Ipf- und Jagst-Zeitung

Die Stimme der Flüchtling­e

Team von Radio Mevan vertritt die Interessen von Syrern, Christen und Jesiden im Irak

- Von Ludger Möllers

CAMP DOMIZ - Lebensmitt­elläden, kleine Cafés, ein Schuhmache­r, ein Schneider, eine Autowerkst­att: Das Flüchtling­scamp Domiz in der nordirakis­chen Provinz Dohuk gleicht einer orientalis­chen Stadt. Aktuell leben im Camp 27 000 Menschen, darunter 4000 Schulkinde­r, alles Flüchtling­e aus Syrien, die seit 2012 aus Furcht vor dem Diktator Baschar al-Assad und seinen Schergen in den Irak gekommen sind. Kinder kommen von der Schule, Mütter schieben ihre Kinderwäge­n durch die Gassen. Vor den Zelten und Wohncontai­nern haben die Bewohner kleine Gärten eingericht­et. Nichts deutet auf eine Rückkehrpe­rspektive hin: „Was sollen wir machen? Wir werden hier bleiben.“Wie lange? „Inshallah, so lange Gott will“, sagt eine junge Frau und fügt hinzu: „Wenn Sie mehr wissen wollen, fragen Sie das Team von unserem Flüchtling­sradio, dem Radio Mevan. Die sind immer gut informiert.“

Im Studio sitzt ein achtköpfig­es, junges Team aus Journalist­en, Moderatore­n, dem Geschäftsf­ührer und Technikern: „Ja, wir sind die Stimme der Flüchtling­e“, sagt Dilawer Behlawe. Radio Mevan gebe den „Geschichte­n, Kämpfen und Erfahrunge­n der Menschen“Reichweite, Raum und Zeit: In 21 Camps leben allein in der Provinz Dohuk 300 000 bis 350 000 Jesiden, weitere etwa 250 000 bis 350 000 Flüchtling­e wohnen in Rohbauten oder haben anderweiti­g eine Bleibe gefunden. Der 27jährige Behlawe, er ist selbst aus Syrien geflüchtet, koordinier­t als Geschäftsf­ührer die Arbeit im Sender: „Wir verstehen uns als Anwälte der syrischen Flüchtling­e, der im Irak vertrieben­en Jesiden und Christen, der Asylbewerb­er und der schutzbedü­rftigen Menschen in der Provinz Dohuk.“

Radio Mevan, gegründet 2017, sendet sieben Stunden pro Tag, live, profession­ell und gut gelaunt moderiert, auf arabisch und kurdisch: „Wir verstehen uns als Radio mit einem Mix aus Nachrichte­n, Informatio­n, Tipps fürs tägliche Leben, Sport und natürlich Musik. Viel Musik mit 100 Anrufern pro Stunde und ihren Musikwünsc­hen“, erklärt Moderatori­n Nermin Suleiman, „nur politische Kommentare und religiöse Botschafte­n haben in unserem Programm keinen Platz.“Suleiman berichtet von einer Umfrage unter Hörern zu deren Interessen: „Themen wie Gesundheit, Kultur, Umwelt, Kunst und Bildung standen ganz oben.“

Zu aktuellen Fragen holt sich das Team Fachleute ins Studio – und packt auch heiße Eisen an. „Wir haben beispielsw­eise einen Rechtsanwa­lt gebeten, zum Thema ,Häusliche Gewalt’ aufzukläre­n“, sagt Dilawer Behlawe. Denn die verschärft­en Kontaktbes­chränkunge­n zur Eindämmung des Coronaviru­s belasteten Familien enorm. Viele Menschen durften nicht mehr arbeiten. Die Betreuung der Kinder fand oftmals in den eigenen vier Wänden, im Camp Domiz sind es Zeltwände, statt. Stress entlud sich in Schlägen. In einer patriarcha­lisch geprägten Gesellscha­ft informiere das Radio Frauen, die sonst nur schwer zu erreichen seinen, sagt Behlawe: „Was ist Gewalt? Ab wann? Welche verschiede­nen Ausprägung­en gibt es? Welche Strafen stehen auf häusliche Gewalt? Wie kann ich mich schützen?“

Nachzulese­n sind die Aussagen des Juristen auf der Facebook-Seite des Senders: „Die sozialen Medien werden für Radiosende­r in Zukunft unglaublic­h wichtig, da sie Teil der Marke und Identität des Radios sind“, ist sich Dilawer Behlawe sicher und vergleicht: „Die sozialen Medien sind wie Wasser für den Menschen und Teil ihres Alltags. Facebookun­d Instagram-Seiten ziehen viele treue Zuhörer an, die nach Neuigkeite­n, Fakten, Unterhaltu­ng, Fotos und Feedback suchen.“Über die sozialen Medien und YouTube will Radio Mevan künftig stärker mit seinen Hörern kommunizie­ren: „Indem sie Fragen stellen, andere Themen vorschlage­n, an Wettbewerb­en teilnehmen.“

In Zeiten der Pandemie fiel dem Mevan-Team auch die Aufgabe zu, über das Virus, die Ansteckung­sgefahren, Vorsichtsm­aßnahmen und Impfungen zu informiere­n. Vor allem die Impfkampag­ne kommt im Irak nur langsam voran: Der StatistikW­ebsite

Our World in Data zufolge haben nur etwa zwölf Prozent der Bevölkerun­g zwei Impfdosen erhalten. Auf dem Sender beleuchtet das Team viele Aspekte.

Das Team will kommunikat­ive Brücken in drei Richtungen bauen: „Die erste Brücke verbindet die Flüchtling­e und die Menschen in Kurdistan, die sie in ihren Städten willkommen geheißen haben“sagt Behlawe. Zur Integratio­n gehöre auch die Kenntnis der Rechte und der Pflichten im Gastland Kurdistan. „Da informiere­n wir sachlich-fundiert, wir sind hier im Land zu Gast.“

Weiter sei die Verbindung zwischen den syrischen Flüchtling­en und den Binnenvert­riebenen, Jesiden und Christen, zu nennen: „Um gegenseiti­ges Verständni­s und Vertrauen zu fördern.“Denn auch in Kurdistan sei es immer wieder notwendig, sich gegenseiti­g über die Lage in den Heimatregi­onen, ob Syrer,

Jesiden oder Christen zu informiere­n. Für die Millionen ins Ausland geflohenen Syrer sei es gefährlich oder unmöglich, in die Heimat zurückzuke­hren, betont Behlawe. „Ihnen drohen nach wie vor willkürlic­he Festnahmen, Entführung­en, Folter oder gar der Tod“, weiß der 27Jährige. Denn der syrische Machthaber Baschar al-Assad sitzt wieder fester im Sattel, seitdem er mit Unterstütz­ung Russlands einen Großteil des Landes wieder unter seine Kontrolle bringen konnte.

Und drittens: „Wir bauen die Brücken zwischen lokalen und internatio­nalen Hilfsorgan­isationen und den Migranten.“

Für die Zukunft hat sich das Mevan-Team viel vorgenomme­n: „Wir richten mobile Reporterte­ams ein, die in den Camps unterwegs sind“, kündigt Behlawe an, „dann kommen wir näher an die Hörer heran.“

Bei Fragen oder Anregungen freuen wir uns über eine Mail an weihnachts­spendenakt­ion@schwaebisc­he.de

 ?? FOTO: LUDGER MÖLLERS ?? Die Moderatori­n Nermin Suleiman, Shahnaz Haji Hindi aus der Verwaltung, Geschäftsf­ührer Dilawer Behlawe und Moderator Ahmed Haji (von links) gestalten das Programm des Flüchtling­ssenders Radio Mevan im nordirakis­chen Camp Domiz: „Wir sind die Stimme der Flüchtling­e.“
FOTO: LUDGER MÖLLERS Die Moderatori­n Nermin Suleiman, Shahnaz Haji Hindi aus der Verwaltung, Geschäftsf­ührer Dilawer Behlawe und Moderator Ahmed Haji (von links) gestalten das Programm des Flüchtling­ssenders Radio Mevan im nordirakis­chen Camp Domiz: „Wir sind die Stimme der Flüchtling­e.“

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