Kindheitsglück
„Kultprodukte“sind ein Stück Heimat – Eine Ausstellung zeigt, wie sich die alten Marken in unsere Herzen geschlichen haben
Vielleicht sollte man sie einfach mal wieder probieren, die gute alte Ahoj-Brause mit Zitronengeschmack, die die Zunge so herrlich kitzelte. Man könnte auch wie einst auf Klassenfahrt mal wieder den angespitzten Strohhalm in die Capri-Sonne rammen und schmatzend süße Limo schlürfen. Aber wer weiß – vielleicht ist es auch besser, die schönen Erinnerungen nicht mehr anzutasten. Womöglich müsste man enttäuscht feststellen, dass die Wirklichkeit hier zu süß und dort zu sauer schmeckt. Plötzlich bekäme das Glück aus Kindertagen Kratzer.
Früher war alles besser. Das zumindest lassen uns die nostalgischen Gefühle glauben, die bei den meisten Menschen hochgespült werden, wenn sie sich an ihre Kindheit erinnern. Studien behaupten, dass man sich mindestens einmal pro Woche nostalgischen Erinnerungen hingibt, im Alter sogar noch häufiger. Woran liegt es aber, dass wir so wohlig und wehmütig in den alten Zeiten schwelgen und manches im Rückblick glänzender wirkt, als es vielleicht war?
Bei einem Besuch im Museum im Kleihues-Bau in Kornwestheim kann man nun bestens die eigenen Empfindungen studieren und Erklärungen finden, warum das Abtauchen in die Vergangenheit so schön ist. Denn in der Ausstellung „Helden des Südwestens“ist Nostalgie im Übermaß garantiert. Gezeigt werden Kultprodukte und Werbeikonen aus Baden-Württemberg – und viele davon haben sich auf süße Weise in die Herzen ganzer Generationen eingeschlichen. Pustefix zum Beispiel, die blaue Dose mit dem gelben Bärchen, brachte Freuden in Kindertage mit schillernd-schönen Seifenblasen.
Für die Ausstellung wurden viele Dinge zusammengetragen, die wichtig für den Wirtschaftsstandort waren und den Wohlstand des Landes förderten, und doch viel mehr als nur schnöde Produkte waren. Denn ob es die Maggi-Würze in der typischen Flasche ist oder die Dose mit Caro-Kaffee, beim Rundgang werden unmittelbar Erinnerungen wach an vertraute Gerüche und Geschmäcker,
an den Küchenschrank, in dem eben diese Caro-Dose vielleicht einst stand.
Auch Äffle und Pferdle aus dem SWR-Werbefernsehen haben sich auf vielerlei Weise ins Leben geschlichen, wie Kaffeebecher, Frühstücksbrettchen und die kleinen Figuren in der Ausstellung zeigen – heute würde man von Merchandising-Produkten sprechen. „Kannst du geschwind halten?“fragt das Äffle in einem Zeichentrickfilm, als es mit dem Pferd im Flugzeug durch die Luft fliegt. Warum, will das Pferdle wissen – „I muss mal“. Verständlich, dass man sich gern an diese kleinen, harmlosen und lustigen Filme erinnert, die eine willkommene Ablenkung im Alltag boten.
Aber es können auch ganz profane und praktische Objekte sein, die nostalgische Gefühle verschaffen, wenn sie emotional aufgeladen waren. Die Kreidler zum Beispiel wurde zum Traum vieler junger Burschen und durchaus auch älterer Männer, weil sie Sehnsüchte nach Freiheit und Abenteuer schürte und plötzlich eine ungekannte Unabhängigkeit verschaffte. 1899 wurde die Firma Kreidler in Stuttgart-Heslach gegründet, 15 Jahre später zog man nach Kornwestheim. Den großen Durchbruch hatte man Ende der Sechzigerjahre mit der Florett, die sofort die Herzen – und Märkte – eroberte. Die emotionale Bindung wurde durch die Werbung gezielt forciert, indem man den braven Zweitakter mit dem Rennsport in Verbindung brachte. Selbst wenn der Lehrling nur kurz mit dem Moped zum Bäcker fuhr, fühlte er sich nun insgeheim wie ein Rennfahrer.
Das bindet an Marken und Gegenstände, denn positive Gefühle prägen sich dem menschlichen Gedächtnis besser ein als langweilige Erlebnisse. Da das Gehirn das Abgespeicherte allerdings auch immer wieder umschichtet und neu interpretiert, erlangen manche Erinnerungen im Nachhinein stärkere Bedeutung als sie ursprünglich hatten.
Die Begegnung mit der eigenen Vergangenheit in der Ausstellung verrät aber auch, dass Marken und Produkte nicht nur mit der Identität verknüpft sind, sondern auch ein Gefühl der Zugehörigkeit verschaffen können und mit anderen Menschen verbinden, wenn diese zum Beispiel auch Kreidler – und nicht Puch – fuhren oder Caro-Kaffee auch nie mochten. Kollektive Erinnerungen tun gut, das spürt man immer dann, wenn man enttäuscht feststellen muss, dass Jüngere oder Menschen anderer Herkunft sie nicht mehr teilen und noch nie etwas von Tipp-Kick gehört haben.
Heute mögen Unternehmen Psychologen beschäftigen, die wissen, wie man Menschen emotional bindet. Aber manipulatives Marketing ist keineswegs eine neue Erfindung, wie die Sektion zu Salamander in der Ausstellung zeigt. Der Schuhhersteller war lange Zeit das wichtigste Unternehmen in Kornwestheim. Bis heute ist Lurchi, der fröhliche Salamander mit den großen Schuhen vielen im Gedächtnis. Das war das Ergebnis einer aufwendigen Werbestrategie. Denn Lurchi traf man nicht nur im Schuhgeschäft oder konnte mit ihm auf einer elektrischen Wippe reiten, Lurchis gezeichneten Abenteuer gab es auch als Bücher und Brettspiel. Die Akteure dieser Bildergeschichten wanderten zudem als Puppen und Figuren in die Kinderzimmer.
Die Marke Salamander wurde damit zu einer Art pädagogischem Mitakteur in der Entwicklung der Kinder, die mit Lurchi spielten, lesen übten und reiften. En passant wurden positive Werbebotschaften platziert. „Glück zu im Salamander-Schuh!“hieß etwa das Lurchi-Würfelspiel. Solcherlei offenes oder verstecktes Product Placement kann man einerseits kritisieren, andererseits war es auch eine gesellschaftliche Errungenschaft, die Bedürfnisse und Wünsche der Kinder stärker zu berücksichtigen. Dass Margarete Steiff Stofftiere nähte und schön weich polsterte, war durchaus auch Ausdruck eines neuen Bewusstseins für die Seele des Kindes. Der TeddyBären mit dem Knopf im Ohr war nicht nur ein Verkaufsschlager der Firma des tüchtigen „Fräuleins Margarete Steiff“, sondern für die meisten Kinder vor allem Freund und Seelentröster in Einsamkeit und dunkler Nacht.
In der Ausstellung im Kleihues-Bau ist auch ein Puppenkaufmannsladen aufgebaut, der bewusst macht, dass nostalgische Gefühle keineswegs nur mit freundlichen, fröhlichen und lieb gewonnen Produkten der Kindheit zu tun haben. Denn eine emotionale Bindung wird wohl kaum ein Kind aufgebaut haben zu den kleinen Pappschachteln mit Sunlicht-Seife – auch wenn es sich wahrscheinlich größer fühlte, wenn es Spielgeld in seine Kasse schaufelte und damit imitierte, was die Erwachsenen beim Kaufmann tun.
Offenbar weckt auch die reine Ästhetik Nostalgie, was man an den altmodischen Schachteln und Dosen bestens nachfühlen kann. Denn sie wecken das angenehme Gefühl, vertraut zu sein. Sie wirken wie ein Anker in der Gegenwart. Die Welt wartet mit steten Veränderungen auf und auch die Werbung versucht uns marktschreierisch herauszufordern mit immer neuen Reizen. An die alten Designs ist man dagegen gewöhnt, sodass sie uns nicht mehr attackieren, sondern eher beruhigend wirken.
Auch das macht Nostalgie so angenehm, dass sie an Produkte und Erlebnisse geknüpft ist, die wie ein Stück Heimat wirken. Lurchi, Birkel-Nudeln oder Maggi-Würze sind vertraut wie alte Freunde, wir haben sozusagen Kontrolle über sie erlangt und unser Gehirn hat sie als erledigt abgespeichert und einsortiert. So ist es einfach auch bequem und inmitten des steten und anstrengenden Fortschritts durchaus erholsam, sich manchmal an die gute alte Zeit zu erinnern, selbst wenn sie gar nicht so gut gewesen sein mag.