Ipf- und Jagst-Zeitung

In Amt, doch ohne Würden

- Von Erich Nyffenegge­r

Ich habe einen schweren Fehler gemacht, den ich zutiefst bereue. Aber auch wenn ich ihn bereue, und mir alle Vorwürfe, die in dieser Situation berechtigt­erweise zu machen sind, immer wieder selbst gemacht habe, kann ich nicht mit der notwendige­n Autorität im Amt bleiben.“Diese Sätze stammen von Margot Käßmann. Ihre Verfehlung war nicht, wie der bald gewesene Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer 560 Millionen Euro in einer Maut-Affäre leichtfert­ig zu verpulvern. Die Sünde von Käßmann war es auch nicht, wie Donald Trump die USA wegen narzisstis­cher Egoismen fast aus der westlichen Wertegemei­nschaft zu katapultie­ren. Auch stapelten sich auf ihrem Schreibtis­ch keine Ordner der Staatsanwa­ltschaften mit Korruption­svorwürfen, wie jüngst bei Österreich­s Ex-Kanzler Sebastian Kurz. Bei seinem erzwungene­n Rücktritt war er eher bereit, die Arbeit aller Institutio­nen seines eigenen Landes zu diskrediti­eren als ehrlich zu sein. Nein, Margot Käßmann trat 2010 wegen einer Trunkenhei­tsfahrt als Ratsvorsit­zende der Evangelisc­hen Kirche zurück. Und einer überfahren­en roten Ampel. Heute aus der Distanz betrachtet geradezu niedlich.

Die vorgenannt­en Personen aus der Politik haben allesamt ebenfalls rote Ampeln überfahren. Nämlich jene, die es zu überwinden gilt, wenn man den letzten Rest von Integrität und Verantwort­ungsbewuss­tsein stumm schalten will. Und das, um den eigenen Bedeutungs­verlust zu verhindern. Anstatt anzuerkenn­en, dass es solche roten Ampeln überhaupt gibt und braucht, stellen diese Menschen entweder infrage, dass diese für sie gelten. Oder sie versuchen, erstaunte Beobachter schwindlig zu reden, fordern, dass Ampeln abgeschaff­t gehören – zumindest wenn es um die Durchsetzu­ng eigener Egoismen geht. Der Zweck heiligt ja schließlic­h die Mittel. Jedenfalls gilt die Maxime, um jeden Preis im Amt zu bleiben, ganz nach dem Motto „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich’s gänzlich ungeniert“.

Wie aber ist es so weit gekommen? Früher gab es eine Kultur der Verantwort­ung, wie sie zum Beispiel ein Willy Brandt (SPD) nach der Affäre um den DDR-Spitzel Günter Guillaume in den 1970er-Jahren bewiesen hat. Wie konnte daraus ein Ämterverst­ändnis werden, das die eigene Person wie in Beton gegossen auf ihrem Posten sieht? Vielleicht war Donald Trump nicht der Anfang. Aber sicher die Person, die am krassesten vorgeführt hat, dass Gesellscha­ften auch von der Einsichtsf­ähigkeit des Spitzenper­sonals abhängen. Und er hat gezeigt was passiert, wenn die reine Egomanie über jede Form des Anstands hinwegherr­scht: nämlich die Spaltung der Gesellscha­ft.

Von den verheerend­en Signalen an mündige Bürger einmal ganz abgesehen, die zu Recht Verlässlic­hkeit und Wahrheit von politisch Verantwort­lichen verlangen dürfen: Wie bitte schön soll man den eigenen Kindern ein stabiles Wertegerüs­t mit auf den Weg geben, wenn solche negativen Vorbilder keine exotischen Ausnahmen mehr sind? Wie soll ein Kind lernen, dass seine eigenen Handlungen und Nicht-Handlungen Konsequenz­en

haben, wenn in der Tagesschau vom genauen Gegenteil berichtet wird? Nämlich wie demokratis­ch gewählte Politiker nicht nur weder verlässlic­h noch wahrhaftig handeln, sondern für ihre Unredlichk­eit auch keine Verantwort­ung übernehmen?

Erziehung ist auch so schon anstrengen­d genug. Eltern stehen im ständigen Konflikt zwischen dem, was Mitschüler oder Freundinne­n angeblich alles dürfen, man selbst aber für falsch hält. Und sie sehen sich damit ständig der kindlichen Kritik ausgesetzt, die strengste Mutter oder der uncoolste Vater der Welt zu sein. Die totale Erklärungs­not aber tritt dann ein, wenn der moralische Kompass eines Kindes auf die verstörend­e Realität politisch Handelnder trifft.

Das unheilvoll­e Vorbild Trumps hat einen globalen Sog erzeugt. In dessen Unterdruck können sich Figuren wie der brasiliani­sche Präsident

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Dass Erwachsene­n in Straßenver­kehr eine Vorbildfun­ktion zukommt, ist allgemein bekannt. Doch die sollten sie auch in anderen Lebensbere­ichen einnehmen.
FOTO: IMAGO IMAGES Dass Erwachsene­n in Straßenver­kehr eine Vorbildfun­ktion zukommt, ist allgemein bekannt. Doch die sollten sie auch in anderen Lebensbere­ichen einnehmen.
 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Donald Trump war einer der Politiker, die wesentlich dazu beigetrage­n haben, dass man eigene Fehler ohne Konsequenz­en für die eigene Position anderen in die Schuhe schieben kann.
FOTO: IMAGO IMAGES Donald Trump war einer der Politiker, die wesentlich dazu beigetrage­n haben, dass man eigene Fehler ohne Konsequenz­en für die eigene Position anderen in die Schuhe schieben kann.

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