In Amt, doch ohne Würden
Ich habe einen schweren Fehler gemacht, den ich zutiefst bereue. Aber auch wenn ich ihn bereue, und mir alle Vorwürfe, die in dieser Situation berechtigterweise zu machen sind, immer wieder selbst gemacht habe, kann ich nicht mit der notwendigen Autorität im Amt bleiben.“Diese Sätze stammen von Margot Käßmann. Ihre Verfehlung war nicht, wie der bald gewesene Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer 560 Millionen Euro in einer Maut-Affäre leichtfertig zu verpulvern. Die Sünde von Käßmann war es auch nicht, wie Donald Trump die USA wegen narzisstischer Egoismen fast aus der westlichen Wertegemeinschaft zu katapultieren. Auch stapelten sich auf ihrem Schreibtisch keine Ordner der Staatsanwaltschaften mit Korruptionsvorwürfen, wie jüngst bei Österreichs Ex-Kanzler Sebastian Kurz. Bei seinem erzwungenen Rücktritt war er eher bereit, die Arbeit aller Institutionen seines eigenen Landes zu diskreditieren als ehrlich zu sein. Nein, Margot Käßmann trat 2010 wegen einer Trunkenheitsfahrt als Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche zurück. Und einer überfahrenen roten Ampel. Heute aus der Distanz betrachtet geradezu niedlich.
Die vorgenannten Personen aus der Politik haben allesamt ebenfalls rote Ampeln überfahren. Nämlich jene, die es zu überwinden gilt, wenn man den letzten Rest von Integrität und Verantwortungsbewusstsein stumm schalten will. Und das, um den eigenen Bedeutungsverlust zu verhindern. Anstatt anzuerkennen, dass es solche roten Ampeln überhaupt gibt und braucht, stellen diese Menschen entweder infrage, dass diese für sie gelten. Oder sie versuchen, erstaunte Beobachter schwindlig zu reden, fordern, dass Ampeln abgeschafft gehören – zumindest wenn es um die Durchsetzung eigener Egoismen geht. Der Zweck heiligt ja schließlich die Mittel. Jedenfalls gilt die Maxime, um jeden Preis im Amt zu bleiben, ganz nach dem Motto „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich’s gänzlich ungeniert“.
Wie aber ist es so weit gekommen? Früher gab es eine Kultur der Verantwortung, wie sie zum Beispiel ein Willy Brandt (SPD) nach der Affäre um den DDR-Spitzel Günter Guillaume in den 1970er-Jahren bewiesen hat. Wie konnte daraus ein Ämterverständnis werden, das die eigene Person wie in Beton gegossen auf ihrem Posten sieht? Vielleicht war Donald Trump nicht der Anfang. Aber sicher die Person, die am krassesten vorgeführt hat, dass Gesellschaften auch von der Einsichtsfähigkeit des Spitzenpersonals abhängen. Und er hat gezeigt was passiert, wenn die reine Egomanie über jede Form des Anstands hinwegherrscht: nämlich die Spaltung der Gesellschaft.
Von den verheerenden Signalen an mündige Bürger einmal ganz abgesehen, die zu Recht Verlässlichkeit und Wahrheit von politisch Verantwortlichen verlangen dürfen: Wie bitte schön soll man den eigenen Kindern ein stabiles Wertegerüst mit auf den Weg geben, wenn solche negativen Vorbilder keine exotischen Ausnahmen mehr sind? Wie soll ein Kind lernen, dass seine eigenen Handlungen und Nicht-Handlungen Konsequenzen
haben, wenn in der Tagesschau vom genauen Gegenteil berichtet wird? Nämlich wie demokratisch gewählte Politiker nicht nur weder verlässlich noch wahrhaftig handeln, sondern für ihre Unredlichkeit auch keine Verantwortung übernehmen?
Erziehung ist auch so schon anstrengend genug. Eltern stehen im ständigen Konflikt zwischen dem, was Mitschüler oder Freundinnen angeblich alles dürfen, man selbst aber für falsch hält. Und sie sehen sich damit ständig der kindlichen Kritik ausgesetzt, die strengste Mutter oder der uncoolste Vater der Welt zu sein. Die totale Erklärungsnot aber tritt dann ein, wenn der moralische Kompass eines Kindes auf die verstörende Realität politisch Handelnder trifft.
Das unheilvolle Vorbild Trumps hat einen globalen Sog erzeugt. In dessen Unterdruck können sich Figuren wie der brasilianische Präsident