Corona-Alltag in einer Klinik kommt auf die Bühne
Die Münchner Kammerspiele erstellen zusammen mit Ärzten und Pflegern „Atemprotokolle“
MÜNCHEN (dpa) - Bilder aus Corona-Intensivstationen sind meist sehr technisch: riesige Apparate, Schläuche, Kabel, Monitore. Und irgendwo dazwischen ein Mensch, schwer krank, vielleicht mit dem Tode ringend. Fast 120 000 Covid-19-Todesfälle seit Pandemiebeginn meldete das Robert-Koch-Institut (RKI) zuletzt. Nüchterne Zahlen, doch hinter jeder verbirgt sich ein Schicksal. Die Dresdner Regisseurin Miriam Tscholl gibt diesen Geschichten nun eine Bühne in der Lesung „Atemprotokolle“an den Münchner Kammerspielen. Das Stück in Kooperation mit dem Klinikum Nürnberg Nord fügt sich ein in eine Reihe anderer Produktionen auf deutschsprachigen Bühnen, die sich mehr oder weniger direkt um die Pandemie drehen.
Sieben Tage lang hatte sich Tscholl angehört, was ihr genesene Patienten, Angehörige von Verstorbenen, ärztliches Personal, Pflegeund Reinigungskräfte erzählten. Sorgen, Ängste, Hoffnungen, Wut und Freude. Die Essenz kommt nun erst in München und ab 9. März in Nürnberg auf die Bühne.
Kammerspielintendantin Barbara Mundel sieht darin eine Chance, in der verhärteten Debatte rund um Corona andere Akzente zu setzen: „Es gab das Bedürfnis nach einer Auseinandersetzung mit der Pandemie, die sich nicht mit Statistiken oder dem Diskurs über Impfen oder Nichtimpfen und den immer gleichen Bildern beschäftigt; das Bedürfnis, die Menschen hinter den Bildern wahrzunehmen, dem Publikum eine andere Ebene der Beschäftigung mit Corona anzubieten“, sagt sie. „Das Theater kann zu einer anderen Art von Diskurs beitragen, einem Innehalten, um die sehr persönlichen Geschichten hinter den Zahlen, hinter dem aufgeregten Diskurs wieder wahrzunehmen.“
Das glaubt auch Anton Baier, Seelsorger auf der Intensivstation in Nürnberg: „In diesen Geschichten steckt trotz aller Tragik auch ein Reichtum über das, was unser Leben trägt.“Der Pastoralreferent hofft, dass sie einen Anstoß zur Dialogfähigkeit
geben. In der öffentlichen Debatte sei Covid-19 ein medizinisches Phänomen. „Die andere Seite ist, dass es etwas mit den Menschen macht. Den Menschen bleibt die Luft weg, denen stockt der Atem. Das ist eine existenzielle Erfahrung.“
Umso wichtiger war es für Klinikpersonal und Betroffene, dass ihre Erfahrungen endlich gehört werden. Oberarzt Armin Geise, Leiter der Intensivstation, spricht vom wichtigen Gefühl, gesehen zu werden. „Man hat selten die Möglichkeit, das ausführlich zu erzählen“, meint er. „Für mich persönlich ist es eine Art Zeitdokument.“
Thomas Krüger, Leiter der Bundeszentrale für politische Bildung, verweist auf Stücke wie „Death Positive – State of Emergency“am Gorki-Theater Berlin oder Nicolas Stemanns satirische Songs der „CoronaPassionsspiele“am Schauspielhaus Zürich. „Viele Theater werden sich in den nächsten Spielzeiten mit den Corona-Konflikten befassen“, ist Krüger überzeugt. „Viele dieser Konflikte schwelten ja schon länger und wurden durch Corona erst deutlich sichtbarer, etwa die Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen und in der Pflege, die Abkopplung sich radikalisierender Milieus von der Mehrheitsgesellschaft.“
Doch wollen Zuschauer das leidige Dauerthema überhaupt auf der Bühne sehen? Am Münchner Residenztheater waren die Erfahrungen gut, etwa mit Roland Schimmelpfennigs Auftragswerk „Der Kreis um die Sonne“. Eine bejubelte Aufführung, wie Intendant Andreas Beck berichtet. „Die Katastrophe der Pandemie dramatisch zu spiegeln ist unbedingter Auftrag des Theaters.“Die Woche im Klinikum empfand Tscholl als anstrengend, aber wertvoll: „Das sind immer Gespräche über den Tod und das Leben, weil das eng zusammenhängt“, schildert die Regisseurin. Mal kamen ihr die Tränen, mal war es sogar fröhlich: „Wo viel Tod ist, da ist auch viel Leben. Und wir haben auch viel gelacht.“
Atemprotokolle, Münchner Kammerspiele, 2. Februar, 19.30 Uhr und 21. Februar, 20 Uhr.