Sprudelnde Kosten
Die deutsche Wasserversorgung muss grundlegend saniert werden – Für Verbraucher könnte das teuer werden
BERLIN - Öffnen Menschen in Deutschland den Wasserhahn, kommt so gut wie immer sauberes Trinkwasser in hoher Qualität aus der Leitung. Dass das keine Selbstverständlichkeit, sondern Produkt einer meist ebenso unsichtbaren wie zuverlässigen Infrastruktur ist, hat beim Schluck aus dem Hahn kaum jemand im Kopf. Ein großer Teil dieser Infrastruktur hat die Bundesrepublik allerdings in den 1950er- und 1960erJahren erstellt oder zuletzt grunderneuert. Viele dieser Leitungen haben inzwischen das Ende ihrer Lebenszeit erreicht oder sind sanierungsbedürftig. Die Wasserwirtschaft warnt: Eine Erneuerung lässt sich vielerorts nicht mehr aufschieben.
„Wir brauchen ein Update für die Infrastrukturen, die unter der Straße liegen“, sagt Karsten Specht, Vizepräsident des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU), der „Schwäbischen Zeitung“. Dies sei „eine Kernaufgabe für eine starke wirtschaftliche Entwicklung“. Und die dürfe nicht unterschätzt werden.
Die Leitungsnetze der deutschen Trinkwasserversorgung kommen in Deutschland zusammen auf eine Länge von etwa 540 000 Kilometern. Die Abwassernetze sogar auf 590 000 Kilometer. Würde man sie hintereinanderlegen, würden sie knapp 30-mal die Erde umrunden. Selbst wenn eine Leitung oder ein Kanal über eine Dauer von 100 Jahren genutzt würden, was laut VKU zum Teil sogar der Fall sei, müssten die Unternehmen jedes Jahr 5400 beziehungsweise 5900 Kilometer an Leitungen und Kanälen, also ein Prozent der Gesamtnetze, erneuern. Das ist zusammengenommen länger als die Entfernung zwischen Lissabon und Wladiwostok. „Das gibt es nicht zum Nulltarif“, sagt Specht.
Acht Milliarden Euro im Jahr investierte die Wasserwirtschaft nach Angaben der VKU schon heute in ihre Infrastruktur. Dieser Betrag wird in Zukunft wohl weiter ansteigen. So gehen 80 Prozent der Trinkwasserund 90 Prozent der Abwasserentsorger laut einer noch unveröffentlichten VKU-Umfrage davon aus, dass zukünftig deutlich höhere Investitionen nötig sein werden. Unter den Unternehmen ist die Sorge groß, bei diesem Thema von der Politik allein gelassen zu werden, sie fordern deswegen Unterstützung ein. „Wenn es darum geht, mehr Investitionen zu schultern, braucht es dafür die notwendige politische Akzeptanz und gezielte Förderung“, sagt Specht. Denn zu den fälligen Erneuerungen komme auch noch die Anpassung an den Klimawandel hinzu. Schon vor der Flutkatastrophe im Juli sei der Umfrage zufolge den meisten Abwasserunternehmen klar gewesen, dass der Umgang mit Starkregenereignissen ihre Arbeit in Zukunft prägen wird. Zwei Drittel der Wasserunternehmen gehen davon aus, dass sie ihre Infrastruktur noch mehr auf die Stärkung der Versorgungssicherheit und Resilienz ausrichten müssen.
Was dafür alles nötig ist, hat das Bundesumweltministerium (BMU) in einer „Nationalen Wasserstrategie“geschildert, die die scheidende Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) im Sommer präsentiert hat. So sollen etwa wasserreiche und -arme Regionen über einen Ausbau der Leitungen miteinander verbunden werden. Selbst neue Talsperren kann Schulze sich vorstellen.
Die Kosten dafür schätzte das BMU vorsichtig auf etwa drei Milliarden Euro im Jahr. Dazu versprach
Schulze, Bund und Länder würden hierzu etwas beisteuern. „Einen Großteil davon werden auch künftig Wasserversorger und Kommunen tragen“, sagte die Politikerin. Was soviel bedeutet wie: Einen Großteil davon werden die Verbraucher tragen, auf die die Kosten umgelegt werden. In einem Positionspapier warnt der VKU davor: „Der bislang gewählte Weg, die Kosten umweltpolitischer Maßnahmen auf die Wasser- und Abwasserkunden umzulegen, muss ein Ende finden.“
Das hat auch damit zu tun, dass ein erheblicher Teil der Zusatzkosten, der auf die Wasserwirtschaft in den kommenden Jahren zukommt, von Industrie und Landwirtschaft verursacht wird. Medikamentenrückstände, Mikroplastik und andere Schadstoffe werden zunehmend zur Herausforderung in Kläranlagen. Um kostspielige Ausbauten der Anlagen für sauberes Trinkwasser zu vermeiden, müsse der Wasserkreislauf stärker vor solchen Kleinstschadstoffen geschützt werden, heißt es auch in einem Positionspapier des Bundesverbands der Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft (BDE).
Gängige Kläranlagen reinigen das Wasser in drei Stufen. Nun sei aufgrund der vielen neuen Einträge eine vierte Stufe nötig. Weitere Reinigungsstufen in Kläranlagen werden Experten zufolge allerdings nicht alle Stoffe, als Beispiel wird oft Röntgenkontrastmittel genannt, herausbekommen. Um Anreize zu schaffen, dass diese Stoffe gar nicht erst in den Wasserkreislauf gelangen, fordern Wasserversorger und Umweltschützer die Politik gemeinsam auf, die Verursacher anstelle der Verbraucher stärker an den Kosten zu beteiligen.
Der Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien wird bei diesem Thema allerdings bemerkenswert unkonkret. So begrüßen im Grunde genommen alle Verbände der Wasserwirtschaft, dass SPD, Grüne und FDP ein „Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen“ausgerufen haben. Die Wasserinfrastruktur wird dabei sogar explizit aufgeführt, Unterstützung für die Klimaanpassung zugesichert. Doch gerade was Einträge in den Wasserkreislauf angeht, ist lediglich von einer Novelle des Abwasserabgabengesetzes die Rede. Specht warnt: „Es muss um mehr gehen, als die zusätzlichen Kosten für die Vermeidung und Verminderung von Spurenstoffen mittels einer neuen Abwasserabgabe auf die Bürgerinnen und Bürger abzuwälzen.“Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) sieht es ähnlich. Es sei zwar positiv, dass die Landwirtschaft bei ihren Nitrateinträgen in den Wasserkreislauf wohl stärker in die Pflicht genommen werden soll. Was die Novelle der Abwasserabgabe angeht, befürchtet man allerdings ebenfalls, dass die Kosten für vierte Reinigungsstufen in den Kläranlagen bei den Verbrauchern hängen bleiben. Das könnte laut BDEW zu Gebührensteigerungen um 20 Prozent führen. Geld, das für den Verbraucher sprichwörtlich den Abfluss hinunter geht.