchtungen nutzen, die nicht die besten Kriterien für den Fleischmarkt erfüllen.
Zum anderen geht es den drei Bauern aus dem Allgäu nicht nur ums Geld: Für sie ist es auch eine ethische Frage. „Jeder Transport bedeutet für die Kälber enormen Stress, weil die Umgebung ihnen unbekannt ist und die Herde fehlt“, sagt Berchtold mit Blick auf seine eigenen Erfahrungen.
Als er seine Tiere noch zum Schlachthof brachte, erlebte er immer wieder, was selbst eine kurze Fahrt im Anhänger mit einem Tier macht. „Man erkennt das Kalb nicht wieder, auf einmal bist du für das Tier ein Fremder“, sagt er. Bei der Hof- und Weideschlachtung sollen die Tiere in gewohnter Umgebung sterben dürfen. „Wenn es gelingt, die Tötung so zu gestalten, dass das Tier nichts mitbekommt, dann kann ich das mit meinem Gewissen vereinbaren“, sagt er.
Einen Teil seiner Kälber zieht der Landwirt für die Fleischproduktion auf. Wenn die Tiere ein halbes Jahr alt sind, kommen Metzger und Veterinär zur Hausschlachtung zu ihm auf den Hof. „Der Allgäuer nennt diese Jungtiere Schumpen“, sagt Berchtold. In diesem Alter seien die Tiere zutraulich, fressen dem Bauern noch aus der Hand. In einer Vorrichtung werden sie fixiert und mit dem Bolzenschussgerät betäubt. Und der Rest läuft, wie beim Großrind, auf der Weide ab.
Im Schlachthaus macht sich der Metzger ans Werk, er verarbeitet das Tier weiter. Biokoch Alfred Fahr bekommt vom Metzger ausgewählte Fleischstücke und Hackfleisch – Steakteile und Wurst gehen zuvor in den regionalen Handel zum Verkauf. Gulasch, Rinderrouladen, Boeuf à la Mode, Schnitzel, Cordon bleu – all das bereitet Fahr in der Küche der Dorfpfarrei in Maria Steinbach zu, die die Weideschuss GmbH in der Anfangsphase noch nutzt. Der Koch schwört auf die Qualität des Biofleischs. „Die Fleischqualität ist einfach besser, wenn das Tier auf dem Hof oder der Weide geschlachtet wird. Die Reifung funktioniert besser, und die Haltbarkeit ist länger“, sagt Fahr. Die fertigen Gerichte aus regionalen Zutaten vakuumiert er in Plastikbeutel oder macht sie in Einmachgläsern haltbar.
Abnehmer sind Kunden der Biokäserei Wiggensbach mit ihrem lokalen Vertriebsnetz und seit neuestem die Supermarktkette Alnatura in Bayern und Baden-Württemberg. In 57 Alnatura-Filialen werden die Produkte angeboten. Die Erzeugnisse haben einen stolzen Preis – fast zehn Euro kosten Rinderrouladen, Gulasch und Boeuf à la Mode in Gläsern mit einem Füllgewicht von 380 Gramm. Der Kilopreis für das Schnitzel im Beutel liegt bei 39 Euro, der für die Cordon bleu bei 43 Euro. Tierwohl habe eben seinen Preis und niemand müsse täglich Fleisch essen, sagt Biobauer Berchtold: „Wir haben das Pferd von hinten aufgezäumt, der Milchbauer, der Rinderzüchter, der Koch, jeder hat seine eigenen Ansprüche und will etwas verdienen, wir brauchen diesen Preis, ansonsten könnten wir uns den Mehraufwand nicht leisten.“
Ein Mehraufwand, der den Tieren der Biobauern nicht nur ein angemessenes Leben, sondern auch einen würdigen Tod erlaubt. Die vier Idealisten der Weideschuss GmbH hoffen, dass sie mit ihrem Konzept noch andere Kollegen überzeugen. Bei insgesamt zwölf Betrieben haben sie dies schon geschafft, auch diese Höfe vermarkten einen Teil ihrer Tiere über das Netzwerk der Weideschuss GmbH. Tiere, die eben nicht in kalt gekachelten Schlachthäusern weit jenseits der grünen Hügel des Allgäus sterben werden.