Klimaschutz als Mammutaufgabe
Bisons, Rentiere und Elche kehren zurück – Wie ein Pleistozän-Park im hohen Norden Sibiriens den Dauerfrostboden vor dem Auftauen bewahren soll
Der Unterschied sticht sofort ins Auge. Die Tundra des hohen Nordens weit im Osten Sibiriens macht mit ihren gelblich-braunen Farbtönen einen recht kargen Eindruck, während nicht weit davon Moschusochsen, Pferde, Elche, Bisons, Rentiere und sogar Kamele auf einem saftig-grünen Grasland weiden. „Mit dieser grünen Savanne kehrt eine für die Eiszeit typische Landschaft in den hohen Norden zurück, auf der vor etlichen Jahrtausenden Mammuts und andere große Säugetiere lebten“, erklärt Martin Heimann vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena. „Obendrein bewahrt diese Mammutsteppe den darunter liegenden Dauerfrostboden vor dem Auftauen im Klimawandel und entpuppt sich so als eine relativ preiswerte Klimaschutz-Maßnahme.“
Sergej Zimov und sein Sohn Nikita von der Russischen Akademie der Wissenschaften holen diese mit der Eiszeit und den Mammuts verschwundene Landschaft am KolymaFluss ein wenig südlich der Kleinstadt Tscherski seit 1988 in einem 160 Quadratkilometer großen „Pleistozän-Park“wieder zurück. Martin Heimann wiederum arbeitet mit den beiden bereits seit zwanzig Jahren zusammen und untersucht die jeweiligen Einflüsse der heutigen Tundra und der einstigen Mammut-Steppe auf den Dauerfrostboden und das Klima.
Die Forscher haben triftige Gründe für ihr Engagement: Diese im Sommer saftig grüne und im Winter eisig kalte Savanne, auf der in der Eiszeit ähnlich viele große Säugetiere wie heute in der Serengeti Ostafrikas weideten, war seit 2,6 Millionen Jahren eine der ausgedehntesten Landschaften der Erde: Vor den mächtigen Eisschilden über den Norden Europas und Amerikas erstreckte sich Mammutsteppe von der iberischen Halbinsel bis nach Nordamerika fast rund um den Globus. Das Ende dieser Pleistozän genannten Epoche nahte, als vor mehr als zehntausend Jahren immer häufiger Menschen mit Speeren und anderen Waffen auftauchten. Sie jagten die großen Säugetiere so lange, bis einige Arten wie die Mammuts völlig ausstarben, während andere wie Wildpferde massiv dezimiert wurden.
Das Verschwinden der Giganten aber veränderte die Landschaft und das Klima enorm. In der Eiszeit war die Mammutsteppe ein äußerst produktives Ökosystem, das riesige Herden ernähren konnte. Auf einer gerade einmal einen Kilometer langen und ebenso breiten Fläche der Mammutsteppe am Kolyma-Fluss lebten in der Eiszeit 15 Rentiere, sieben oder acht Wildpferde, fünf Bisons und ein Mammut, rechnen Marc MaciasFauria von der Universität im englischen Oxford und seine Kollegen aus den dort gefundenen Fossilien aus. Dazu kamen noch Wollnashörner, Elche und natürlich auch Raubtiere wie Wölfe und Höhlenlöwen. Heute finden sich vergleichbare Dichten von wilden Tieren nur noch in Savannen-Schutzgebieten wie der Serengeti im Osten Afrikas.
Als am Ende der Eiszeit die Jäger und Sammler der Steinzeit die riesigen Herden auf den Savannen des Nordens massiv dezimierten und Arten wie die Mammuts und Wollnashörner völlig ausrotteten, brach dieses Ökosystem schlicht zusammen. Nach 2,6 Millionen Jahren blieb von der üppigen Mammutsteppe nichts mehr übrig. Im hohen Norden wurde sie durch eine karge Tundra ersetzt, auf der statt vieler Gräser und Kräuter jetzt reichlich Moose, Flechten und Zwergsträucher wachsen. Und auch von den riesigen Tierherden blieben nur Rentiere und Elche übrig, auf der gleichen Fläche weiden heute nicht einmal mehr ein Prozent der Tiere, die einst dort lebten.
Dieser Wechsel aber beeinflusst auch das Klima. So liegt der hohe Norden zwar nach wie vor acht Monate und länger unter einer dicken Schneedecke. Nur war die Mammutsteppe der Eiszeit blendend weiß und strahlte daher die Sonnenwärme fast vollständig in den Himmel zurück. „Heute dagegen ragen vor allem im Herbst und Frühling die Zwergsträucher aus dem Schnee heraus und ihre dunkle Farbe nimmt viel mehr Sonnenenergie als der Schnee auf “, erklärt Martin Heimann. Die Tundra wird also wärmer und der Klimawandel beschleunigt diese Entwicklung weiter.
Weil die Tundra kalte Füße hat, könnte das fatale Konsequenzen haben. Der Boden darunter ist dauerhaft gefroren, in Sibirien reicht dieser Permafrost mancherorts bis in 1500 Meter Tiefe. Seit jeher taut dieser Dauerfrostboden im Sommer an der Oberfläche einige Dezimeter tief auf. Da der Klimawandel die arktischen Breiten viel stärker als zum Beispiel Mitteleuropa aufwärmt, erreicht dieser „active layer“inzwischen deutlich größere Tiefen. Wenn der Boden auch noch unterschiedlich tief auftaut, beginnen die darauf stehenden Häuser zu kippen, Straßen, Schienen und Pipelines sind gefährdet.
Obendrein konserviert der Permafrost riesige Mengen an Überresten von Pflanzen, die in sehr vielen Jahrtausenden auf der Mammutsteppe gewachsen waren. Da in diesen Resten das Kohlendioxid steckt, das die Gewächse einst aus der Luft geholt haben, ist in den Permafrostböden wie in einer riesigen Tiefkühltruhe mit 1600 Milliarden Tonnen rund doppelt so viel Kohlenstoff eingefroren wie in der gesamten Atmosphäre als Treibhausgas schwebt. Taut die Oberfläche auf, zersetzen Mikroorganismen diese Überreste aus vergangenen Zeiten und der einst gespeicherte Kohlenstoff blubbert in Form der Treibhausgase Kohlendioxid, Methan und Lachgas aus dem Boden und heizt das Klima auf. So entsteht ein Teufelskreis, weil die steigenden Temperaturen den Dauerfrost tiefer auftauen, dadurch mehr Treibhausgase freiwerden und die Temperaturen weiter steigen.
Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, wollen Sergej Zimov und sein Sohn Nikita die einstige Mammutsteppe wieder zum Leben erwecken. Dazu holen sie Moschusochsen von der Wrangel-Insel, Bisons aus einem dänischen Tierpark, Rentiere aus der Tundra der Umgebung, Jakutische Pferde und Kalmücken-Rinder aus der Region und Yaks aus dem Gebiet um den Baikalsee, sowie Baktrische Kamele und eine spezielle Ziegenrasse von einer Farm im Südwesten Sibiriens. Zusammen mit den bereits vorher im Gebiet lebenden Elchen haben diese Tiere inzwischen einen winzigen Bruchteil der einstigen Mammutsteppe zurückgebracht, auf dem Gras und Kräuter viel saftiger und schneller als auf der Tundra wachsen, während die Sträucher deutlich weniger werden.
Neben der Biodiversität profitiert aber auch das Klima. Und das bei Weitem nicht nur durch den Rückgang der Sträucher. So ist die Mammutsteppe auch heller als die Tundra und reflektiert daher deutlich mehr Sonnenwärme zurück in den Himmel. Vor allem aber trampeln die zurückgekehrten Herden in der kalten Jahreszeit die Schneedecke nieder, die bisher den Boden gut gegen die beißende Kälte der Winterluft mit durchschnittlichen Temperaturen unter minus dreißig Grad isoliert. „Durch die zertrampelte Schneedecke dringt die Kälte viel besser in den Untergrund und kühlt den vorher minus sieben Grad kalten Permafrost bis auf minus zwanzig Grad ab“, erklärt Martin Heimann, der den Pleistozän-Park wissenschaftlich begleitet und gleichzeitig wissenschaftlicher Beirat der gemeinnützigen Pleistocene & Permafrost Stiftung ist, die den Park aus Deutschland unterstützt. Steht die Sommersonne dann rund um die Uhr am Himmel und schmilzt den Schnee, braucht der abgekühlte active layer erheblich länger zum Auftauen und schützt so den darunter liegenden Permafrost.
Die genauen Zusammenhänge untersucht der Max-Planck-Forscher derzeit gemeinsam mit einigen Kollegen noch. Aber schon jetzt zeichnet sich ab, dass der PleistozänPark eine recht preiswerte Maßnahme sein könnte, um die Auswirkungen des Klimawandels abzupuffern.