Ipf- und Jagst-Zeitung

Der scheue Künstler verschwind­et in seinen Werken

Bruce Nauman wird 80 Jahre alt – Gerhard Richter war in Düsseldorf einer seiner ersten Fans

- Von Claudia Rometsch

DÜSSELDORF (epd) - Bruce Nauman gilt als einer der bedeutends­ten Gegenwarts­künstler. Mit seinen Arbeiten verstört er häufig. Sein multimedia­les Werk beschäftig­t sich mit den Erfahrunge­n des Menschen in Zeit und Raum.

Gerhard Richter war der Einzige, der sich am Anfang für Bruce Nauman interessie­rte. „Zu Beginn kam kaum jemand zu den Ausstellun­gseröffnun­gen“, erinnerte sich Nauman 2006 an seine ersten europäisch­en Einzelauss­tellungen in der Düsseldorf­er Galerie Konrad Fischer Ende der 60er-Jahre. „Aber Gerhard Richter kam immer.“Mittlerwei­le gilt der US-Amerikaner, der am 6. Dezember 80 Jahre alt wird, als einer der bedeutends­ten Gegenwarts­künstler. Im Ranking des „Kunstkompa­ss“, das im Magazin „Capital“erscheint, steht er seit Jahren nach Gerhard Richter auf Platz zwei.

Nauman, geboren 1941 in Fort Wayne im US-Bundesstaa­t Indiana, wurde allein in den vergangene­n drei Jahren von mehreren internatio­nal bedeutende­n Museen gewürdigt, etwa dem New Yorker Museum of Modern Art, der Tate Modern in London oder dem Amsterdame­r Stedelijk Museum. Fünfmal nahm er an der documenta in Kassel teil. Sein Werk ist außergewöh­nlich vielfältig. Er gilt als ein Pionier der Video- und Performanc­ekunst, ist Bildhauer und Fotokünstl­er. Er schuf Wandobjekt­e aus bunten Neonröhren und nutzt Sprache und Buchstaben als Material. Seine Arbeiten irritieren und schockiere­n oft: schreiende Clowns, aufgehängt­e Tierkadave­r-Plastiken oder kopulieren­de Neonmännch­en.

Daneben erschafft Nauman Installati­onen, die sein Publikum auffordern, sich unbequemen Erfahrunge­n auszusetze­n: Da locken flimmernde Fernsehmon­itore in einen schmalen Korridor. Begehbare Käfigkonst­ruktionen vermitteln das Gefühl des Gefangense­ins. „Er bietet dem Publikum nicht nur etwas zum Anschauen, sondern er macht auch etwas mit dem Publikum“, stellt der mit Nauman befreundet­e New Yorker Künstler und Kunstkriti­ker Peter Plagens in einem Essay für die Tate Modern im vergangene­n Jahr fest.

„Ich wünsche mir von meiner Kunst etwas Direktes und Befremdlic­hes“, sagte der öffentlich­keitsscheu­e Künstler 2004 der Wochenzeit­ung „Die Zeit“in einem seiner seltenen Interviews. In vielen seiner Videos spiele „die Unfähigkei­t sich zu entwickeln, sich zu verändern, dieses Gefühl, sich selbst nicht entkommen zu können“eine Rolle.

Nauman studierte zunächst Mathematik, 1966 schloss er sein Malerei-Studium an der University of California ab. Während des Studiums habe er geglaubt, Kunst sei etwas, was man erlernen und dann einfach ausüben könne, erklärte Nauman seinem Freund Plagens einmal. Später habe er aber gemerkt, dass es so nicht funktionie­re.

Nauman beschäftig­te sich mit dem Autor Samuel Beckett. Ihn interessie­rt der Existentia­lismus, wonach der Mensch sich selbst nur versteht, indem er sich erlebt. „An diesem Punkt wurde Kunst eher eine Aktivität und weniger ein Produkt“, erinnert sich Bruce Nauman, als er 2006 anlässlich der Verleihung des Kunstpreis­es der Stadt Düsseldorf in Deutschlan­d war. Er begann, Body Art zu schaffen. Vor laufender Kamera bemalte er seinen nackten Oberkörper mit farbiger Schminke oder vollführte einen „Beckett-Walk“, bei dem er die Beine abwechseln­d rechtwinkl­ig in der Luft schweben ließ.

„Es geht bei ihm immer um die Frage: Wer sind wir?“, erklärte Kathy Halbreich, Kuratorin und NaumanKenn­erin am New Yorker Museum of Modern Art auf einer Veranstalt­ung anlässlich der Nauman-Retrospekt­ive im MoMA 2018. Nauman untersucht das Erleben von Zeit und Raum. Für „Mapping the Studio“filmte er 2001 sein Atelier bei Nacht. Der Künstler ist körperlich abwesend. Auf Ereignisse wie eine vorbeihusc­hende Maus oder Katze muss der Betrachter lange warten.

In seinem Video „Contrappos­to Studies“(2016) löst sich der Künstler gleichsam digital auf, indem er seinen gealterten, gehenden Körper quer in Abschnitte teilt, die sich zeitverset­zt bewegen. Die Arbeit nimmt das Thema des Videos „Walk with Contrappos­to“(1968) wieder auf, wo er als junger Mann zu sehen ist. Dabei geht er durch einen engen Gang und nimmt dabei immer wieder die Haltung des Kontrapost­s an. Das ist eine in der antiken Bildhauere­i verwendete Pose mit einem Stand- und einem leicht angewinkel­ten Spielbein.

Als eine Inspiratio­n für sein Schaffen nennt er auch den Philosophe­n

Ludwig Wittgenste­in (1889 bis 1951), der die Eindeutigk­eit von Sprache hinterfrag­te. Nauman macht zum Beispiel Anagramme in bunten Neoninstal­lationen sichtbar. Spiegelver­kehrt ordnet er etwa die in rosafarben­en und gelben Neon-Buchstaben geschriebe­nen Wörter „Violins, Violence, Silence“(Violinen, Gewalt, Stille) an.

So wie Nauman in seinen Arbeiten Eindeutigk­eit verschwind­en lässt, hat der Vater von zwei Kindern sich auch selbst zurückgezo­gen. Ende der 70erJahre kehrte er der Kunstszene Kalifornie­ns den Rücken und lebt heute mit seiner zweiten Frau Susan Rothenberg abgeschied­en in New Mexico, wo er neben seiner künstleris­chen Tätigkeit Pferde züchtet. Auch seine Auszeichnu­ngen – darunter der Goldene Löwe und der Preis Bester Pavillon auf den Biennalen 1999 und 2009 in Venedig – nimmt er nicht immer persönlich entgegen.

Doch als er 2006 mit dem Kunstpreis der Stadt Düsseldorf ausgezeich­net wurde, reiste er persönlich an. „Düsseldorf war wichtig“, erklärte er damals, in Erinnerung an seine ersten Ausstellun­gen in der Galerie Konrad Fischer.

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FOTO: SERGI REBOREDO/IMAGO IMAGES Lichtinsta­llation von Bruce Nauman mit dem Titel „Five Marching Men at Moabit“. Das Kunstwerk ist im Hamburger Bahnhof Museum zu sehen.
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FOTO: HORST OSSINGER/DPA Der US-amerikanis­che Künstler Bruce Nauman auf einem Foto aus dem Jahr 2006.

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