Den Duft der Pflaumenblüte werden nur wenige genießen
China hat vor seinen Olympischen Spielen in wohl keiner der traditionellen Wintersportarten eine Chance – 2018 in Pyeongchang waren neun Medaillen die Ausbeute
PEKING (SID) - Skispringer auf dem Niveau von Eddy the Eagle, Eishockey-Schießbuden und ein gescheitertes Alpinprojekt: Olympia-Gastgeber China droht in Peking in den traditionellen Wintersportarten ein Debakel. Trotz jahrelanger Vorbereitung mit teuer eingekauftem Fachpersonal ist der Leistungsstand vielerorts ernüchternd. Auch wenn in Ski-Freestylerin Gu Ailing ein Superstar der Spiele eine Chinesin sein könnte: Staats- und Sportführung dürfte das Missverhältnis von Aufwand und Ertrag nicht gefallen.
„Als Gastgeber will China in allen Disziplinen gut abschneiden. Das ist der Anspruch“, sagte André Lange der „WAZ“. Der viermalige BobOlympiasieger gehört zu jenen Entwicklungshelfern, die Chinas Sport flottmachen sollten, seit 2018 schiebt der 48-Jährige das Schlittenteam der Asiaten an.
„Wir mussten beim Urschleim anfangen. Mittlerweile haben alle ihr Handwerk gelernt, ich muss keine Stürze mehr befürchten“, sagte Lange. Der Thüringer hat einiges bewirkt, die Frauen fahren regelmäßig in den Top-Ten-Bereich. „Im Optimalfall kann vielleicht eine Medaille herausspringen“, glaubt Lange. Pekings hohen Herren dürften solche Worte gefallen.
Der höchste Herr, Staatschef Xi Jinping, redete unlängst im nationalen Trainingszentrum von Peking den versammelten Sportlern und Sportlerinnen poetisch-eindringlich ins Gewissen. Tenor: Versagen ist nicht. „Nur jene, welche der klirrenden Kälte standhalten“, rezitierte Xi ein Gedicht, „dürfen sich später am Duft der Pflaumenblüte erfreuen.“
Nonchalant ließe sich Xi entgegnen, dass sich unter seinen Kadern mehr Pflaumen als Blüten finden. „Ich meine das nicht überheblich, aber China zählt im alpinen Skisport zero“, sagt beispielsweise der deutsche Alpinchef Wolfgang Maier: „Die haben niemanden, kommen nicht einmal im Europacup unter die ersten 60.“
Dabei ist es nicht so, dass sich die Chinesen nicht bemüht hätten. „Die haben clever überall in Europa Trainingsstützpunkte eröffnet und dann selektioniert, wer die Athleten am besten weitergebracht hat“, sagt Maier über die fernöstlichen Delegationen, die auch in Garmisch-Partenkirchen zu Gast waren. Aber: „Wenn man sieht, wie die Nationen über Jahre arbeiten – das können nicht einmal die Chinesen in so kurzer Zeit aufarbeiten.“
Alpin ist kein Einzelfall: Die Skilangläufer werden von Topleuten wie Olympiasieger Nikita Krjukow trainiert, tauchten aber in keinem internationalen vorolympischen Wettkampf auf. Im Eishockey erwog der Weltverband IIHF, China wegen drohender zweistelliger Pleiten aus dem
Turnier zu nehmen, jetzt stehen im Aufgebot der Nummer 32 der Welt – zuletzt WM-Fünfter in der viertklassigen Division IIA – bevorzugt eingebürgerte Kanadier wie etwa der frühere DEL-Profi Brandon Yip (Adler Mannheim, Düsseldorfer EG).
Seit der Vergabe der Spiele 2015 hatten auch die Skispringer reichlich Zeit, vorzeigbares Niveau zu erreichen. „Ich habe die Anfänge mitbekommen – Eddy the Eagle war da weiter“, sagt Deutschlands Topspringer Karl Geiger. Richtig vorangekommen sind die Chinesen auch heute nicht, Startrainer Mika Kojonkoski wurde unlängst gefeuert. Auf solidem Niveau befinden sich immerhin die Biathleten, die von Ole Einar Björndalen und seiner Gattin Darja Domratschewa, zwei Ikonen dieses Sports, trainiert werden.
Winter-China könnte ein Sonderfall werden, der stets festzustellende Olympia-Boom beim Gastgeber ausbleiben. Die Sportgeschichte lehrt, dass die Ausrichterauswahl regelmäßig besser abschneidet als vier Jahre zuvor. China selbst war bei den Sommerspielen 2008 in Peking drückend überlegen: Nationenplatz eins, 48-mal Gold. 2018 in Pyeongchang gewann China neun Medaillen, allesamt in den populären Sportarten Eisschnelllauf/Shorttrack, Eiskunstlauf und Snowboard/Ski-Freestyle.
Dort liegen erneut die Hoffungen – besonders auf einer jungen Frau, die den Machthabern aber kaum als strahlendes Idol taugt: Freestyle-Königin Gu, 2021 Doppel-Weltmeisterin, kann drei Goldmedaillen gewinnen.
Geboren, aufgewachsen und sportlich ausgebildet worden ist sie in den USA, Chinas geopolitischem Hauptkonkurrenten. Seit 2019 startet Gu als Chinesin, verhehlt aber nicht die Nebensächlichkeit der Nationenfrage für sie. „Wenn ich in den USA bin, bin ich Amerikanerin. In China eben Chinesin“, sagt die 18-Jährige.