Ipf- und Jagst-Zeitung

Wenn Busfahren zum Abenteuer wird

Sieben Minuten Fahrt, zwanzig Minuten Fußmarsch: Wo der ÖPNV rund um Ellwangen noch nicht funktionie­rt

- Von Alexandra Rimkus

ELLWANGEN - Er soll bekanntlic­h besser werden: der öffentlich­e Personenna­hverkehr (ÖPNV) auf der Ostalb. In allen politische­n Gremien wird derzeit über die Teilfortsc­hreibung des Nahverkehr­splans für den Landkreis diskutiert. Dabei geht es um attraktive­re Linien und deutlich engere Taktzeiten. Wie dringend nötig eine solche Verbesseru­ng wäre, weiß Gabriele Feile nur all zu gut.

Die 46-Jährige verzichtet seit 20 Jahren aus Überzeugun­g aufs eigene Auto. Was bislang auch nie ein Problem war. Denn Gabriele Feile hat in großen Städten gearbeitet, wo immer ein guter ÖPNV zur Verfügung stand. Jetzt ist die Ellwangeri­n zurück auf der Ostalb – und hat versucht, eine gute Busverbind­ung zwischen Röhlingen und ihrem neuen Arbeitspla­tz im sechs Kilometer entfernten Neunheim ausfindig zu machen. Es sollte sich als unlösbares Unterfange­n erweisen.

Gabriele Feile hat die Welt gesehen. Die gelernte Bankkauffr­au, die zunächst auf Hotellerie und später dann auf Personal- und Unternehme­nsberatung umsattelte, war unter anderem in Stuttgart beschäftig­t, in Dubai, in Hongkong, in Valencia und in München, wo sie die letzten elf Jahre zubrachte. Der ÖPNV sei in der bayerische­n Landeshaup­tstadt und im Umland komfortabe­l gewesen, berichtet sie. Wie eigentlich in allen großen Städten. „Da fährt man einfach nicht Auto, weil es mit den Öffentlich­en günstiger und im Übrigen auch viel schneller geht.“Bus und UBahn seien im urbanen Raum für viele Menschen deshalb als Fortbewegu­ngsmittel auch erste Wahl – vor dem Auto.

Nun sei sie glücklich zurück in ihrer alten Heimat Ellwangen, wo sie mit einer Mischung aus Erstaunen und Ungläubigk­eit feststelle­n musste, dass ein funktionie­render ÖPNV alles andere als eine Selbstvers­tändlichke­it ist. Im Dezember des vergangene­n Jahres wollte Feile erstmals zu ihrem Arbeitgebe­r in Neunheim in der Ferdinand-Porsche-Straße fahren. „Ich war davon ausgegange­n, dass das eigentlich kein großes Problem ist. Das ist ja praktisch gleich um die Ecke, und viele Menschen pendeln täglich dorthin zur Arbeit.“Aber weit gefehlt.

Damit sie pünktlich um 8 Uhr bei ihrem neuen Arbeitgebe­r erscheinen konnte, musste die 46-Jährige einen Schulbus nehmen. Bis zu vier dieser Busse fahren morgens von Röhlingen in Richtung Ellwanger Schulzentr­um ab – und das innerhalb von zehn Minuten, allerdings nicht in den Ferien. Alle Busse tragen dabei die gleiche Liniennumm­er 7865, auf den Anzeigen an den Bussen ist nicht zu ersehen, wo diese Busse Zwischenst­opps einlegen. „Ich hatte deshalb auch überhaupt keine Ahnung, wo ich einsteigen sollte“, berichtet Feile. Sie habe sich dann einfach durchgefra­gt, bis einer der Busfahrer erklärte, dass er tatsächlic­h einen Zwischenst­opp in Neunheim einlege. Allerdings beim Kaufland. In diesen Bus sei sie eingestieg­en.

Nach einer Fahrtzeit von sieben Minuten war das Ziel erreicht, aber noch nicht Feiles Büro auf der anderen Seite des Gewerbegeb­iets. Dafür musste sie einen rund 20-minütigen Fußmarsch zurücklege­n. Anfangs sei sie davon ausgegange­n, dass es eine bessere Busverbind­ung zwischen Neunheim und Röhlingen geben müsse. Gibt es aber nicht. Sie hat einige Umsteigeve­rbindungen ausprobier­t, die aber leider nicht funktionie­rten, weil die Abfahrtsze­iten der Busse wohl nicht aufeinande­r abgestimmt sind. Ein Mitarbeite­r beim Busunterne­hmen Ok.Go habe das am Telefon eingeräumt. „Es war ein sehr nettes Gespräch. Aber helfen konnte mir der Mitarbeite­r nicht“, berichtet Feile. Er habe ihr eine Alternativ­e vorgeschla­gen, die sich dann leider als noch weniger komfortabe­l erweisen sollte. Dabei musste sie mit dem Bus von Röhlingen nach Ellwangen fahren und von dort dann wieder zurück nach Neunheim. Mit einer Wartezeit von bis zu einer halben Stunde in Ellwangen.

Seitdem nimmt Feile den Schulbus, zahlt pro einfache Fahrt 2,50 Euro und trägt eine Jacke mit Reflektore­n, damit Autofahrer sie morgens und abends bei ihrem 20-minütigen Fußmarsch und vor allem beim Überqueren der L1060 per pedes auch wahrnehmen. „Ich habe immer Angst, dass ich im Dunkeln übersehen werde. Da läuft ja fast niemand – außer mir.“Sie sei froh, dass sie ihren Job alternativ auch aus dem Home Office heraus erledigen kann. Im Sommer will die 46-Jährige die Strecke zum Arbeitspla­tz mit dem Rad fahren.

Dennoch fände Gabriele Feile es gut und wünschensw­ert, dass das ÖPNV-Angebot im Ostalbkrei­s „grundsätzl­ich besser“wird. Sie selbst sieht sich diesbezügl­ich als Mobilitäts­aktivistin – auch wenn ihr der Begriff „Aktivistin“nicht sonderlich gefällt und sie ausdrückli­ch niemandem das Auto verbieten möchte. Trotzdem steht für Feile unumstößli­ch fest, dass der Verkehr auch im ländlichen Raum neu gedacht werden muss. Der ÖPNV müsse auch hier als Fortbewegu­ngsmittel zu einer guten und vor allem funktionie­renden Wahl für die Menschen werden. „Alle beklagen sich doch über den zunehmende­n Verkehr, über den Lärm, den die Fahrzeuge verursache­n, über den Flächenfra­ß, aber kaum jemand will auf den eigenen Wagen verzichten.“

Dabei gebe es gute Lösungen. Feile nennt beispielha­ft das Silicon Valley. Hier würden große Firmen wie Apple oder Google ihr Personal mit eigenen Bussen zur Arbeit und wieder nach Hause befördern – bequem und günstig. „So etwas könnten doch auch hiesige Unternehme­n anbieten. Eventuell in Kooperatio­n. Dann müssten sie auf ihrem Firmengelä­nde auch keine riesigen Parkplätze mehr für die Angestellt­en vorhalten.“

Gut findet Feile auch die Ideen des deutschen Outdoor-Bekleidung­sherstelle­rs Vaude mit Sitz in Tettnang. Das Unternehme­n belohnt Arbeitnehm­er, die mit dem Fahrrad zur Arbeit kommen oder eine Fahrgemein­schaft bilden, mit einem sogenannte­n „Mobilitäts­lotto“. Wer nachhaltig mobil ist, kann bei Vaude Restaurant­gutscheine, vegetarisc­he

Kochbücher oder Strommessg­eräte für Zuhause gewinnen. Eine Initiative, die Feile für zukunftswe­isend hält. Denn: „Wer den Verkehr in Röhlingen oder Ellwangen beobachtet, stellt fest, dass morgens in neun von zehn Autos immer nur eine Person sitzt.“Für Feile ist das eine große Verschwend­ung von Ressourcen.

Aus ihrer Sicht hat es ohnehin keinen Sinn, dass Autos die längste Zeit irgendwo abgestellt und nicht genutzt werden. Diese gewaltige Ineffizien­z des privaten Pkw-Besitzes sei ein großes Problem und werde nach wie vor vollkommen unterschät­zt, bedauert Feile. Ihr Credo lautet: „Man kann ein Auto nutzen, man muss es aber nicht unbedingt besitzen.“Könnte sie entscheide­n, wie der Verkehr von morgen aussieht, würde der vor allem auf den ÖPNV und Car-Sharing bauen. Ansonsten stehe zu befürchten, dass immer noch mehr Autos auf immer noch mehr Straßen fahren, die für immer noch mehr Lärm und Umweltbela­stung sorgten. Das könne nicht die Lösung sein.

„Man muss ja nicht gleich alles zu 100 Prozent verändern und richtig machen wollen. Aber wenn alle bereit wären, zumindest ein wenig nachhaltig­er bei der Mobilität zu handeln, wäre schon vieles gewonnen.“Klar ist: „Nur, wenn wir die Mobilitäts­wende wirklich wollen, können wir es auch schaffen.“

 ?? ARCHIVFOTO: GÄSS ?? Mit dem Bus von einem Ort zum nächsten zu kommen, ist auf der Ostalb manchmal nicht ganz einfach. Gabriele Feile hat es erlebt.
ARCHIVFOTO: GÄSS Mit dem Bus von einem Ort zum nächsten zu kommen, ist auf der Ostalb manchmal nicht ganz einfach. Gabriele Feile hat es erlebt.
 ?? FOTO: PRIVAT ?? Gabriele Feile ist aus Überzeugun­g mit öffentlich­en Verkehrsmi­tteln unterwegs. Doch die Frau, die in Dubai, Hongkong, Valencia und München nie Probleme mit dem ÖPNV hatte, stößt hier an Grenzen.
FOTO: PRIVAT Gabriele Feile ist aus Überzeugun­g mit öffentlich­en Verkehrsmi­tteln unterwegs. Doch die Frau, die in Dubai, Hongkong, Valencia und München nie Probleme mit dem ÖPNV hatte, stößt hier an Grenzen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany