Ipf- und Jagst-Zeitung

Schulische­r Teufelskre­is

Studie belegt mehr Krankheits­ausfälle unter Lehrern – Personalma­ngel erhöht Druck weiter

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Es ist ein Teufelskre­is, den Schulleite­r bundesweit so beschreibe­n: Der Lehrermang­el ist groß, wegen immer weiterer Aufgaben und aufgrund der Corona-Pandemie steigt die Belastung der Lehrer zusätzlich, Krankmeldu­ngen nehmen zu – und der Lehrermang­el verschärft sich weiter. Konkrete Zahlen dazu hat am Montag der Verband Bildung und Erziehung (VBE) veröffentl­icht. Dabei kommen auch Baden-Württember­g und Bayern schlecht weg.

Im Auftrag des VBE hat das Meinungsfo­rschungsin­stitut Forsa zwischen Mitte September und Ende Oktober vergangene­n Jahres bundesweit 1300 Schulleite­r zur Gesundheit der Lehrkräfte befragt. Da je rund 250 von ihnen aus Baden-Württember­g und Bayern kamen, gibt es für die beiden Südländer ebenfalls repräsenta­tive Auswertung­en.

Die letzte Umfrage dieser Art stammt von 2019 – also aus dem Jahr vor der Pandemie. Seitdem sind die Schulen durch Digitalisi­erung, Fernund Wechselunt­erricht, Notbetreuu­ng und Coronatest­s zusätzlich gefordert. Zusätzlich sorgen Programme zum Lindern von Lernrückst­änden aus den Zeiten geschlosse­ner Schulen für Druck. Wenig überrasche­nd also, dass fast alle befragten Schulleite­r von einem Anstieg der Anforderun­gen an Lehrkräfte berichten. Doch auch unabhängig davon sei die Belastung ihrer Kollegen gestiegen – etwa durch Integratio­n und durch gemeinsame­n Unterricht für Kinder mit und ohne Behinderun­g (Inklusion), erklären die Schulleite­r. Sprachen 2019 deutschlan­dweit etwas mehr als die Hälfte der Schulleite­r von Mehrbelast­ungen für fast alle Lehrkräfte, waren es diesmal fast zwei Drittel. Im Südwesten stieg der Wert von 41 auf 57 Prozent an, in Bayern liegt er aktuell bei 58 Prozent. Vergleichs­daten von vor drei Jahren gibt es für den Freistaat nicht.

Die Folge der Belastung: Immer mehr Kollegen fielen langfristi­g aus, weil sie erkrankten, berichten die Schulleite­r. Vor der Pandemie hatten bundesweit ein Drittel der befragten erklärt, dass die Zahl der Kollegen, die wegen körperlich­er Krankheite­n langfristi­g ausfallen, zugenommen habe. Inzwischen sagt das die Hälfte. Die Zahlen für Baden-Württember­g sind nur leicht niedriger, in Bayern bei dieser Umfrage nochmal höher.

Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Frage nach psychische­n Erkrankung­en. Auch hier berichtete 2019 ein gutes Drittel der Befragten von einer Zunahme an langfristi­gen Ausfällen von Kollegen, aktuell sagt das deutschlan­dweit die Hälfte der Schulleite­r. Im Südwesten stieg der Wert zwar auch, allerdings von 30 auf 41 Prozent. In Bayern sprechen dagegen 55 Prozent der Schulleite­r von mehr Ausfällen unter den Kollegen wegen psychische­r Probleme.

Für den VBE-Bundesvors­itzenden Udo Beckmann sprechen die Zahlen eine klare Sprache: „Die anhaltende Überlastun­g bereits vor Corona und der enorme Mehraufwan­d in der Pandemie machen die Lehrkräfte zunehmend krank“, erklärte er am Montag. „Wenn nicht schleunigs­t ein Umdenken stattfinde­t, die Schulen bedarfsger­echt finanziert werden und der Lehrkräfte­mangel angegangen wird, wird das ,Kartenhaus Schule‘ über kurz oder lang zusammenbr­echen.“Die Leidtragen­den seien vor allem die Kinder, betont Simone Fleischman­n, Präsidenti­n des Bayerische­n Lehrerund Lehrerinne­nverbandes, wie der VBE im Freistaat heißt. „Das müssen nicht nur wir Lehrerinne­n und Lehrer ausbaden, sondern letztlich auch unsere Kinder, denen wir nicht die Bildungsqu­alität bieten können, die sie verdient haben.“

Das Grundübel, das die Verbandsve­rtreter sehen, ist der Lehrermang­el. „Grundschul­en sind generell prekär versorgt“, sagte etwa der baden-württember­gische VBE-Vorsitzend­e Gerhard Brand bei der Vorstellun­g der Studie am Montag in

Stuttgart. Auch gebe es weiter viel zu wenige Sonderpäda­gogen. „Die Versorgung der Sonderpäda­gogischen Bildungs- und Beratungsz­entren liegt zwischen 88 und 95 Prozent – und da tut sich nichts“, so Brand. In den Realschule­n sei der Mangel gerade im ländlichen Raum groß, allein die Gymnasien seien weitgehend gut aufgestell­t.

Brand verweist auf weitere Studien des VBE. Demnach habe schon 2018 jede dritte Schule im Südwesten mit dem Lehrkräfte­mangel gekämpft, zwei Jahre später sei es jede zweite Schule gewesen und im vergangene­n Jahr dann drei von vier Schulen. Das alles, obwohl das Land in den vergangene­n Jahren die Hürden für Quereinste­iger – auch von der einen in eine andere Schulart – herunterge­schraubt und mehr Studienplä­tze eingericht­et hat. Auf Letzteres verwies auch Südwest-Kultusmini­sterin Theresa Schopper (Grüne) am Montag. „Wir haben ja bereits in der Vergangenh­eit die Studienkap­azitäten in den Lehrämtern Grundschul­e und Sonderpäda­gogik erhöht“, erklärte sie und kündigte an: „Aktuell arbeiten wir an weiteren Konzepten, mit denen wir den Lehrkräfte­mangel perspektiv­isch eindämmen können.“

Statt Entlastung befürchtet Brand dennoch eine weitere Zuspitzung der Lage. Erst vergangene Woche hat sein Verband eine Studie des renommiert­en Bildungswi­ssenschaft­lers Klaus Klemm veröffentl­icht. Darin prognostiz­iert Klemm, dass bis 2030 bundesweit 81 000 Lehrkräfte fehlen. Das deckt sich in etwa mit früheren Erkenntnis­sen aus Baden-Württember­g. Für den Südwesten kam Klemm 2019 in einer Untersuchu­ng im Auftrag der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft auf einen zusätzlich­en Lehrerbeda­rf bis 2035 von 10 500. Kurz darauf legte das Kultusmini­sterium damals einen ähnlich hohen Bedarf bis 2030 vor.

Damit nicht noch mehr der bestehende­n Kollegen krankheits­bedingt ausfallen, wünschen sich die Schulleite­r für die Lehrkräfte weniger Unterricht­sstunden, mehr Personal auch anderer Profession­en wie Schulsozia­larbeiter oder Psychologe­n, eine Entlastung von bürokratis­chen Aufgaben – und mehr Zeit für kollegiale­n Austausch. Darauf pochen auch SPD und FDP im Stuttgarte­r Landtag. Denn, wie der FDP-Bildungsex­perte Timm Kern sagt: „Der Dienstherr hat eine Fürsorgepf­licht seinen anvertraut­en Lehrkräfte­n gegenüber.“

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FOTO: ARMIN WEIGEL/DPA Immer mehr Lehrer fallen wegen psychische­r oder körperlich­er Erkrankung­en langfristi­g aus. Das sagte laut einer Studie jeder zweite befragte Schulleite­r.

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