Angela Merkel und die Kultur
Die Kanzlerin besucht gerne auch spontan Ausstellungen und Konzerte in Berlin – In Bayreuth war sie jedes Jahr Gast
BERLIN (dpa) - Im Museum nicht vordrängeln, Opern-Karten selbst bezahlen. Angela Merkel will keine Privilegien für privates Interesse. Und sie hat Konzerthäuser und Museen immer wieder mit spontanen Besuchen überrascht.
Nina Hagen und Angela Merkel passen nicht zwingend in einen Gedanken – bisher. Doch die im Westen mit exzentrischem Punk bekannt gewordene Sängerin war bereits vor ihrer Übersiedlung im Osten ein Star. Hagens im Jahr 1974 – Merkel war damals 20 – zum DDR-Hit avancierten Song „Du hast den Farbfilm vergessen“ließ sich die aus dem Amt scheidende Kanzlerin nun vom Musikkorps der Bundeswehr zu ihrem Abschied vorspielen. Diese überraschende Wahl gehört zu den Dingen, die einen kleinen Einblick erlauben in ein 16 Jahre lang weitgehend abgeschirmtes kulturelles Leben.
Um die Bedeutung von Kultur war bei Merkel immer wieder zu hören. „Zur Liebe zum eigenen Land gehört auch, dass man seine Künstler achtet. Kultur sollte zum Leben wie das Atmen gehören“, sagte sie etwa. Merkel hat schon qua Amt viele Ausstellungen eröffnet, Museen und Vorstellungen besucht, Künstlerinnen und Künstler getroffen. Doch jenseits offizieller Pflichten und Termine sucht die Kanzlerin auch immer wieder im privaten Bereich die Nähe zu den schönen Künsten. Am bekanntesten sind wohl die regelmäßigen Besuche in Bayreuth. Merkel und ihr Mann Joachim Sauer gelten als große Anhänger von Richard Wagners Werk und sind seit vielen Jahren Stammgäste am Grünen Hügel.
„Bayreuth ist exemplarisch“, sagt Annette Schavan. Die frühere Bundesbildungsministerin steht Merkel seit langen Jahren nah. „Unter Dauerstrom stehen geht nur, wenn es andere Quellen gibt“, sagt Schavan der dpa. „Kultur ist eine dieser Quellen.“Mit Beiträgen zahlreicher prominenter Wegbegleiter der Kanzlerin hat Schavan das Buch „Die hohe Kunst der Politik –Die Ära Angela Merkel“zusammengestellt. An mehreren Stellen lässt sich dort nachlesen, dass Kultur „keine Attitüde der Amtsinhaberin“ist.
So berichtet etwa Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank, wie Merkel sie kurzfristig während eines Treffens zu einem Konzert in die Staatsoper Unter den
Linden animiert. Wer dort bezahlt? „Sie lässt sich nie einladen zu Opern oder Konzerten, sondern kauft sich ihre Karten selbst. Immer“, schreibt Stardirigent Daniel Barenboim im Schavan-Band. So habe Merkel eine Vorstellung besucht, die er an der Mailänder Scala dirigiert habe. Der Intendant habe kein Geld verlangen können, weil sie in der königlichen Loge saß. Dort dürften keine Karten verkauft werden. Barenboim: „Sie sagte dann, er solle ihr schreiben, wie viel eine Karte für einen sehr guten Platz in der Scala kostet, und das würde sie dann bezahlen.“
Von der Museumsinsel bei Merkel ums Eck und aus anderen Häusern gibt es viele Berichte, wonach sie mal eben bei Ausstellungen vorbeischaut. Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp berichtet von einem solchen Besuch bei „Gesichter der Renaissance“im Berliner BodeMuseum. Spontan, ohne Ankündigung, minimaler Personenschutz. „Wegen der Fülle der Besuche war der Blick auf einzelne Skulpturen und Gemälde fast undurchdringlich versperrt“, schreibt Bredekamp. „Die verstohlenen Blicke der Besucher ließen den Konflikt erkennen, dass einerseits die Kunst gegenüber allen Menschen gleich sei und deswegen kein Platz freigegeben werden dürfe, andererseits es aber geboten schien, der Kanzlerin die Möglichkeit eines gesonderten Zugangs zu den Werken zu gestatten. Wann immer sich die zweite Variante zeigte, wehrte Angela Merkel entschieden ab: kein Privileg!“
Merkel sucht auch den direkten Kontakt zu Kulturschaffenden. Mit dem deutsch-deutschen Liedermacher Wolf Biermann und dessen Frau
Pamela ist das Ehepaar Merkel/Sauer seit Langem befreundet. Schauspieler Ulrich Matthes sagt, wie Merkel immer wieder mal ins Deutsche Theater kam. „Sie fragt dann nach inszenatorischen oder spielerischen Details und denkt laut nach über das gerade Gesehene: Wie entstehen Kompromisse in der Politik (nach einer „Ödipus“-Aufführung), wie funktioniert der Druck der öffentlichen Meinung (nach „Menschenfeind“) – alles Assoziieren manchmal eingeleitet durch ein nicht kokettes ,Kenne mich nicht aus mit Theater, aber …’“.
Die Kulturpolitik hat Merkel nach übereinstimmenden Einschätzungen aber meist den Zuständigen im Kanzleramt überlassen, erst Bernd Neumann (2005-2013), anschließend Monika Grütters. Wenn Barenboims Oper eine bessere Akustik bekam, Mittel für Bayreuth aufgestockt wurden oder das Archiv von Biermann an die Staatsbibliothek ging, spielte der Name der Kanzlerin keine Rolle.
Eine große Vorliebe hat Angela Merkel für Expressionismus-Ikone Emil Nolde. Sein „Brecher“von 1936 hing seit 2006 als Leihgabe der Nationalgalerie bei ihr im Kanzleramt. Die farbkräftige Nordseewelle unter schwerem Gewölk sollte eine besondere Rolle spielen in einer NoldeAusstellung mit neuen Erkenntnissen zur tiefen NS-Verstrickung des von den Nazis eben auch als „entarteter Künstler“diffamierten Malers. Nach einigem Hin und Her zwischen Leihgebern und Kanzleramt ließ Merkel den Nolde nicht wieder zurück in ihr Arbeitszimmer. Die gefeierte Ausstellung nur wenige Kilometer weiter hat die Kunstliebhaberin nie besucht.