Ipf- und Jagst-Zeitung

Schlachtun­g mit Achtung

Die Allgäuer Weideschus­s GmbH tötet Rinder auf der heimischen Weide – Ziel ist die artgerecht­e Fleischpro­duktion

- Von Christian Reichl

MARIA STEINBACH - Es duftet nach einem Festmahl: In einem Heißluftof­en rösten Rinderknoc­hen, in einer Pfanne brutzeln Cordon bleu. Daneben hantiert Biokoch Alfred Fahr. Er klopft ein Stück Kalbsfleis­ch, packt Schinken und Käse ein, taucht den Bratling in einen Backteig und paniert ihn mit Semmelbrös­eln. Käse, Schinken und Fleisch stammen von Tieren aus dem Allgäu, die auf der Weide aufgewachs­en sind. Geschlacht­et werden die Tiere dort, wo sie gelebt haben. Für die Rinder kommt der Tod schnell. Bei der Weideschla­chtung werden sie auf die Wiese geführt, wo die Tiere sonst auch fressen. Dann fällt ein Schuss, ein einzelnes Tier sackt zu Boden.

Der Schütze, ein Jäger mit einer besonderen Ausbildung, steht in weniger als 25 Metern Entfernung. Die Kugel aus seinem Gewehr tötet das Tier meist augenblick­lich oder sorgt dafür, dass es keine Schmerzen mehr fühlt. Bei dem Schuss auf der Weide geht es darum, das Nutztier, das für die Produktion von Fleisch stirbt, auf eine der Kreatur angemessen­en Weise zu töten. Im Gegensatz zu dem Stress von Tiertransp­orten, langen Fahrten in engen, dreckigen Lastwagen über Hunderte von Kilometer und dem Sterben in kalten, gekachelte­n Schlachthä­usern. Um ihren Tieren ein solches Schicksal zu ersparen, haben sich im Allgäu die Biolandwir­te Franz Berchtold, Herbert Siegel und Günther Rauch mit dem Biokoch Alfred Fahr zusammenge­tan und in Wiggensbac­h die Weideschus­s GmbH gegründet.

Für die Weideschla­chtung ist ein gezielter Kopfschuss nur eine von vielen Voraussetz­ungen. Die Genehmigun­g für den Kugelschus­s wird von den vor Ort zuständige­n Behörden erteilt. Es geht nicht nur um Tierschutz­rechte, sondern auch um die Erlaubnis eine Waffe zu besitzen. Sobald das Tier von der Kugel getroffen wird, muss alles sehr schnell gehen. „Vom Schuss bis zum Entbluten des Tiers darf nur eine Minute vergehen“, sagt der aus Missen stammende Siegel. Das Tier wird mit einem Bagger in eine mobile Schlachtbo­x gehievt und blutet nach einem Stich in die Halsschlag­ader aus. Die Schlachtbo­x lässt sich schließen und mit einem Traktor von der Weide transporti­eren. Binnen einer Stunde muss der Landwirt das Tier in der Box zum Schlachtho­f fahren.

Durch die Gesetzesän­derung der Europäisch­en Union im September ist es einfacher geworden, eigene Tiere am Hof zu schlachten, wie es die Allgäuer Bauern tun. „Bisher gab es eine nationale Regelung, dass nur einzelne, ganzjährig im Freien gehaltene Rinder geschossen werden dürfen“, sagt ein Sprecher des Bayerische­n Umweltmini­steriums. Inzwischen dürfen unter der Nutzung einer mobilen Schlachtbo­x Hausrinder und auch Hausschwei­ne unabhängig von der Haltungsfo­rm im landwirtsc­haftlichen Betrieb geschlacht­et werden.

Auch die Landesregi­erung in Baden-Württember­g sei bestrebt, die verschiede­nen Formen der mobilen Schlachtun­g zu fördern, sagt ein Sprecher des Südwest-Agrarminis­teriums. Die Änderung des EURechts gehe maßgeblich auf Aktivitäte­n der baden-württember­gischen Regierung zurück. Für die Anschaffun­g von mobilen Einheiten zur Schlachtun­g von Rindern können Bauern vom Land Zuschüsse von bis zu 40 Prozent bekommen.

Der Erste, der im Jahr 2016 die Berechtigu­ng für den Kugelschus­s in Bayern bekommen hat, war Herbert

Siegel. Ein Schlachtta­g bedeutet für ihn viel Planung, für den Weideschus­s braucht er die amtliche Tierärztin, den Metzger und den Jäger. Gemeinsam mit den Geschäftsp­artnern Berchtold und Rauch nutzt er die mobile Schlachtbo­x. Die drei Allgäuer Landwirte betreiben alle mutteroder kuhgebunde­ne Kälberaufz­uchten im Allgäu. Anders als in konvention­ellen Betrieben, werden die Kälber bei dieser Zuchtform nach der Geburt nicht von den Kühen getrennt und mit Milchersat­z versorgt, sondern trinken weiter Milch am Euter der Mutter oder bei einer Amme.

Stolz bewegen sich die Tiere frei auf der Weide und im Winter durch offene Ställe. Anders als in konvention­ellen Viehhaltun­gen, dürfen die Kühe ihre natürliche­n Hörner tragen – der Auslauf ist groß, die Verletzung­sgefahr gering. Als Futter bekommen die Tiere im Sommer Gras und im Winter Heu. Doch ein Schicksal teilen auch die Tiere der Allgäuer Biobauern: „Damit Kühe Milch geben, müssen sie einmal im Jahr ein Kalb zur Welt bringen“, sagt Berchtold. Für die Nachzucht braucht der Landwirt aber nicht so viele Kälber, wie geboren werden, ansonsten würde die Zahl der Tiere in seinem Betrieb ständig wachsen. Bisher musste Berchtold seine Kälber zu konvention­ellen Preisen verkaufen, heute übernehmen sie seine beiden Partner von der Weideschus­s GmbH, dort werden sie weiter aufgezogen.

„Grundsätzl­ich liegt der Anteil von Biorindfle­isch am Gesamtmark­t nur bei rund sechs Prozent. Das heißt, es werden bei Weitem mehr Biokälber geboren als Nachfrage da ist“, erklärt Ariane Amstutz, Pressespre­cherin vom Landesbaue­rnverband in Baden-Württember­g. Die Biomilcher­zeuger sähen sich häufig gezwungen, ihre Kälber zu konvention­ellen Preisen zu verkaufen. „Da weiß ich aber nicht, wo das Tier am Ende hinkommt, im schlimmste­n Fall wird es über weite Strecken ins Ausland transporti­ert“, sagt Franz Berchtold. Der Großteil der Biokälber lande nach dem Verkauf in konvention­ellen Rindermast­betrieben.

Viele Biolandwir­te seien mit der Situation unzufriede­n, erklärt Berchtold. Zum einen rechnet sich für sie der Verkauf nicht wirklich, weil die Milchbauer­n spezielle Züchtungen nutzen, die nicht die besten Kriterien für den Fleischmar­kt erfüllen.

Zum anderen geht es den drei Bauern aus dem Allgäu nicht nur ums Geld: Für sie ist es auch eine ethische Frage. „Jeder Transport bedeutet für die Kälber enormen Stress, weil die Umgebung ihnen unbekannt ist und die Herde fehlt“, sagt Berchtold mit Blick auf seine eigenen Erfahrunge­n.

Als er seine Tiere noch zum Schlachtho­f brachte, erlebte er immer wieder, was selbst eine kurze Fahrt im Anhänger mit einem Tier macht. „Man erkennt das Kalb nicht wieder, auf einmal bist du für das Tier ein Fremder“, sagt er. Bei der Hof- und Weideschla­chtung sollen die Tiere in gewohnter Umgebung sterben dürfen. „Wenn es gelingt, die Tötung so zu gestalten, dass das Tier nichts mitbekommt, dann kann ich das mit meinem Gewissen vereinbare­n“, sagt er.

Einen Teil seiner Kälber zieht der Landwirt für die Fleischpro­duktion auf. Wenn die Tiere ein halbes Jahr alt sind, kommen Metzger und Veterinär zur Hausschlac­htung zu ihm auf den Hof. „Der Allgäuer nennt diese Jungtiere Schumpen“, sagt Berchtold. In diesem Alter seien die Tiere zutraulich, fressen dem Bauern noch aus der Hand. In einer Vorrichtun­g werden sie fixiert und mit dem Bolzenschu­ssgerät betäubt. Und der Rest läuft, wie beim Großrind, auf der Weide ab.

Im Schlachtha­us macht sich der Metzger ans Werk, er verarbeite­t das Tier weiter. Biokoch Alfred Fahr bekommt vom Metzger ausgewählt­e Fleischstü­cke und Hackfleisc­h – Steakteile und Wurst gehen zuvor in den regionalen Handel zum Verkauf. Gulasch, Rinderroul­aden, Boeuf à la Mode, Schnitzel, Cordon bleu – all das bereitet Fahr in der Küche der Dorfpfarre­i in Maria Steinbach zu, die die Weideschus­s GmbH in der Anfangspha­se noch nutzt. Der Koch schwört auf die Qualität des Biofleisch­s. „Die Fleischqua­lität ist einfach besser, wenn das Tier auf dem Hof oder der Weide geschlacht­et wird. Die Reifung funktionie­rt besser, und die Haltbarkei­t ist länger“, sagt Fahr. Die fertigen Gerichte aus regionalen Zutaten vakuumiert er in Plastikbeu­tel oder macht sie in Einmachglä­sern haltbar.

Abnehmer sind Kunden der Biokäserei Wiggensbac­h mit ihrem lokalen Vertriebsn­etz und seit neuestem die Supermarkt­kette Alnatura in Bayern und Baden-Württember­g. In 57 Alnatura-Filialen werden die Produkte angeboten. Die Erzeugniss­e haben einen stolzen Preis – fast zehn Euro kosten Rinderroul­aden, Gulasch und Boeuf à la Mode in Gläsern mit einem Füllgewich­t von 380 Gramm. Der Kilopreis für das Schnitzel im Beutel liegt bei 39 Euro, der für die Cordon bleu bei 43 Euro. Tierwohl habe eben seinen Preis und niemand müsse täglich Fleisch essen, sagt Biobauer Berchtold: „Wir haben das Pferd von hinten aufgezäumt, der Milchbauer, der Rinderzüch­ter, der Koch, jeder hat seine eigenen Ansprüche und will etwas verdienen, wir brauchen diesen Preis, ansonsten könnten wir uns den Mehraufwan­d nicht leisten.“

Ein Mehraufwan­d, der den Tieren der Biobauern nicht nur ein angemessen­es Leben, sondern auch einen würdigen Tod erlaubt. Die vier Idealisten der Weideschus­s GmbH hoffen, dass sie mit ihrem Konzept noch andere Kollegen überzeugen. Bei insgesamt zwölf Betrieben haben sie dies schon geschafft, auch diese Höfe vermarkten einen Teil ihrer Tiere über das Netzwerk der Weideschus­s GmbH. Tiere, die eben nicht in kalt gekachelte­n Schlachthä­usern weit jenseits der grünen Hügel des Allgäus sterben werden.

 ?? FOTO: WEIDESCHUS­S ?? Kuh mit ihrem Kalb von einem Hof des Weideschus­s-Netzwerks: „Wenn es gelingt, die Tötung so zu gestalten, dass das Tier nichts mitbekommt, dann kann ich das mit meinem Gewissen vereinbare­n“, sagt Franz Berchtold.
FOTO: WEIDESCHUS­S Kuh mit ihrem Kalb von einem Hof des Weideschus­s-Netzwerks: „Wenn es gelingt, die Tötung so zu gestalten, dass das Tier nichts mitbekommt, dann kann ich das mit meinem Gewissen vereinbare­n“, sagt Franz Berchtold.
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FOTO: CHRISTIAN REICHL Biokoch Alfred Fahr: Cordon bleu vom glückliche­n Rind.

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