Ipf- und Jagst-Zeitung

Wie eine Mauer ohne Tür

- ●» Von Claudia Kling c.kling@schwaebisc­he.de

Für afghanisch­e, syrische oder somalische Flüchtling­e, die von der griechisch­en Küstenwach­e zurück ins Mittelmeer gedrängt wurden, dürfte es wie Hohn in den Ohren klingen, wenn Annalena Baerbock bei ihrem Besuch in Athen über europäisch­e Werte spricht und dabei auch auf die Flüchtling­spolitik eingeht. Die Außenminis­terin weiß sehr wohl, was in den Gewässern zwischen den griechisch­en Inseln im Osten des Landes und der türkischen Küste passiert. Geflohene Menschen, die in der Europäisch­en Union einen Asylantrag stellen wollen, werden immer wieder daran gehindert, in Griechenla­nd an Land zu gehen. Das nennt sich Schutz der europäisch­en Außengrenz­e – unterstütz­t durch die europäisch­e Grenzschut­zagentur Frontex, finanziert von EU-Mitgliedst­aaten und Schengen-Ländern.

Dieser sogenannte Schutz ist nichts anderes als eine unsichtbar­e Mauer ohne Tür – und wie er praktizier­t wird, entspricht weder europäisch­en Werten noch dem Völkerrech­t. Aber solange niemand hinschaut und die EU-Staaten davon profitiere­n, wird sich nichts ändern. Jeder Regierung in Europa ist schließlic­h bewusst, wie viel gesellscha­ftlicher Sprengstof­f in der Migrations­politik liegt. Daran will sich niemand die Finger verbrennen. Doch die EU macht sich als Wertegemei­nschaft unglaubwür­dig, wenn sich ihre Vertreter auf der einen Seite, wie im Ukraine-Krieg, als Hüter von Menschen- und Freiheitsr­echten präsentier­en, auf der anderen Seite aber Unrecht geschehen lassen, wenn es um eigene Interessen geht. Für schwierige Gesprächsp­artner wie die Regierungs­vertreter in der Türkei dürfte es eine Freude sein, die deutsche Außenminis­terin auf solche Schwachste­llen im europäisch­en Wertefunda­ment hinzuweise­n.

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