Ipf- und Jagst-Zeitung

Wirtschaft

- Von Claudia Kling

BERLIN - Wie mit Ländern wie China und Russland umgehen? Diese Frage beschäftig­t natürlich auch die künftigen Ampel-Koalitionä­re. Die Grünen-Politikeri­n Agnieszka Brugger ist mit dem Kurs, auf den sich die neue Regierung verständig­t hat, recht zufrieden. Gute Zusammenar­beit werde es weiterhin geben, „aber dann müssen internatio­nale Regeln und Werte eingehalte­n werden, auf die wir uns alle selbst verpflicht­et haben“, sagt die Bundestags­abgeordnet­e für den Wahlkreis Ravensburg.

Frau Brugger, wie viel Brugger steckt im Koalitions­vertrag in den Kapiteln zur Außen-, Sicherheit­sund Verteidigu­ngspolitik?

Ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis, das wir gemeinsam mit SPD und FDP in intensiven Gesprächen verhandelt haben. Die Themen, die mir besonders am Herzen lagen, waren unter anderem eine strengere und restriktiv­e Rüstungsex­portpoliti­k mit einem nationalen Rüstungsex­portgesetz, eine feministis­che Außenpolit­ik, eine klare Haltung in der Frage der Menschenre­chte und ein starker Einsatz für den Klimaschut­z und die globale Gerechtigk­eit. Diese Punkte wurden alle aufgenomme­n.

Vom früheren Außenminis­ter Sigmar Gabriel stammt die Aussage, dass Europa der letzte Vegetarier in einer Welt von Fleischfre­ssern sei. Macht sich Deutschlan­d mit dem neuen Ansatz einer „wertebasie­rten Außenpolit­ik“nun zum Veganer in der Welt der Fleischfre­sser? Überhaupt nicht. Es wird oft ein künstliche­r Gegensatz zwischen Werten und Interessen konstruier­t. Natürlich ist es ein wichtiges Interesse Deutschlan­ds, mit anderen Staaten, die unsere Wertevorst­ellung teilen, zusammenzu­arbeiten, um globale Herausford­erungen gemeinsam anzugehen. Kein Land kann die Klimakrise oder die Corona-Pandemie allein bewältigen. Wir brauchen eine regelbasie­rte, multilater­ale Ordnung. Das ist auch der Kurs von US-Präsident Joe Biden, die er mit der Allianz der Demokratie­n verfolgt. In einer immer unfriedlic­heren Welt müssen diejenigen zusammenha­lten, die sich an Werte und Multilater­alismus gebunden fühlen, damit sie nicht zerrieben werden von den Regelbrech­ern. Sonst wäre all das, was wir in den vergangene­n Jahrzehnte­n mühsam aufgebaut haben, in Gefahr. Eine Politik der Werte ist auch eine Politik der Stärke.

Hat die bisherige Außenpolit­ik nicht auf Werten beruht? Was ist neu an Ihrem Ansatz?

Neu ist beispielsw­eise das Bekenntnis zu einer feministis­chen Außenpolit­ik und eine eindeutige Haltung gegenüber Staaten wie Russland und China. Wir haben einen sehr wachsamen Blick darauf, wenn Menschenre­chte verletzt werden oder außenpolit­ische Aggression­en stattfinde­n. Da dürfen wir uns nicht bequem wegducken. In solchen Fällen werden wir selbstbewu­sst und gemeinsam mit unseren Partnern auf der internatio­nalen Bühne einen Kurs von Dialog und Härte fahren. Aber davon abgesehen steckt natürlich auch viel Kontinuitä­t im Koalitions­vertrag – unter anderem ein starkes Bekenntnis zu einer handlungsf­ähigen, souveränen Europäisch­en Union.

China hat recht schnell auf den Koalitions­vertrag reagiert und den Wunsch geäußert, es möge alles so bleiben wie bisher. Kann die Regierung diesen Wunsch erfüllen? Eine Politik, die wegschaut, wenn Menschenre­chte massiv verletzt werden, ist keine Politik, die in unserem Interesse liegt. Unser Ziel können nicht einzelne kurzfristi­ge Wirtschaft­sinteresse­n sein, sondern wir müssen der Sicherheit und den Menschenre­chten mehr Gewicht geben, als es die bisherige Bundesregi­erung getan hat.

Haben Sie bei diesen Überlegung­en auch die Interessen der deutschen, exportorie­ntierten im Blick?

Natürlich. Wir stehen in einem intensiven Austausch. Aber es ist nicht so, dass faire Wirtschaft­sbeziehung­en und Menschenre­chte nur in der Politik ein Thema sind. Viele Unternehme­n wollen weg von Geschäftsm­odellen, in denen Menschenre­chtsverlet­zungen und die Zerstörung der Umwelt ein Wettbewerb­svorteil sind. Natürlich werden und wollen wir auch weiterhin mit allen Ländern gut zusammenar­beiten, aber dann müssen internatio­nale Regeln und Werte eingehalte­n werden, auf die wir uns alle selbst verpflicht­et haben.

Wie hoch ist die Gefahr, dass Ihr neuer Kurs den Unternehme­n in Deutschlan­d schaden könnte?

Diese Gefahr sehe ich nicht. Nochmal: Niemand möchte die Wirtschaft­sbeziehung­en unnötig belasten oder gar abbrechen, im Gegenteil. Wir haben ein großes Interesse an guten Beziehunge­n – auf Basis der gemeinsame­n Werte und Regeln. Von deren Einhaltung profitiere­n auch die deutschen Unternehme­n. Aber auch der Schutz und die Widerstand­sfähigkeit unserer Gesellscha­ft und Infrastruk­tur müssen eine größere Rolle spielen, in manchen Bereichen wie Digitalisi­erung oder Energie müssen wir in der EU unabhängig­er und souveräner werden, damit wir nicht erpressbar sind.

Ein anderer Fleischfre­sser, um bei diesem Bild zu bleiben, sitzt in Moskau. Wie wird das Verhältnis zu Russland und seinem Präsidente­n Wladimir Putin unter der künftigen Ampel aussehen?

Die Tür zum Dialog und zur Kooperatio­n steht vonseiten der Europäisch­en Union und auch der deutschen Bundesregi­erung immer offen. Wir sind aber nicht naiv, wir sehen das, was in den vergangene­n Jahren passiert ist, von der außenpolit­ischen Aggression des Kreml in der Ukraine und in Syrien über den Tiergarten­mord vor den Toren des Bundestags, den Hackerangr­iffen bis zum Umgang mit russischen Opposition­ellen wie Alexej Nawalny. Das kann nicht unbeantwor­tet bleiben. Hier braucht es eine konsequent­ere Haltung der Bundesregi­erung.

Putin lässt erneut Truppen an der Grenze zu Ukraine aufmarschi­eren. Wie weit sollte die Nato gehen, falls Russland tatsächlic­h in die Ukraine einmarschi­ert?

Die Nato hat Wladimir Putin klar gemacht, dass sie diese Truppenkon­zentration mit sehr großer Sorge sieht. Die Botschaft an den Kreml muss deutlich sein: Ein solcher Angriff würde vonseiten der Europäisch­en Union und all unserer Verbündete­r nicht unbeantwor­tet bleiben, auch die Sanktionen sind noch nicht ausgereizt. Ein Angriff auf die Ukraine würde harte Konsequenz­en nach sich ziehen. Das halte ich an dieser Stelle auch für richtig. Das sind wir den Menschen in der Ukraine und unseren Partnern in Mittelund Osteuropa schuldig, hier füreinande­r einzustehe­n.

Etwas überrasche­nd ist, dass die Bewaffnung von Drohnen im Koalitions­vertrag steht. In der Großen Koalition hatte die SPD bei diesem Thema Rückzieher gemacht. Wie kam es dazu?

Wir wollten diese Entscheidu­ng nicht noch einmal auf die lange Bank schieben. Wir als Grüne haben uns bereits bei einem Parteitag von unserem harten, bedingungs­losen Nein verabschie­det und uns darauf verständig­t, dass Kampfdrohe­n zum Schutz der Soldaten unter bestimmten Umständen mit strengen Regeln infrage kommen können. Die SPD war in einem parteiinte­rnen Verfahren zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen, die FDP hatte sich ohnehin dafür ausgesproc­hen. Insofern hatten wir alle eine sehr ähnliche Haltung. Wir haben auch auf unser Drängen transparen­te Regeln und eine Beachtung ethischer und völkerrech­tlicher Aspekte beim Einsatz bewaffnete­r Drohnen in den Koalitions­vertrag mit aufgenomme­n.

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