Länger leben mit Kraut und Kimchi
Fermentierte Nahrungsmittel stehen derzeit hoch im Kurs – Eine US-Studie belegt nun auch die entzündungshemmende und gesundheitsfördernde Wirkung
Verfault und ungenießbar – wenn Bakterien auf oder in unseren Nahrungsmitteln sind, bedeutet das meistens nichts Gutes. Es sei denn, es sind die richtigen. Das kann nämlich, so das Ergebnis einer aktuellen Studie aus den USA, eine wirkungsvolle Strategie zur Vorbeugung von Alzheimer, Rheuma und Infarkten sein.
Ein Forscherteam der Stanford University in Kalifornien setzte 39 gesunde Versuchspersonen zehn Wochen lang auf zwei unterschiedliche Diäten: auf der einen Seite eine ballaststoffreiche Kost mit viel Vollkorn, Gemüse, Hülsenfrüchten, Nüssen und Samen; und andererseits einem Speiseplan, dessen Schwerpunkt auf vergorenen beziehungsweise fermentierten Lebensmitteln wie Joghurt, Kefir, Hüttenkäse, Sauerkraut, Kombucha-Tee und dem aus Korea stammenden Kimchi lag. Während und auch noch bis vier Wochen nach der Diät wurden Blut- und Stuhlproben der Probanden genommen, um mehr über ihr Immunsystem und die Zusammensetzung ihrer Darmflora zu erfahren.
„Von Ballaststoffen ist mittlerweile bekannt, dass sie – in Abhängigkeit von ihrer Dosierung – vor vielen Krankheiten schützen und die Sterberate senken“, betont Studienleiter Justin Sonnenburg. Das heißt: Die pflanzlichen Fasern zählen schon länger zu den etablierten Stars in der Ernährungslandschaft, so wie Vitamine und Mineralien. Die fermentierten Lebensmittel gelten demgegenüber eher noch als Talente: Die Wissenschaft traut ihnen einiges zu, wegen der in ihnen enthaltenen Milchsäurebakterien, die sich günstig auf unser Darmmilieu auswirken könnten. Doch man ist nicht sicher, inwieweit es die zugeführte Mikrobenschar bis zum Darm schafft und sich dort gegenüber der alteingesessenen Flora durchsetzen kann.
Umso überraschter waren Sonnenburg und sein Team über die Ergebnisse ihrer Studie. Denn die ballaststoffreiche Diät zeigte darin nur wenig Einfluss auf das Immunsystem und praktisch keinen Effekt auf die Darmflora. „Vielleicht waren dafür die zehn Wochen einfach zu kurz“, betont Sonnenburg, um deutlich zu machen, dass man die gesundheitsfördernden Effekte der Ballaststoffe keineswegs in Abrede stellt. Bei der fermentierten Kost freilich reichten die zweieinhalb Monate aus: Sie sorgte nicht nur für mehr bakterielle Vielfalt im Darm, was allgemein als gesundheitsfördernd eingeschätzt wird. Sondern auch für eine deutliche Besserung in den Immunparametern. So präsentierten sich vier Immunzellen-Typen, die bei chronischen Erkrankungen gerne durch Hyperaktivität auffallen, deutlich zurückhaltender als zuvor. Auch von den 93 gemessenen Entzündungsbotenstoffen hatten 19 den Rückwärtsgang eingelegt. Einer von ihnen: Interleukin-6. Von ihm ist bekannt, dass er bei schweren chronischen Erkrankungen wie Arteriosklerose, Alzheimer und Rheuma mitspielt. Fermentierte Nahrungsmittel könnten also vor diesen Erkrankungen schützen.
Hinzu kommt, dass sie, wie die Forscher herausgefunden haben, die Darmflora und damit auch das Immunsystem
durchaus nachhaltig beeinflussen können. Die mit der Fermento-Diät zugeführten Bakterien sind also offenbar stark genug, sich längerfristig im Darmmikrobiom durchzusetzen.
Wobei sie vielleicht gar nicht der Hauptgrund dafür sind, dass fermentierte Nahrungsmittel so gesund sind. Denn zu ihnen zählen nicht nur Joghurt, Buttermilch und andere saure Milchprodukte, sondern auch – und sie wurden auch von der Stanford-Studie
ausdrücklich berücksichtigt – vergorenes Gemüse wie Sauerkraut oder Kimchi aus Korea, das aus Chinakohl besteht. Und darin befindet sich infolge der bakteriellen Zersetzung ein Stoff namens Spermidin, der ein großes AntiAging-Potenzial besitzt.
Entdeckt wurde er 1632 von dem holländischen Mikroskopiker Antoni van Leeuwenhoek in der menschlichen Samenflüssigkeit, was ihm seinen eigentümlichen Namen einbrachte. Mittlerweile weiß man jedoch, dass Spermidin in praktisch allen Zellen vorkommen und dort die so genannte Autophagie in Gang setzen kann. Dabei handelt es sich um einen Selbstreinigungsprozess, in dessen Verlauf zellinterner Schrott wie etwa kaputte Mitochondrien oder fehlgefaltete Eiweiße verdaut werden. Ausgelöst wird er durch Fasten und Nahrungsentzug – und eben durch Spermidin, das die Zelle glauben lässt, dass es nicht genug zu essen gibt und sie deshalb auf Autophagie umstellen muss.
Es liegt auf der Hand, dass solch eine Substanz zur Aktivierung der zellulären Selbstreinigung vor altersbedingten Krankheiten schützen könnte. Und tatsächlich liefern aktuelle Studien deutliche Hinweise darauf. Ein Forscherteam der Fachhochschule Wiener Neustadt verbesserte die kognitiven Leistungen von dementen Senioren, indem man ihr Frühstücksgebäck mit Spermidin anreicherte, und ein internationales Forscherteam um Guido Kroemer von der Universität Paris Descartes ermittelte, dass mehr als 11,7 Milligramm Spermidin täglich einen Überlebensvorteil von rund fünf Jahren bringen. Um diese Menge zu erreichen, können Sauerkraut mit knapp fünf und Kimchi mit bis zu neun Milligramm auf 100 Gramm sehr hilfreich sein.