Wie eine Mauer ohne Tür
Für afghanische, syrische oder somalische Flüchtlinge, die von der griechischen Küstenwache zurück ins Mittelmeer gedrängt wurden, dürfte es wie Hohn in den Ohren klingen, wenn Annalena Baerbock bei ihrem Besuch in Athen über europäische Werte spricht und dabei auch auf die Flüchtlingspolitik eingeht. Die Außenministerin weiß sehr wohl, was in den Gewässern zwischen den griechischen Inseln im Osten des Landes und der türkischen Küste passiert. Geflohene Menschen, die in der Europäischen Union einen Asylantrag stellen wollen, werden immer wieder daran gehindert, in Griechenland an Land zu gehen. Das nennt sich Schutz der europäischen Außengrenze – unterstützt durch die europäische Grenzschutzagentur Frontex, finanziert von EU-Mitgliedstaaten und Schengen-Ländern.
Dieser sogenannte Schutz ist nichts anderes als eine unsichtbare Mauer ohne Tür – und wie er praktiziert wird, entspricht weder europäischen Werten noch dem Völkerrecht. Aber solange niemand hinschaut und die EU-Staaten davon profitieren, wird sich nichts ändern. Jeder Regierung in Europa ist schließlich bewusst, wie viel gesellschaftlicher Sprengstoff in der Migrationspolitik liegt. Daran will sich niemand die Finger verbrennen. Doch die EU macht sich als Wertegemeinschaft unglaubwürdig, wenn sich ihre Vertreter auf der einen Seite, wie im Ukraine-Krieg, als Hüter von Menschen- und Freiheitsrechten präsentieren, auf der anderen Seite aber Unrecht geschehen lassen, wenn es um eigene Interessen geht. Für schwierige Gesprächspartner wie die Regierungsvertreter in der Türkei dürfte es eine Freude sein, die deutsche Außenministerin auf solche Schwachstellen im europäischen Wertefundament hinzuweisen.