Diskussionen um Kuppel des Humboldt Forums
Eine Inschrift fordert die Unterwerfung der Menschheit unter das Christentum
Jair Bolsonaro oder auch der als lustiger Spaßvogel auftretende britische Premier Boris Johnson gravierende Fehler nicht nur ungestraft erlauben. Sie schieben diese auch noch einer vermeintlichen Gegenseite folgenlos in die Schuhe. Etwa durch das bewusste Brechen von Verträgen mit der EU, die man zuvor noch als persönliche Erfolge von der eigenen Parlamentsmehrheit hat absegnen lassen. Eine Vereinbarung wird einseitig einfach nicht eingehalten, wenn man merkt, dass sie in der Praxis problematisch ist. Auch in der neuerlich eskalierenden Corona-Lage will niemand der Verantwortlichen dafür verantwortlich sein, dass es so weit kommen konnte. Kein Söder. Kein Spahn. Kein Scholz. Niemand.
Vertrauen, Verlässlichkeit und gesellschaftlicher Konsens gehen auf diese Weise systematisch kaputt. Denn für Eltern wird die argumentative Luft gefährlich dünn, wenn Persönlichkeiten der Politik durch das Netz der Verantwortung grinsend durchschlüpfen können, weil sie die Maschen vorher höchstpersönlich ausgeleiert haben.
Margot Käßmann hat damals den Weg ohne Amt, aber in Würden gewählt. Ihre Beliebtheit in der Bevölkerung hätte auch nach der Eskapade dreimal ausgereicht, um weiterhin eine große öffentliche Rolle zu spielen. Gut möglich, dass es sogar zur ersten deutschen Bundespräsidentin gereicht hätte. Doch sie verzichtete. Zum Vergleich: Gegen Andreas Scheuer als CSU-Verkehrsminister hatten sich in repräsentativen Umfragen bis zu 90 Prozent ausgesprochen. Er selbst hat sich aber dennoch legitimiert gefühlt.
Dabei ist gerade die Übernahme von Verantwortung eine Art Reinigungsprozess, der es ermöglicht, mit einem gewissen Abstand noch einmal eine neue und glaubwürdige Rolle zu finden. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der Akt des Zurücktretens nicht am Rande eines Abgrunds passiert, an den die Betroffenen sich selbst durch Leugnen und Taktieren manövriert haben. Wer den eigenen Abgang so unwürdig inszeniert, verdient keine zweite Chance. Wer die Kunst der Übernahme von Verantwortung in dem Moment, wo er noch andere Optionen hat, ausübt, der darf mit Recht auf ein Comeback hoffen und das Verständnis der Wähler. Genau wie wir ein Kind umso fester in die Arme schließen, wenn es freiwillig eine Verfehlung erkennt, einräumt und bereit ist, dafür gradezustehen.
Übrigens: Auch in der neuerlich eskalierenden Corona-Lage will niemand der Verantwortlichen dafür verantwortlich sein, dass es soweit kommen konnte und also die Verantwortung dafür übernehmen. Kein Söder. Kein Spahn. Kein Scholz. Kein niemand."
BERLIN (dpa) - Koloniales Raubgut unterm Christenkreuz, demokratische Debatten hinter christlichen Unterwerfungsfantasien – die Debatten darüber, ob die Architektur eine Belastung ist für das Humboldt Forum Berlin, nehmen zu. Doch auch Änderungen sind umstritten.
Nach anhaltenden Diskussionen will das Forum die rekonstruierte Schlossfassade an entscheidender Stelle ändern. Eine weithin sichtbare Inschrift um die Kuppel mit christlichem Unterwerfungsanspruch soll künstlerisch abgewandelt werden. Doch die Pläne für Veränderungen am umstrittenen Erscheinungsbild des Berliner Humboldt Forums sind umgehend auf Kritik gestoßen.
Das Humboldt Forum solle ein „weltoffener, demokratischer Debattenort“werden, kündigte Generalintendant Hartmut Dorgerloh am Donnerstagabend in Berlin mit Hinweis auf den Koalitionsvertrag im Bund an. Deswegen müssten Fragen etwa zu Kreuz und Kuppel mit Inschrift immer wieder neu gestellt werden. Dabei solle der Versuch unternommen werden, „vielleicht auch neue Antworten zu formulieren“. Dorgerloh will Ideen entwickeln, „wie wir mit etwas umgehen, was bis heute nicht befriedigt und nicht befriedet“.
Wilhelm von Boddien vom „Förderverein Berliner Schloss“, der gut 100 Millionen Euro an Spenden für die rekonstruierte Barockfassade gesammelt hat, hingegen fürchtet „einen kulturellen Bruch, wie wir ihn in unserer Geschichte noch nie hatten – die Herrschaft der Säkularisierung über unsere 2000 Jahre alten Wurzeln im Christentum“. Ihm wurde entgegengehalten, das Humboldt Forum sei kein religiöses, sondern ein säkulares Gebäude.
Andere Diskussionsteilnehmer erinnerten während der Veranstaltung an die Warnung des Rabbiners Andreas Nachama vor einem „Rückfall in die Gedankenwelt eines Preußenkönigs“. Der langjährige Direktor der Stiftung Topographie des Terrors hatte sich von christlichen Bischöfen gewünscht, an der Spitze einer Bürgerinitiative dafür zu plädieren, dass der Spruch beseitigt wird.
Die goldene Inschrift auf blauem Grund um die Kuppel des gerade für 680 Millionen Euro errichteten Zentrums für Kultur, Kunst und Wissenschaft fordert eine Unterwerfung aller Menschen unter das Christentum. Mit der nachträglich aufgesetzten Kuppel, Kreuz und Bibelspruch unterstrichen die Hohenzollern während der Revolution 1848 den Herrschaftsanspruch der Monarchie gegen demokratische Bestrebungen.
Im Humboldt Forum werden auch Kunstobjekte aus kolonialen Unrechtszusammenhängen gezeigt. Die Verantwortlichen wollen das Zentrum zu einem Diskussionsforum über die koloniale Vergangenheit Deutschlands und die Auswirkungen bis in die Gegenwart machen. Dabei gelten die christlichen Insignien als Symbole auch kolonialer Unterwerfung als erschwerend.
Mithilfe der Initiative Leuchtturm Berlin soll das Spruchband nun künstlerisch bearbeitet werden. Die Initiatoren Sven Lochmann und Konrad Miller wollen dem umstrittenen Spruch kurzfristig „eine dauerhafte, positive und zeitgemäße Aussage entgegensetzen“. Dazu soll nach bisherigen Entwürfen ein Netz von Leuchtdioden vor das weiter sichtbare Spruchband montiert werden. Bei Einbruch der Dunkelheit sollen Auszüge aus Grundgesetz und Menschenrechtserklärung als Laufschrift vor dem Bibelspruch zu lesen sein.