Wenn Busfahren zum Abenteuer wird
Sieben Minuten Fahrt, zwanzig Minuten Fußmarsch: Wo der ÖPNV rund um Ellwangen noch nicht funktioniert
ELLWANGEN - Er soll bekanntlich besser werden: der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) auf der Ostalb. In allen politischen Gremien wird derzeit über die Teilfortschreibung des Nahverkehrsplans für den Landkreis diskutiert. Dabei geht es um attraktivere Linien und deutlich engere Taktzeiten. Wie dringend nötig eine solche Verbesserung wäre, weiß Gabriele Feile nur all zu gut.
Die 46-Jährige verzichtet seit 20 Jahren aus Überzeugung aufs eigene Auto. Was bislang auch nie ein Problem war. Denn Gabriele Feile hat in großen Städten gearbeitet, wo immer ein guter ÖPNV zur Verfügung stand. Jetzt ist die Ellwangerin zurück auf der Ostalb – und hat versucht, eine gute Busverbindung zwischen Röhlingen und ihrem neuen Arbeitsplatz im sechs Kilometer entfernten Neunheim ausfindig zu machen. Es sollte sich als unlösbares Unterfangen erweisen.
Gabriele Feile hat die Welt gesehen. Die gelernte Bankkauffrau, die zunächst auf Hotellerie und später dann auf Personal- und Unternehmensberatung umsattelte, war unter anderem in Stuttgart beschäftigt, in Dubai, in Hongkong, in Valencia und in München, wo sie die letzten elf Jahre zubrachte. Der ÖPNV sei in der bayerischen Landeshauptstadt und im Umland komfortabel gewesen, berichtet sie. Wie eigentlich in allen großen Städten. „Da fährt man einfach nicht Auto, weil es mit den Öffentlichen günstiger und im Übrigen auch viel schneller geht.“Bus und UBahn seien im urbanen Raum für viele Menschen deshalb als Fortbewegungsmittel auch erste Wahl – vor dem Auto.
Nun sei sie glücklich zurück in ihrer alten Heimat Ellwangen, wo sie mit einer Mischung aus Erstaunen und Ungläubigkeit feststellen musste, dass ein funktionierender ÖPNV alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist. Im Dezember des vergangenen Jahres wollte Feile erstmals zu ihrem Arbeitgeber in Neunheim in der Ferdinand-Porsche-Straße fahren. „Ich war davon ausgegangen, dass das eigentlich kein großes Problem ist. Das ist ja praktisch gleich um die Ecke, und viele Menschen pendeln täglich dorthin zur Arbeit.“Aber weit gefehlt.
Damit sie pünktlich um 8 Uhr bei ihrem neuen Arbeitgeber erscheinen konnte, musste die 46-Jährige einen Schulbus nehmen. Bis zu vier dieser Busse fahren morgens von Röhlingen in Richtung Ellwanger Schulzentrum ab – und das innerhalb von zehn Minuten, allerdings nicht in den Ferien. Alle Busse tragen dabei die gleiche Liniennummer 7865, auf den Anzeigen an den Bussen ist nicht zu ersehen, wo diese Busse Zwischenstopps einlegen. „Ich hatte deshalb auch überhaupt keine Ahnung, wo ich einsteigen sollte“, berichtet Feile. Sie habe sich dann einfach durchgefragt, bis einer der Busfahrer erklärte, dass er tatsächlich einen Zwischenstopp in Neunheim einlege. Allerdings beim Kaufland. In diesen Bus sei sie eingestiegen.
Nach einer Fahrtzeit von sieben Minuten war das Ziel erreicht, aber noch nicht Feiles Büro auf der anderen Seite des Gewerbegebiets. Dafür musste sie einen rund 20-minütigen Fußmarsch zurücklegen. Anfangs sei sie davon ausgegangen, dass es eine bessere Busverbindung zwischen Neunheim und Röhlingen geben müsse. Gibt es aber nicht. Sie hat einige Umsteigeverbindungen ausprobiert, die aber leider nicht funktionierten, weil die Abfahrtszeiten der Busse wohl nicht aufeinander abgestimmt sind. Ein Mitarbeiter beim Busunternehmen Ok.Go habe das am Telefon eingeräumt. „Es war ein sehr nettes Gespräch. Aber helfen konnte mir der Mitarbeiter nicht“, berichtet Feile. Er habe ihr eine Alternative vorgeschlagen, die sich dann leider als noch weniger komfortabel erweisen sollte. Dabei musste sie mit dem Bus von Röhlingen nach Ellwangen fahren und von dort dann wieder zurück nach Neunheim. Mit einer Wartezeit von bis zu einer halben Stunde in Ellwangen.
Seitdem nimmt Feile den Schulbus, zahlt pro einfache Fahrt 2,50 Euro und trägt eine Jacke mit Reflektoren, damit Autofahrer sie morgens und abends bei ihrem 20-minütigen Fußmarsch und vor allem beim Überqueren der L1060 per pedes auch wahrnehmen. „Ich habe immer Angst, dass ich im Dunkeln übersehen werde. Da läuft ja fast niemand – außer mir.“Sie sei froh, dass sie ihren Job alternativ auch aus dem Home Office heraus erledigen kann. Im Sommer will die 46-Jährige die Strecke zum Arbeitsplatz mit dem Rad fahren.
Dennoch fände Gabriele Feile es gut und wünschenswert, dass das ÖPNV-Angebot im Ostalbkreis „grundsätzlich besser“wird. Sie selbst sieht sich diesbezüglich als Mobilitätsaktivistin – auch wenn ihr der Begriff „Aktivistin“nicht sonderlich gefällt und sie ausdrücklich niemandem das Auto verbieten möchte. Trotzdem steht für Feile unumstößlich fest, dass der Verkehr auch im ländlichen Raum neu gedacht werden muss. Der ÖPNV müsse auch hier als Fortbewegungsmittel zu einer guten und vor allem funktionierenden Wahl für die Menschen werden. „Alle beklagen sich doch über den zunehmenden Verkehr, über den Lärm, den die Fahrzeuge verursachen, über den Flächenfraß, aber kaum jemand will auf den eigenen Wagen verzichten.“
Dabei gebe es gute Lösungen. Feile nennt beispielhaft das Silicon Valley. Hier würden große Firmen wie Apple oder Google ihr Personal mit eigenen Bussen zur Arbeit und wieder nach Hause befördern – bequem und günstig. „So etwas könnten doch auch hiesige Unternehmen anbieten. Eventuell in Kooperation. Dann müssten sie auf ihrem Firmengelände auch keine riesigen Parkplätze mehr für die Angestellten vorhalten.“
Gut findet Feile auch die Ideen des deutschen Outdoor-Bekleidungsherstellers Vaude mit Sitz in Tettnang. Das Unternehmen belohnt Arbeitnehmer, die mit dem Fahrrad zur Arbeit kommen oder eine Fahrgemeinschaft bilden, mit einem sogenannten „Mobilitätslotto“. Wer nachhaltig mobil ist, kann bei Vaude Restaurantgutscheine, vegetarische
Kochbücher oder Strommessgeräte für Zuhause gewinnen. Eine Initiative, die Feile für zukunftsweisend hält. Denn: „Wer den Verkehr in Röhlingen oder Ellwangen beobachtet, stellt fest, dass morgens in neun von zehn Autos immer nur eine Person sitzt.“Für Feile ist das eine große Verschwendung von Ressourcen.
Aus ihrer Sicht hat es ohnehin keinen Sinn, dass Autos die längste Zeit irgendwo abgestellt und nicht genutzt werden. Diese gewaltige Ineffizienz des privaten Pkw-Besitzes sei ein großes Problem und werde nach wie vor vollkommen unterschätzt, bedauert Feile. Ihr Credo lautet: „Man kann ein Auto nutzen, man muss es aber nicht unbedingt besitzen.“Könnte sie entscheiden, wie der Verkehr von morgen aussieht, würde der vor allem auf den ÖPNV und Car-Sharing bauen. Ansonsten stehe zu befürchten, dass immer noch mehr Autos auf immer noch mehr Straßen fahren, die für immer noch mehr Lärm und Umweltbelastung sorgten. Das könne nicht die Lösung sein.
„Man muss ja nicht gleich alles zu 100 Prozent verändern und richtig machen wollen. Aber wenn alle bereit wären, zumindest ein wenig nachhaltiger bei der Mobilität zu handeln, wäre schon vieles gewonnen.“Klar ist: „Nur, wenn wir die Mobilitätswende wirklich wollen, können wir es auch schaffen.“