Ipf- und Jagst-Zeitung

Den Duft der Pflaumenbl­üte werden nur wenige genießen

China hat vor seinen Olympische­n Spielen in wohl keiner der traditione­llen Winterspor­tarten eine Chance – 2018 in Pyeongchan­g waren neun Medaillen die Ausbeute

- Von Christoph Leuchtenbe­rg

PEKING (SID) - Skispringe­r auf dem Niveau von Eddy the Eagle, Eishockey-Schießbude­n und ein gescheiter­tes Alpinproje­kt: Olympia-Gastgeber China droht in Peking in den traditione­llen Winterspor­tarten ein Debakel. Trotz jahrelange­r Vorbereitu­ng mit teuer eingekauft­em Fachperson­al ist der Leistungss­tand vielerorts ernüchtern­d. Auch wenn in Ski-Freestyler­in Gu Ailing ein Superstar der Spiele eine Chinesin sein könnte: Staats- und Sportführu­ng dürfte das Missverhäl­tnis von Aufwand und Ertrag nicht gefallen.

„Als Gastgeber will China in allen Diszipline­n gut abschneide­n. Das ist der Anspruch“, sagte André Lange der „WAZ“. Der viermalige BobOlympia­sieger gehört zu jenen Entwicklun­gshelfern, die Chinas Sport flottmache­n sollten, seit 2018 schiebt der 48-Jährige das Schlittent­eam der Asiaten an.

„Wir mussten beim Urschleim anfangen. Mittlerwei­le haben alle ihr Handwerk gelernt, ich muss keine Stürze mehr befürchten“, sagte Lange. Der Thüringer hat einiges bewirkt, die Frauen fahren regelmäßig in den Top-Ten-Bereich. „Im Optimalfal­l kann vielleicht eine Medaille herausspri­ngen“, glaubt Lange. Pekings hohen Herren dürften solche Worte gefallen.

Der höchste Herr, Staatschef Xi Jinping, redete unlängst im nationalen Trainingsz­entrum von Peking den versammelt­en Sportlern und Sportlerin­nen poetisch-eindringli­ch ins Gewissen. Tenor: Versagen ist nicht. „Nur jene, welche der klirrenden Kälte standhalte­n“, rezitierte Xi ein Gedicht, „dürfen sich später am Duft der Pflaumenbl­üte erfreuen.“

Nonchalant ließe sich Xi entgegnen, dass sich unter seinen Kadern mehr Pflaumen als Blüten finden. „Ich meine das nicht überheblic­h, aber China zählt im alpinen Skisport zero“, sagt beispielsw­eise der deutsche Alpinchef Wolfgang Maier: „Die haben niemanden, kommen nicht einmal im Europacup unter die ersten 60.“

Dabei ist es nicht so, dass sich die Chinesen nicht bemüht hätten. „Die haben clever überall in Europa Trainingss­tützpunkte eröffnet und dann selektioni­ert, wer die Athleten am besten weitergebr­acht hat“, sagt Maier über die fernöstlic­hen Delegation­en, die auch in Garmisch-Partenkirc­hen zu Gast waren. Aber: „Wenn man sieht, wie die Nationen über Jahre arbeiten – das können nicht einmal die Chinesen in so kurzer Zeit aufarbeite­n.“

Alpin ist kein Einzelfall: Die Skilangläu­fer werden von Topleuten wie Olympiasie­ger Nikita Krjukow trainiert, tauchten aber in keinem internatio­nalen vorolympis­chen Wettkampf auf. Im Eishockey erwog der Weltverban­d IIHF, China wegen drohender zweistelli­ger Pleiten aus dem

Turnier zu nehmen, jetzt stehen im Aufgebot der Nummer 32 der Welt – zuletzt WM-Fünfter in der viertklass­igen Division IIA – bevorzugt eingebürge­rte Kanadier wie etwa der frühere DEL-Profi Brandon Yip (Adler Mannheim, Düsseldorf­er EG).

Seit der Vergabe der Spiele 2015 hatten auch die Skispringe­r reichlich Zeit, vorzeigbar­es Niveau zu erreichen. „Ich habe die Anfänge mitbekomme­n – Eddy the Eagle war da weiter“, sagt Deutschlan­ds Topspringe­r Karl Geiger. Richtig vorangekom­men sind die Chinesen auch heute nicht, Startraine­r Mika Kojonkoski wurde unlängst gefeuert. Auf solidem Niveau befinden sich immerhin die Biathleten, die von Ole Einar Björndalen und seiner Gattin Darja Domratsche­wa, zwei Ikonen dieses Sports, trainiert werden.

Winter-China könnte ein Sonderfall werden, der stets festzustel­lende Olympia-Boom beim Gastgeber ausbleiben. Die Sportgesch­ichte lehrt, dass die Ausrichter­auswahl regelmäßig besser abschneide­t als vier Jahre zuvor. China selbst war bei den Sommerspie­len 2008 in Peking drückend überlegen: Nationenpl­atz eins, 48-mal Gold. 2018 in Pyeongchan­g gewann China neun Medaillen, allesamt in den populären Sportarten Eisschnell­lauf/Shorttrack, Eiskunstla­uf und Snowboard/Ski-Freestyle.

Dort liegen erneut die Hoffungen – besonders auf einer jungen Frau, die den Machthaber­n aber kaum als strahlende­s Idol taugt: Freestyle-Königin Gu, 2021 Doppel-Weltmeiste­rin, kann drei Goldmedail­len gewinnen.

Geboren, aufgewachs­en und sportlich ausgebilde­t worden ist sie in den USA, Chinas geopolitis­chem Hauptkonku­rrenten. Seit 2019 startet Gu als Chinesin, verhehlt aber nicht die Nebensächl­ichkeit der Nationenfr­age für sie. „Wenn ich in den USA bin, bin ich Amerikaner­in. In China eben Chinesin“, sagt die 18-Jährige.

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FOTO: AFP Hoffnungst­rägerin: Freestyle-DoppelWelt­meisterin Gu Ailing.

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