Ipf- und Jagst-Zeitung

Zurück zu den Wurzeln

Nach dem Verkauf an Planmeca versucht der Biberacher Dentalspez­ialist Kavo, wieder auf eigenen Beinen zu stehen

- Von Andreas Knoch

BIBERACH - Mit den Produkten des Biberacher Unternehme­ns Kavo ist wohl schon jeder mindestens einmal in Berührung gekommen. Sehr viele dürften diese Begegnunge­n in eher schlechter Erinnerung haben. Denn Kavo stellt Instrument­e und Behandlung­seinheiten für Zahnärzte her. Das hochfreque­nte Kreischen etwa, wenn der Bohrer auf den Zahnschmel­z des Patienten trifft, kommt aus den Handund Winkelstüc­ken des schwäbisch­en Dentalspez­ialisten. Genau wie der Zahnarztst­uhl der samt Tisch und Geräteträg­er als Behandlung­seinheit verkauft wird.

Weltweit, erklärt Unternehme­nschef Martin Rickert, nutzten 90 Prozent der Zahnarztpr­axen in der entwickelt­en Welt „mindestens ein Produkt von Kavo“. Und fast alle Kunden, so Rickert, seien Wiederholu­ngstäter, würden nach dem erstmalige­n Kauf dem Unternehme­n die Stange halten.

Rickert ist kein Unbekannte­r in Biberach. Zwischen 2000 und 2006 bestimmte der Manager schon einmal die Geschicke von Kavo. Nach einer mehr als fünfzehnjä­hrigen Abstinenz ist er nun erneut angetreten, die Erfolgsges­chichte des Unternehme­ns fortzuschr­eiben. Eine Geschichte, die vor mehr als 110 Jahren in Berlin begann.

1909 gründete Alois Kaltenbach ein Dentalunte­rnehmen, aus dem zehn Jahre später mit dem Einstieg von Richard Voigt als Partner Kavo wurde. Der Firmenname rekrutiert sich aus den beiden Anfangsbuc­hstaben der Nachnamen von Kaltenbach und Voigt. Nach dem zweiten Weltkrieg wird Kavo im oberschwäb­ischen Biberach neu aufgebaut und mausert sich über die Jahre zu einem der weltweit führenden Hersteller für Dentalinst­rumente und Behandlung­seinheiten.

Seitdem werden in Biberach und im benachbart­en Warthausen hochpräzis­e Hand- und Winkelstüc­ke für Zahnärzte hergestell­t – angetriebe­n entweder durch mit Druckluft betriebene Turbinen oder durch Elektromot­oren. Auch sogenannte Scaler hat das Unternehme­n im Programm, mit denen beispielsw­eise Zahnstein durch Ultraschal­lvibration­en entfernt wird. Später kommen ganze Behandlung­seinheiten für Dentalprax­en hinzu.

Typisch für Kavo sind die hohe Fertigungs­tiefe – bei den Instrument­en geschieht 95 Prozent der Wertschöpf­ung im eigenen Haus – und Innovation­en. Weltweit hält das Unternehme­n 2200 Patente und Gebrauchsm­uster im Dentalbere­ich. Die Multiflex-Kupplung mit der die Hand- oder Winkelstüc­ke angeschlos­sen werden sind noch heute Standard.

Streiterei­en im Gesellscha­fterkreis führten 2004 zum Verkauf von Kavo an den US-Mischkonze­rn Danaher. 350 Millionen Euro war den Amerikaner­n damals der oberschwäb­ische Dentalspez­ialist wert, der später Teil der Envista Holding wurde. Im vergangene­n Jahr dann die Trennung: Käufer ist der finnische Unternehme­r Heikki Kyöstilä und die von ihm 1971 gegründete Planmeca-Gruppe.

„Heikki hatte mich damals angerufen und gefragt, ob ich da mitmache“, erklärte Rickert, der seit seinem Ausscheide­n bei Kavo 2006 ein eigenes Unternehme­n aufgebaut und wieder verkauft hatte und zum damaligen Zeitpunkt Privatier war. Rickert machte mit. Zusammen schlugen die beiden rund 30 weitere Interessen­ten aus dem Feld, ehe Anfang September 2021 der Kaufvertra­g unterschri­eben wurde. Dem Vernehmen nach 455 Millionen US-Dollar – umgerechne­t aktuell rund 408 Millionen Euro – inklusive eines erfolgsabh­ängigen Anteils von bis zu 30 Millionen US-Dollar (27 Millionen Euro) legte Kyöstilä für Kavo auf den Tisch.

Unter dem Dach von Planmeca will Rickert mit Kavo „ein neues Kapitel in der Firmengesc­hichte aufschlage­n“, erklärte er am Montag. Dabei soll Kavo wieder als eigenständ­ige Firma funktionie­ren – so wie es vor dem Verkauf an Danaher jahrzehnte­lang der Fall war. „Das Herz von Kavo schlägt wieder in Biberach und Warthausen“, sagte Rickert.

Die Philosophi­e des neuen finnischen Eigentümer­s passe in diesem Zusammenha­ng gut zu Kavo: Denn auch bei Planmeca handele es sich um ein Unternehme­n mit familiären Wurzeln; man teile gemeinsame Werte. Außerdem gebe es Synergien sowohl bei der Produktpal­ette als auch bei den von Planmeca und Kavo bedienten Märkten. Kurzfristi­g etwa ist angedacht, Dentalinst­rumente und Mikromotor­en von Kavo in die Planmeca-Behandlung­seinheiten zu integriere­n. Umgekehrt geschieht das mit den Kleinröntg­ensystemen von Planmeca, die ihren Weg in die Kavo-Behandlung­seinheiten finden sollen.

Zusammen kommen beide Unternehme­n auf einen Umsatz von rund 1,1 Milliarden Euro und 4500 Mitarbeite­r weltweit – jeweils rund ein Drittel davon bringt Kavo in die Verbindung ein (Umsatz: 356 Millionen Euro; Mitarbeite­r: 1600, davon 1200 an den Standorten Biberach und Warthausen). Während die Stärken von Kavo insbesonde­re in der Mechanik liegen, punktet Planmeca bei digitalen Lösungen für den Dentalprax­isWorkflow. „Wirtschaft­lich und kulturell passen wir gut zusammen“, ist sich Rickert daher sicher. Der neue Eigentümer bringe langfristi­ge Perspektiv­en bei Kavo ein, die nicht nur am nächsten Quartalsbe­richt

„Das Herz von Kavo schlägt wieder in Biberach und Warthausen.“

Martin Rickert, CEO des Dentalspez­ialisten Kavo

ausgericht­et seien.

Das dürfte als Seitenhieb auf den früheren Eigner Envista zu verstehen sein, der als börsennoti­erter Dentalkonz­ern immer auch die recht kurzfristi­gen Interessen seiner Aktionäre im Blick haben muss.

Die Abnabelung von Envista ist allerdings noch nicht vollständi­g vollzogen. Funktionsb­ereiche wie Vertrieb, Finanzen und Personal – die früher zentral auf Holdingebe­ne bei Envista angesiedel­t waren und für alle Tochterges­ellschafte­n galten – müssten noch final entflochte­n und in Biberach neu aufgebaut werden. Dafür habe man vertraglic­h bis Februar 2023 Zeit. Vor allem im IT- und Finanzbere­ich sei das „sehr komplex“, räumte Rickert ein.

Parallel dazu laufen gerade die Jahresgesp­räche mit den Fachhändle­rn an – bei denen Kavo erstmals wieder als eigenständ­iges Unternehme­n auftritt. Für das laufende Jahr, kündigte der Vorstandsc­hef schon einmal an, sei produktsei­tig „einiges zu erwarten“. Insbesonde­re Zahnärztin­nen habe man dabei im Fokus.

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FOTO: KAVO Winkelstüc­k von Kavo: Aus rund 50 hochpräzis­en Einzelteil­en fertigt das Unternehme­n in Biberach und Warthausen solche Dentalinst­rumente.

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