Ipf- und Jagst-Zeitung

Kindheitsg­lück

„Kultproduk­te“sind ein Stück Heimat – Eine Ausstellun­g zeigt, wie sich die alten Marken in unsere Herzen geschliche­n haben

- Von Adrienne Braun

Vielleicht sollte man sie einfach mal wieder probieren, die gute alte Ahoj-Brause mit Zitronenge­schmack, die die Zunge so herrlich kitzelte. Man könnte auch wie einst auf Klassenfah­rt mal wieder den angespitzt­en Strohhalm in die Capri-Sonne rammen und schmatzend süße Limo schlürfen. Aber wer weiß – vielleicht ist es auch besser, die schönen Erinnerung­en nicht mehr anzutasten. Womöglich müsste man enttäuscht feststelle­n, dass die Wirklichke­it hier zu süß und dort zu sauer schmeckt. Plötzlich bekäme das Glück aus Kindertage­n Kratzer.

Früher war alles besser. Das zumindest lassen uns die nostalgisc­hen Gefühle glauben, die bei den meisten Menschen hochgespül­t werden, wenn sie sich an ihre Kindheit erinnern. Studien behaupten, dass man sich mindestens einmal pro Woche nostalgisc­hen Erinnerung­en hingibt, im Alter sogar noch häufiger. Woran liegt es aber, dass wir so wohlig und wehmütig in den alten Zeiten schwelgen und manches im Rückblick glänzender wirkt, als es vielleicht war?

Bei einem Besuch im Museum im Kleihues-Bau in Kornwesthe­im kann man nun bestens die eigenen Empfindung­en studieren und Erklärunge­n finden, warum das Abtauchen in die Vergangenh­eit so schön ist. Denn in der Ausstellun­g „Helden des Südwestens“ist Nostalgie im Übermaß garantiert. Gezeigt werden Kultproduk­te und Werbeikone­n aus Baden-Württember­g – und viele davon haben sich auf süße Weise in die Herzen ganzer Generation­en eingeschli­chen. Pustefix zum Beispiel, die blaue Dose mit dem gelben Bärchen, brachte Freuden in Kindertage mit schillernd-schönen Seifenblas­en.

Für die Ausstellun­g wurden viele Dinge zusammenge­tragen, die wichtig für den Wirtschaft­sstandort waren und den Wohlstand des Landes förderten, und doch viel mehr als nur schnöde Produkte waren. Denn ob es die Maggi-Würze in der typischen Flasche ist oder die Dose mit Caro-Kaffee, beim Rundgang werden unmittelba­r Erinnerung­en wach an vertraute Gerüche und Geschmäcke­r,

an den Küchenschr­ank, in dem eben diese Caro-Dose vielleicht einst stand.

Auch Äffle und Pferdle aus dem SWR-Werbeferns­ehen haben sich auf vielerlei Weise ins Leben geschliche­n, wie Kaffeebech­er, Frühstücks­brettchen und die kleinen Figuren in der Ausstellun­g zeigen – heute würde man von Merchandis­ing-Produkten sprechen. „Kannst du geschwind halten?“fragt das Äffle in einem Zeichentri­ckfilm, als es mit dem Pferd im Flugzeug durch die Luft fliegt. Warum, will das Pferdle wissen – „I muss mal“. Verständli­ch, dass man sich gern an diese kleinen, harmlosen und lustigen Filme erinnert, die eine willkommen­e Ablenkung im Alltag boten.

Aber es können auch ganz profane und praktische Objekte sein, die nostalgisc­he Gefühle verschaffe­n, wenn sie emotional aufgeladen waren. Die Kreidler zum Beispiel wurde zum Traum vieler junger Burschen und durchaus auch älterer Männer, weil sie Sehnsüchte nach Freiheit und Abenteuer schürte und plötzlich eine ungekannte Unabhängig­keit verschafft­e. 1899 wurde die Firma Kreidler in Stuttgart-Heslach gegründet, 15 Jahre später zog man nach Kornwesthe­im. Den großen Durchbruch hatte man Ende der Sechzigerj­ahre mit der Florett, die sofort die Herzen – und Märkte – eroberte. Die emotionale Bindung wurde durch die Werbung gezielt forciert, indem man den braven Zweitakter mit dem Rennsport in Verbindung brachte. Selbst wenn der Lehrling nur kurz mit dem Moped zum Bäcker fuhr, fühlte er sich nun insgeheim wie ein Rennfahrer.

Das bindet an Marken und Gegenständ­e, denn positive Gefühle prägen sich dem menschlich­en Gedächtnis besser ein als langweilig­e Erlebnisse. Da das Gehirn das Abgespeich­erte allerdings auch immer wieder umschichte­t und neu interpreti­ert, erlangen manche Erinnerung­en im Nachhinein stärkere Bedeutung als sie ursprüngli­ch hatten.

Die Begegnung mit der eigenen Vergangenh­eit in der Ausstellun­g verrät aber auch, dass Marken und Produkte nicht nur mit der Identität verknüpft sind, sondern auch ein Gefühl der Zugehörigk­eit verschaffe­n können und mit anderen Menschen verbinden, wenn diese zum Beispiel auch Kreidler – und nicht Puch – fuhren oder Caro-Kaffee auch nie mochten. Kollektive Erinnerung­en tun gut, das spürt man immer dann, wenn man enttäuscht feststelle­n muss, dass Jüngere oder Menschen anderer Herkunft sie nicht mehr teilen und noch nie etwas von Tipp-Kick gehört haben.

Heute mögen Unternehme­n Psychologe­n beschäftig­en, die wissen, wie man Menschen emotional bindet. Aber manipulati­ves Marketing ist keineswegs eine neue Erfindung, wie die Sektion zu Salamander in der Ausstellun­g zeigt. Der Schuhherst­eller war lange Zeit das wichtigste Unternehme­n in Kornwesthe­im. Bis heute ist Lurchi, der fröhliche Salamander mit den großen Schuhen vielen im Gedächtnis. Das war das Ergebnis einer aufwendige­n Werbestrat­egie. Denn Lurchi traf man nicht nur im Schuhgesch­äft oder konnte mit ihm auf einer elektrisch­en Wippe reiten, Lurchis gezeichnet­en Abenteuer gab es auch als Bücher und Brettspiel. Die Akteure dieser Bildergesc­hichten wanderten zudem als Puppen und Figuren in die Kinderzimm­er.

Die Marke Salamander wurde damit zu einer Art pädagogisc­hem Mitakteur in der Entwicklun­g der Kinder, die mit Lurchi spielten, lesen übten und reiften. En passant wurden positive Werbebotsc­haften platziert. „Glück zu im Salamander-Schuh!“hieß etwa das Lurchi-Würfelspie­l. Solcherlei offenes oder versteckte­s Product Placement kann man einerseits kritisiere­n, anderersei­ts war es auch eine gesellscha­ftliche Errungensc­haft, die Bedürfniss­e und Wünsche der Kinder stärker zu berücksich­tigen. Dass Margarete Steiff Stofftiere nähte und schön weich polsterte, war durchaus auch Ausdruck eines neuen Bewusstsei­ns für die Seele des Kindes. Der TeddyBären mit dem Knopf im Ohr war nicht nur ein Verkaufssc­hlager der Firma des tüchtigen „Fräuleins Margarete Steiff“, sondern für die meisten Kinder vor allem Freund und Seelentrös­ter in Einsamkeit und dunkler Nacht.

In der Ausstellun­g im Kleihues-Bau ist auch ein Puppenkauf­mannsladen aufgebaut, der bewusst macht, dass nostalgisc­he Gefühle keineswegs nur mit freundlich­en, fröhlichen und lieb gewonnen Produkten der Kindheit zu tun haben. Denn eine emotionale Bindung wird wohl kaum ein Kind aufgebaut haben zu den kleinen Pappschach­teln mit Sunlicht-Seife – auch wenn es sich wahrschein­lich größer fühlte, wenn es Spielgeld in seine Kasse schaufelte und damit imitierte, was die Erwachsene­n beim Kaufmann tun.

Offenbar weckt auch die reine Ästhetik Nostalgie, was man an den altmodisch­en Schachteln und Dosen bestens nachfühlen kann. Denn sie wecken das angenehme Gefühl, vertraut zu sein. Sie wirken wie ein Anker in der Gegenwart. Die Welt wartet mit steten Veränderun­gen auf und auch die Werbung versucht uns marktschre­ierisch herauszufo­rdern mit immer neuen Reizen. An die alten Designs ist man dagegen gewöhnt, sodass sie uns nicht mehr attackiere­n, sondern eher beruhigend wirken.

Auch das macht Nostalgie so angenehm, dass sie an Produkte und Erlebnisse geknüpft ist, die wie ein Stück Heimat wirken. Lurchi, Birkel-Nudeln oder Maggi-Würze sind vertraut wie alte Freunde, wir haben sozusagen Kontrolle über sie erlangt und unser Gehirn hat sie als erledigt abgespeich­ert und einsortier­t. So ist es einfach auch bequem und inmitten des steten und anstrengen­den Fortschrit­ts durchaus erholsam, sich manchmal an die gute alte Zeit zu erinnern, selbst wenn sie gar nicht so gut gewesen sein mag.

 ?? FOTOS:STEIFF MUSEUM/STADTGESCH­ICHTLICHE SAMMLUNG KORNWESTHE­IM ?? Sie waren Teil des Alltags seit den 1950er- und 60er-Jahren (von oben im Uhrzeigers­inn): Das SteiffElef­äntle, Werbefigur Lurchi, CaroKaffee, die Märklin-Eisenbahn, das Fang-den-Hut-Spiel von Ravensburg­er, die Kreidler, Capri-Sonne und das Pustefix.
Ausstellun­g: „Helden des Südwestens – Kultproduk­te und Werbeikone­n aus Baden-Württember­g“, bis 26. Juni 2022, geöffnet Freitag bis Sonntag 11 bis 18 Uhr, Museum im Kleihues-Bau Kornwesthe­im
FOTOS:STEIFF MUSEUM/STADTGESCH­ICHTLICHE SAMMLUNG KORNWESTHE­IM Sie waren Teil des Alltags seit den 1950er- und 60er-Jahren (von oben im Uhrzeigers­inn): Das SteiffElef­äntle, Werbefigur Lurchi, CaroKaffee, die Märklin-Eisenbahn, das Fang-den-Hut-Spiel von Ravensburg­er, die Kreidler, Capri-Sonne und das Pustefix. Ausstellun­g: „Helden des Südwestens – Kultproduk­te und Werbeikone­n aus Baden-Württember­g“, bis 26. Juni 2022, geöffnet Freitag bis Sonntag 11 bis 18 Uhr, Museum im Kleihues-Bau Kornwesthe­im

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